Inhaltlich liefert Snoop, was man von Snoop erwartet: Waffen und Sex, hartes Feiern und lässige Gang-Histörchen. Kann man kritisieren, auch wenn’s Reality Rap ist. Sexismus und sexualisierte Gewalt, schön verpackte Illustrationen des Gangster-Lifestyle? Check, check, check. Im Kontrast dazu ist aber auffällig, dass Snoop sich schon in der Promophase oft anders positioniert: »Ich werde versuchen, Gang-Gewalt auszulöschen. Frieden wird meine Mission sein.« Und: »Ich habe das alles gesehen und verherrliche es nicht, aber ich will auch nicht predigen. Wenn meine Mom mir etwas verboten hat, wollte ich genau das tun. Lieber bringe ich all das zu den Leuten, damit sie es nicht selbst erleben müssen.« Die Unsicherheit um die Mordanklage mag da durchaus mitschwingen.
Dass es nach »Doggystyle« ruhig um Snoop wird, wäre keine ganz faire Formulierung, immerhin hat er mit dem Popstar-Leben zu tun, ist von »The Arsenio Hall Show« bis »Saturday Night Live« im Fernsehen unterwegs und wird zur Stilikone mit Khakis und Braids, die ein Hilfiger-Rugbyshirt über Nacht zum Kult machen kann (so geschehen bei seinem SNL-Auftritt). Auf neue Musik von Snoop wartet man aber vergeblich. 1994 erscheint der von Dre und Fab 5 Freddy inszenierte Kurzfilm »Murder Was The Case«, der wie der gleichnamige Albumtrack von einem Deal zwischen Snoop und dem Teufel handelt und bestenfalls B-Movie-Qualitäten hat. Der zugehörige Soundtrack ist ein recht guter Death-Row-Labelsampler, Snoop taucht aber nur auf zwei neuen Songs auf.
Erst als der langwierige Mordprozess Anfang 1996 mit dem erlösenden Freispruch für Snoop endet (auch Malik wird wegen Notwehr freigesprochen), kommt langsam Bewegung in die Sache. »2 Of Amerikaz Most Wanted«, der einzige gemeinsame Song von Snoop und 2Pac, die seit Jahren befreundet sind, erscheint als zweite Single aus Pacs Mammutalbum »All Eyez On Me«, die beiden machen mit Suge Knight Urlaub in Südamerika, und als Snoop endlich sein zweites Album angeht, hat sich Dr. Dre gerade im Streit von Death Row getrennt. Snoop bleibt zwar in Kontakt mit seinem Mentor, Knight verhindert aber eine Zusammenarbeit. Tatsächlich sind seit »Doggystyle« drei Jahre vergangen, als der Nachfolger »The Doggfather« endlich erscheint. Für viele Fans und Kritiker ist das überlange Album eine Enttäuschung. Daz und DJ Pooh sorgen zwar für ein paar gute Momente, dazwischen verderben aber zu viele C-Produzenten und halbgare Aussagen den Spaß, unentschlossen pendelnd zwischen Gangsterattitüde und gewollter Positivität. Da können auch die anständigen Verkaufszahlen nichts retten. Nach 2Pacs Tod und Suge Knights Verhaftung verlässt Snoop so wie die meisten noch verbliebenen Künstler Death Row, das eilig in die Irrelevanz schlittert.
