In einem 25-minütigen Video erzählt Skepta um 2012 von seiner »Underdog Psychosis«. Er schildert seine Erfahrungen als Jugendlicher, erzählt, dass er Arzt werden wollte, ihm aber in der Schule und von der Gesellschaft immer wieder gespiegelt wurde, dass er das nicht schaffen könne, dass er nicht gut genug sei. Zusammen mit Alltagsrassismus hätten diese Erlebnisse zu einer Fick-die-Welt-Haltung geführt. In seinem Monolog reflektiert er seine Erfahrungen und nimmt Abstand von dieser Attitude; meint, dass es genau das ist, was »sie« wollen, die ihn aufgrund von Race und Class ausschließen. Er sagt, er kenne beides: nichts zu haben – keine Kohle, keine Perspektive – und alles zu haben, mit reichen Menschen in einem Raum zu sein. Aber auch hier, scheinbar am Ziel, habe er Ausgrenzung erfahren. Er gehörte nicht dazu, ist nicht upper-class, bleibt Hood und wird auch weiter so gesehen. Das Video ist die Reflexion der Erfahrung, ein Leben lang Selbstwert von anderen abgesprochen bekommen zu haben. In einem Interview mit dem Crack Magazine bezeichnet er die Aufnahme 2015 rückblickend als Katharsis. Zusammen mit dem Mixtape »Blacklisted« von 2012 vollzieht er einen Reset, macht sich frei von dem Versuch, gefallen zu wollen. Er fokussiert sich auf sich, verabschiedet sich von der Musikindustrie und besinnt sich auf seine DIY-Erfahrung.
»Blacklisted« wird für ihn zu einem Wendepunkt, wie er 2015 in einem Interview mit der Journalistin Hattie Collins sagt: »Jedes Mal, wenn ich es höre, höre ich mich selbst. Ich sage zu mir: Es ist gut, dass dir das passiert ist, Skepta. Es ist gut, dass du gekämpft hast, dass du an den Punkt gekommen bist, an dem du gesehen hast, dass die Scheiße nicht richtig sein kann. Von da an habe ich Musik mit einer echten Freiheit gemacht.« Nach dem Mixtape dauert es etwas, bis er diese neu gewonnene Selbstsicherheit mit Musik ausdrückt.
2014 landet er dann mit der Grime-Brechstange »That’s Not Me« zusammen mit seinem Bruder JME wieder auf der Bildfläche. Den im besten Sinn oldschool klingenden Tune hat Skepta mit dem Korg-Triton-Keyboard produziert, das in der ersten Blüte von Grime die Sounds für Beats von Jammer, Wiley und eben auch Skepta geliefert hatte. Der Londoner kehrt damit zu seinen Anfängen zurück, legt aber die Erfahrung hinein, die er in den zehn Jahren dazwischen gesammelt hat. Mit »That’s Not Me« feiert er das, was Grime am Leben gehalten hat, auch wenn das Genre von der Plattenindustrie ignoriert wurde und es im Mainstream kaum Spuren davon gab. Nicht nur das Instrumental mit der simplen und catchy Melodie von Eski-Sounds, dem knarzigen Bass und den steppenden Beats zeigt die Rückkehr von Skepta zu seinen Anfängen. Er spittet im Refrain: »Yeah, I used to wear Gucci/I put it all in the bin, ’cause that’s not me/True, I used to look like you/But dressing like a mess? Nah, that’s not me«.
Skepta feiert zwar Statussymbole und Fashion, tauscht aber Glamour gegen Streets, Gucci gegen schwarze Tracksuits und Sneakers. Der Track bringt nach dem Tune »German Whip« von Meridian Dan, JME und Big H, der kurz zuvor über die Szene hinaus rumorte, den zweiten Anschub für den neuen Pop-Frühling von Grime und erreicht Platz 21 der britischen Charts. Ein Jahr später, 2015, legt Skepta mit »Shutdown« nach und hält die Aufmerksamkeit hoch. Wieder ein Jahr später, 2016, erscheint dann sein lang erwartetes viertes Album »Konnichiwa« – und bringt ihm den Mercury Prize ein. Seitdem hält sich Skeppy mit seiner Entourage von Boy Better Know im Gedächtnis, liefert einen Banger nach dem anderen, ob solo, mit MCs aus den USA wie A$AP Rocky oder aus England wie D Double E oder Dizzee Rascal.
So viel man darüber spricht, wie wichtig die Anerkennung von Grime durch Kanye West oder Drake ist, Grime gab es auch, als sie nichts davon wussten. Skepta mag das Aushängeschild von Grime in den USA und Deutschland bis Japan sein. Er zeigt sich aber bewusst darüber, dass er nicht allein Grime ist und die Welle der Aufmerksamkeit schnell vorbei sein kann. Fast wirkt es, als rechne er damit; aber auch damit, dass Grime, er als Künstler und BBK als Kollektiv dennoch weiter bestehen werden. In seiner Dankesrede beim Mercury Prize sagte er nicht umsonst: »Let’s do this for us. Let’s do this for our families.«
Text: Philipp Weichenrieder
Foto: Lukas Maeder
Dieses Feature erschien erstmals ins JUICE #189. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Online-Shop bestellen.
Die schwarze Ethnie. So unheimlich schön und so viel schönheit, die ungesagt blieb, bleibt!! *heul*