Kontra K: »Ich werde nie wieder nur Max, der Handwerker sein« // Interview

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Eigentlich müsste Kontra K zufrieden sein. Erst kürzlich hat er sich einen Kindheits­traum erfüllt: ein fulminantes Heimspiel vor 9.000 Fans in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Hunger also gestillt? Keineswegs. Dieser Tage erscheint sein siebtes Soloalbum »Erde & Knochen« – und Ziel kann nicht weniger als die nächste Goldene sein.

Viele Aufnahmen für das Video zur Auskopplung »Hunger« sind in Pico-Union entstanden, einem von brutalen Gangs kontrollierten Armenviertel in Los Angeles. Wie kam es dazu?

Ich habe über die ganze Welt verteilt gute Freunde und kann von Orten berichten, die für andere wohl zu risky wären. Im Fall von L.A. haben mir die Kontakte in das Cypress-Hill-Umfeld sehr geholfen. Orte wie die Sonnenallee sind ausgelutscht, und selbst in Dubai und Monaco war quasi jeder schon einmal und hat ein Video gedreht. Die meisten Spots sind totgefilmt. Pico-Union hingegen war komplett unverbraucht.

Welche Eindrücke sind bei dir von dieser Reise hängengeblieben?
Dieser Stadtteil ist eine Festung, ein echtes Ghetto. Wenn Autos in den Bezirk einbiegen, werden sie ausgecheckt und durch alle Straßen von Krähenrufen aus den Fenstern begleitet, damit alle anderen im Viertel Bescheid wissen. Wir hatten bei den Dreharbeiten zum Glück einen Chief dabei, der für uns gebürgt hat. Hängengeblieben ist auch die extreme Armut: Da leben teilweise sechs Familien in sechs Räumen. Überall stinkt es, in den Wänden sind ohne Ende Einschusslöcher. Unzählige Kids ohne Perspektiven landen bei der »18th Street Gang« oder den »Mara Salvatrucha« und kommen da nie wieder raus, sind schon mit 14 gezwungen, scharf zu schießen.

Du veröffentlichst mit »Erde & Knochen« Mitte Mai das vierte Studioalbum in vier Jahren, hast seit »Gute Nacht« aus dem letzten Jahr quasi durchgearbeitet. Woher hast du, vielleicht abgesehen von der eben beschriebenen Reise, deine Inspiration genommen?
Ich bekomme sie täglich: Mein Freundeskreis ist derselbe wie früher, besteht immer noch aus kaputten Leuten. Bei uns wird gefeiert, wenn jemand nach viereinhalb Jahren aus dem Knast kommt. Auf meinen Konzerten tummelt sich Zivilpolizei. Ich trage nicht alle Geschichten nach außen, aber sie passieren. Sie gehören bis heute zu meinem Alltag, sind meine wichtigste Inspirationsquelle.

Ist das auch der Grund dafür, dass du dich häufig mit Hilfe abstrakter Metaphorik und moralischem Pathos ausdrückst?
Mein Vater hat immer gesagt: »Wahre Gangster sprechen nicht über ihre Angelegenheiten, sondern wickeln sie im Verborgenen ab.« Ich verlange nicht, dass das alle so machen, aber ständig zu betonen, wie geil das kriminelle Leben ist, ist nicht mein Ding.

Die letzten Monate waren die erfolgreichsten in deiner bisherigen ­Karriere. Andere Leute hätten eine Pause eingelegt, um das zu verarbeiten – du nicht.
Heutzutage kann man sich das gar nicht mehr leisten. Das ist ja im Prinzip das, wovon ich die ganze Zeit rede: Wer seine Chance bekommt, sollte sie nutzen. Man hat nur eine gewisse Haltbarkeit. Mein Zeitfenster ist jetzt, ich bin jung und gesund.

Du strebst stets danach, Erster zu sein. Ist der Druck, den du dir selbst auferlegst, nach zwei Nummer-eins-Alben noch einmal gewachsen?
Ja, schon. Ich habe hohe Ansprüche an mich selbst. Das heißt aber nicht, dass ich mich zum neuen Album überwinden musste. Ich hatte den Dampf, neue Musik zu machen, und feiere die neuen Sachen als Upgrade der alten. Solange das so ist, finde ich es auch komplett vertretbar, in diesem ­schnellen Rhythmus zu releasen.

»Ich bin ein Typ, der sich jeden Tag vor Augen führt, was er hat. Dadurch geht es mir gut.« (Kontra k)

Das Album ist eine Bestandsaufnahme deines hohen Lebensstandards. Sinken dadurch nicht zunehmend die Identifikationsmöglichkeiten für deine Fans?
Nur weil ich vielleicht eine teurere Uhr habe als viele Fans, erhebe ich mich ja nicht über sie. Die Leute identifizieren sich nicht mit dem Auto, das ich fahre, sondern mit dem, was ich sage, mit meinen Werten.

Apropos Werte: Du bringst Ehrfurcht und Dank­barkeit noch öfter zum Ausdruck als früher, blickst in fast jedem Track auf alte Zeiten zurück und vergleichst sie mit heute.
Ich bin ein Typ, der sich jeden Tag vor Augen führt, was er hat. Dadurch geht es mir gut. Ich habe damals von einer goldenen Platte geträumt – heute ist mein ganzes Wohnzimmer voll damit. Das ist doch krass!

Wie groß ist die Angst davor, dass die Erfolgswelle eines Tages brechen könnte?
Jeder auf der Straße erkennt mich, teilweise sogar durch verdunkelte Scheiben. Ich kann nicht mehr zurück, werde nie wieder nur Max, der Handwerker, oder Max, der Boxtrainer, sein, selbst wenn ich wollte. Jetzt geht es darum, das bisher Erreichte so gut es geht zu hüten, diesen Slalom so gekonnt wie möglich zu meistern. Angst habe ich dabei nicht.

Der erste Track deines neuen Albums lässt erahnen, dass du zuletzt viel Kritik und Sticheleien hinnehmen musstest. Du begegnest den Vorwürfen paradoxerweise mit intimsten Einblicken in deine Vergangenheit.
Der Gegenwind ist stärker geworden, zumindest für meine Verhältnisse. In letzter Zeit haben sich viele Leute einiges herausgenommen. Ich musste feststellen, dass man immer einsamer wird, je mehr man ins Rampenlicht kommt. Da merkst du dann wirklich, wer zum inneren Kreis gehört und dich versteht. Tatsächlich spreche ich in diesem Song so ehrlich über mein Leben wie nie zuvor. Das liegt aber auch daran, dass ich mittlerweile über 30 bin und es an der Zeit war, diese Dinge endlich klar auszusprechen.

Das Album ist deutlich härter als seine Vorgänger. Denkst du, dass die Fans, die in den letzten Jahren dazugestoßen sind, das nachvollziehen können?
Ich habe in meinem Leben genügend Balladen geschrieben. Die neue Platte ähnelt wieder mehr meinem Debütalbum »Dobermann«, hat allerdings die Professionalität von heute. Vom Sound her ist sie hungriger und schneller, insgesamt etwas grober als die letzten Sachen. Viele Rapper sind mir zu laut geworden, auch deshalb mache ich wieder mehr ein Fass auf. Ich glaube, die Leute werden das verstehen. Die Sachen sind ja nicht angriffslustiger auf Kosten anderer, und meine Standpunkte sind die gleichen: Niemals auf Schwächeren herumhacken, fair, real und gerade bleiben.

Text: Alexander Barbian
Foto: Alok Paleri

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #186. Back-Issues können versandkostenfrei im Shop nachbestellt werden.

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