Während Suge Knight unnötiges Archivmaterial seiner ehemaligen Künstler auf den Markt schmeißt, landet Snoop einen unerwarteten Coup und unterschreibt bei HipHops erfolgreichstem Camp der Neunziger: No Limit Records, berüchtigte Fließband-Rapfabrik in New Orleans (siehe JUICE #172). Bis heute ist er Master P zutiefst dankbar dafür, was er dort über das Geschäft lernen konnte. Nach den Jahren mit Suge Knight, in denen Snoop nie schlecht, aber eben auch nie gerecht an seinem Erfolg verdient hat, fühlte er sich endlich da angekommen, wo er hinwollte. Nur musikalisch ergab das zunächst wenig Sinn, denn anstatt auf seine künstlerische Identität zu pochen, folgt Snoop Dogg 1998, erstmals ohne das »Doggy«, mit dem grausigen »Da Game Is To Be Sold, Not To Be Told« bedingungslos der No-Limit-Formel. Zwei künstlerische Fehlgriffe auf einen Klassiker – konnte das noch gutgehen? Nun, es konnte. Snoop war als Geschäftsmann und öffentliche Figur stark genug, um weiter mehr als solide zu verkaufen und auch im Lollapalooza-Indie-Zirkus ein großer Live-Act zu werden, bevor 1999 die Sterne endlich wieder günstig standen. Rehabilitation, Teil 1: für »No Limit Top Dogg« kann Snoop endlich wieder mit Dr. Dre und weiteren Westküstlern wie dem unantastbaren DJ Quik arbeiten und legt ein erleichternd gutes, wenn auch immer noch absurd langes Album hin, das wieder nach Snoop statt nach No Limit klingt. Rehabilitation, Teil 2: Ende 1999 droppt der »Chronic«-Nachfolger »2001« von Dr. Dre, ein Blockbuster mit Snoop auf drei Songs, darunter die zwei Singles »Still D.R.E.« und »The Next Episode«. Ende Akt 1. Durchatmen.
Irgendwo hier, um 2000 herum, findet eine Zäsur statt, die gar nicht so leicht zu greifen ist. Es ist, als wäre die Reunion mit Dre nötig gewesen, um ein großes Kapitel abzuschließen. Vielleicht ist die zeitliche Distanz zu »Doggystyle« und dem Death-Row-Drama aber auch einfach groß genug, um endlich nicht mehr nur zu reagieren, sondern selbst die Richtung vorzugeben. Dass er mittlerweile verheiratet und dreifacher Vater ist, kommt sicher dazu. Der Snoop, den wir nach 2000 erleben, ist jedenfalls nicht mehr primär Gangster, sondern immer mehr, nun ja, Lebe- wie Geschäftsmann. Seine Business-Moves riechen trotzdem nie nach Zehn-Jahres-Plan, sondern nach Lustprinzip. Beispiele? Nach seinem letzten No-Limit-Album »Tha Last Meal« veröffentlicht er auf Doggystyle Records ein Album der Mädelsgruppe Doggy’s Angels, dreht auf seinem Anwesen einen durchaus gefeierten Pornofilm, der ganz nebenbei ein Promo-Vehikel für Tha Eastsidaz ist, seine Gruppe mit Tray Deee und Goldie Loc, die einen Großteil der Musik liefert. Er, Nate Dogg und Warren G veröffentlichen endlich ein Album als 213. Er spielt Hauptrollen in der HipHop-Komödie »The Wash« und dem trashigen Blaxploitation-Horrorfilm »Bones«, hört (sehr kurz) öffentlichkeitswirksam auf zu kiffen und macht eine Lizenz als Footballtrainer, um die Mannschaft seines Sohnes zu coachen.
Dieser runderneuerte Snoop, bei dem es auch mal ohne Härte geht, tut sich 2002 mit den Neptunes zusammen, die ihm mit »Beautiful« den Sommerhit bescheren, bei dem er schon gar nichts mehr tun muss außer aufzutauchen. Im Video zu »From Da Chuuuch To Da Palace« spielt eine Snoop-Actionfigur, die man natürlich kaufen kann, eine tragende Rolle. Alle Welt spricht plötzlich Snoop-Patois (»Fa shizzle dizzle, it’s the big Neptizzle«). Das zugehörige Album »Paid Tha Cost To Be Da Bo$$« könnte sein bestes nach »Doggystyle« sein, wenn es nicht … ach herrje, Snoop, müssen’s echt 79 Minuten sein? Immerhin: Neben Westcoast-Recken wie Battlecat und Fredwreck sorgen Just Blaze, Premier und Hi-Tek für willkommene Abwechslung. Und zum Schluss schwört Snoop auf sein Leben: »Suge Knight’s a bitch.« Natürlich ist das alles ein ziemlicher Gemischtwarenladen, zeigt aber einen Snoop, der lieber ein guter Entertainer sein möchte als ein zu alter Gangstarapper.
Inspiriert durch die extravaganten Zuhälter aus klassischen Blaxploitation-Filmen wie »The Mack«, aber auch aus seinem Umfeld, hat Snoop sich schon früh für den Pimp-Lifestyle interessiert, den er jetzt immer mehr stilistisch adaptiert. Schon lange ist er mit dem legendären Ex-Pimp Don »Magic« Juan befreundet und Stammgast beim jährlichen Players Ball, der Dauerwellenzuhälter-Convention in Chicago. Unvergessen ist der Auftritt von Snoop mit einigen dieser flamboyanten Player im Video des »P.I.M.P.«-Remixes – und der schwer irritierende Gang über den roten Teppich der VMAs 2003 mit zwei angeleinten Prostituierten. Nach eigener Aussage geht das so weit, dass Snoop das Pimping eine Zeitlang richtig ernsthaft betreibt – weil er so ein Naturtalent sei und schon als Kind davon geträumt habe. Als seine Ehe daran zu zerbrechen droht und schon die Scheidung eingereicht ist, kommt Snoop aber zur Besinnung und widmet sich verstärkt seiner Familie.
Als sei ein Schlussstrich unter diese Zeit fällig gewesen, landet Snoop Ende 2004 tatsächlich seine späte, erste Nummer-eins-Single in den Billboard-Charts. Und was für eine: »Drop It Like It’s Hot«, ein rauschendes Trumm aus Tiefbass, minimalen Drums, Schnalzlauten, Pharrell-Sechzehner und dem liebgewonnenen Neo-Snoop in Bestform. Es ist gut denkbar, dass in diesen viereinhalb Minuten zum letzten Mal alles perfekt war, dass »Drop It Like It’s Hot« der letzte wirklich große Moment der Neuerung sowohl von Snoop als auch den Neptunes war, auf den sich alle einigen konnten. Zumindest im Katalog von Snoop Dogg, um den es hier gehen soll, wird es ab hier nämlich fast unmöglich, eine Art von Konsens herauszuschälen. Ist »R&G (Rhythm & Gangsta): The Masterpiece« zum Beispiel wirklich ein Meisterwerk oder doch nur ein zu spätes Aufspringen auf den Star-Trak-Zug, als die Neptunes schon längst auf dem Weg in die Radiopop-Belanglosigkeit sind? Ist »The Blue Carpet Treatment« eine willkommene Rückkehr zu alter Härte und Gangtalk? Sind auf »Ego Trippin’« ernsthaft die Autotune-Komödie »Sexual Eruption« UND ein Country-Song übers Kiffen? Was um Himmels willen war auf »Doggumentary« los, und ist es wirklich verdammte 88 Minuten lang? Müssen wir über Songs mit den Bee Gees, Psy oder den Pussycat Dolls sprechen? Will Snoop uns wirklich noch etwas sagen, außer dass er immer noch Musik macht, echt viele coole Leute kennt und selbst eh der Coolste ist? Und: Spielt das alles eine Rolle?
Es würde hoffnungslos den Rahmen sprengen, hier jedes der inzwischen 15 Snoop-Soloalben plus unzähliger Nebenprojekte, Mixtapes, EPs und dergleichen angemessen zu verhandeln. Snoop veröffentlicht schon lange mit derselben Regelmäßigkeit Musik, mit der er auch die Folgen seiner brillant albernen Webserie »GGN Hood News« veröffentlicht, und im Gegensatz zu den ersten zehn Jahren seines Schaffens steht die Musik eben nicht mehr allein im Mittelpunkt. Das mag hart für jemanden sein, der noch mal so ein Erlebnis wie »Doggystyle« erwartet. Aber darum geht es nicht. Snoop lebt und handelt als Entertainer, der viele seiner Leidenschaften gleichberechtigt verfolgt – ganz einfach, weil er’s kann. Er verkauft Vaporizer und Cannabisprodukte, hat das Weed-Portal merryjane.com gestartet, taucht aber auch im Familienfernsehen und in harmlosen Werbespots auf. Zu akzeptieren, dass wir es nicht mehr nur mit Snoop, dem Rapper, zu tun haben, macht es viel einfacher, mit seinem durchwachsenen Œuvre zurechtzukommen. Auf jedes haarsträubende Abenteuer (2012: Urlaub auf Jamaika, wird Rastafari, nennt sich Snoop Lion, macht mit Diplo ein Reggae-Album mit Fake-Akzent plus Dokumentarfilm) kommt ein wirkliches Herzensprojekt (2013: Snoop und Dâm-Funk bilden das Duo 7 Days Of Funk und schrauben ein astreines Eighties-Synth-Album). Und klar ist es schön, dass er nach Herzenslust Musik mit seinen Söhnen (The Broadus Boyz: »Royal Fam«) oder Freunden wie Daz Dillinger (»Cuzzns«) machen kann – »Neva Left« war im letzten Jahr sogar ein richtiges Highlight unter Snoops späten Alben. Aber vielleicht sollten wir viel lieber glücklich darüber sein, dass Snoop inzwischen außerhalb von Rap mehr Zeichen setzen und gute Dinge hinterlassen kann.
Seine Snoop Youth Football League hilft seit 2004 Tausenden Kids aus schwierigen Verhältnissen – nachzusehen in der Serie »Coach Snoop«. Zu Thanksgiving verschenkt er Truthähne an bedürftige Familien in Inglewood, und in den US-Ausgaben von »Wer wird Millionär?« und »Familienduell« witzelt er für den guten Zweck. Anfang 2017 schießt Snoop im Video zu »Lavender« (mit BadBadNotGood und Kaytranada) mit einer Spielzeugpistole auf einen auffällig nach Trump aussehenden Clown und begibt sich freiwillig in eine nicht ganz angenehme Lage, als er über »this fucking clown as president, and the shit we’re dealing with out here« schimpft. Schön, dass der nette Onkel Snoop sich eben doch noch aus dem Fenster lehnen kann.
Wie schön könnte das Bild erst sein, wenn Snoop und seine Entourage nicht immer wieder wegen Waffen- und Gewaltdelikten unsinnigen Ärger mit dem Gesetz bekämen? Aber ganz so einfach ist das alles nicht für den alt gewordenen Jungen aus Long Beach. Das erinnert an zwei ältere Freunde, die in Snoops Leben wichtige, sogar väterliche Rollen spielen. Der eine Freund ist der erwähnte Don »Magic« Juan, ehemaliger Zuhälter, der in den Achtzigern zu Gott fand und inzwischen Pfarrer in seiner eigenen Kirche ist. Der andere Freund war Stanley »Tookie« Williams, Mitbegründer der Crips, der sich während seiner Haftstrafe gegen Gang-Gewalt einsetzte, erfolgreich Kinderbücher schrieb und mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Leider zu spät – Tookie wurde 2005 trotz zahlreicher prominenter Unterstützer und Gnadengesuche unter Gouverneur Schwarzenegger durch eine Giftspritze hingerichtet. Irgendwo in diesem chaotischen Spannungsfeld zwischen Gewalt und Frieden, Ausbeutung und Loyalität, Irrwegen und Bekehrungen ist Snoop aufgewachsen. Auch heute, mit 46 Jahren, trägt er diese Ambivalenz noch in sich.
Wie um ein Zeichen zu setzen, ist gerade Snoops Gospel-Album »Bible Of Love« erschienen. Es geht um Liebe. 32 Tracks lang.
Foto: Pascal Kerouche
Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #186. Back-Issues können versandkostenfrei im Shop nachbestellt werden.