Kings of HipHop: MF DOOM // Feature

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Victor von Doom

Die primäre Inspirationsquelle für seine Neuerfindung als MF DOOM findet Dumile in den Geschichten der Marvel Comics. Stan Lee und Jack Kirby entwerfen 1962 die Figur des Victor von Doom, alias Doctor Doom, der den Fantastic Four und später auch unter anderem Spiderman, den X-Men und den Avengers als Antagonist dient.

Von Doom ist ein hochintelligenter, zu Magie veranlagter Wissenschaftler, der aus seinem fiktiven Heimatland Latveria emigriert, als er von einer Universität in den Vereinigen Staaten umworben wird. Er lernt dort seinen späteren Widersacher Reed Richards (besser bekannt als Mister Fantastic) kennen und unternimmt einen Versuch mit verheerenden Folgen. Bei der Konstruktion eines Geräts, das die Kommunikation mit Toten ermöglichen soll, unterlaufen ihm in seinen Kalkulationen schwerwiegende Fehler. Die anschließende Explosion entstellt sein Gesicht, sodass er von dort an nur noch mit einer Metallmaske in Erscheinung tritt.

Von Hass und dem anhaltendem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten getrieben, verfolgt der selbsternannte Doctor Doom hiernach in klassicher Bösewicht-Manier den Plan, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Metalface Villain

Die eigenen Geschichten des Rappers DOOM sind viel zu verworren, als dass man ihnen eine genaue inhaltliche Anlehnung an die Marvel-Figur unterstellen könnte. Textanalysen scheitern oft schnell an der unfassbaren Dichte an Verweisen und Wortspielen, die DOOM zu einem so gern gesehenen Gast unter den verkopften Rap-Hörern macht. Vielmehr bietet der Kontext des entstellten, missverstandenen, genialen Bösewichts den narrativen Rahmen für unterschiedliche Fiktualisierungen. Der erste Langspieler unter dem Namen MF DOOM stellt zwei der Charaktere in Dumiles Figurenarsenal zum ersten Mal kryptisch vor.

The Time We Faced DOOM

Die offizielle Geburtsstunde der MF DOOM-Figur ist irgendwo zwischen den Jahren 1997 und 1999 anzusiedeln. Seine erste Single nach Ende der KMD-Ära erscheint 1997 über Bobbito Garcias Fondle Em Records. Die Beiden sind alte Freunde aus 3rd Bass Tagen. Als Bobbito den Entschluss trifft, seine eigene, unabhängige Plattenfirma zu gründen, um wenig beachteten Rappern aus dem New Yorker Untergrund eine Plattform zu bieten, fragt er auch bei Dumile nach. Dieser willigt ein, auf Fondle Em Records sein Comeback zu geben—allerdings nicht mehr als Zev Love X, sondern als MF DOOM. 1997 erscheinen zwei Singles und verbreiten sich schnell in der Szene. Im Folgejahr tritt DOOM zum ersten Mal unter seinem neuen Pseudonym maskiert im Nuyorican Poets’ Café auf. Der Verlauf der Maskensaga sei im beigefügten Kasten näher beleuchtet. Ein Jahr später erscheint schließlich MF DOOMs Debütalbum »Operation:Doomsday.«

Die Anfangsminuten, sowie ein signifikanter Teil der restlichen Platte, sind durchzogen von gefundenen Vocal-Schnipseln. Standesgemäß tauchen Auszüge aus den Fantastic Four-Comics auf, aber auch aus anderen obskuren Quellen. Diese Pastiche-Methode soll, genau wie die Maskierung und seine verquere Delivery, zu DOOMs Markenzeichen werden. Inspirieren lässt er sich bei der Technik von seinen ersten Berührungen mit einer Frühform des HipHop. In den frühen Achtzigern war DOOM ein großer Fan der »Zulu Beats Shows« auf dem Radiosender WHBI. Die Shows boten Drumbreaks der Marke »Funky Drummer« oder »Apache« und wurden oftmals von Auszügen aus alten Comedy-Serien unterlegt. Für DOOM dienen die Schnipsel als grober Leitfaden für seine Alben, fügen eine narrative Struktur hinzu, kommentieren, begleiten und beeinflussen seine Texte und weisen ihn als obsessiven Weirdo-Kultur-Nerd aus. Die Kunst der Kollage wird von ihm bereits auf »Operation:Doomsday« gemeistert.

Take Me To Your Leader

So erfährt die Welt beispielsweise schon auf dem ersten DOOM-Album von der Existenz eines gewissen King Geedorah (auch Ghidra geschrieben). »These monsters can destroy you and together conquer the entire earth,« heißt es am Ende von »Operation: Greenbacks.« Dem Track wird, genau wie »Red And Gold,« sogar ein Feature von King Ghidra zugeschrieben. Besagte Figur ist eine Kreatur aus den Godzilla-Filmen—ein dreiköpfiges, drachenähnliches Monstrum, das aus dem Weltraum auftaucht, um die Erde anzugreifen. Seinen zweiten Langspieler widmet DOOM vier Jahre nach seinem Debüt komplett dieser Kreatur.

»Take Me To Your Leader« offenbart vor allem die Wandelfähigkeit des Produzenten MF DOOM, die er aus seinem Wechselspiel der Figuren gewinnt. Zwar sind die Beats ästhetisch ähnlich niedrig auflösend gehalten, aber die Sample-Grundlagen kommen deutlich pompöser daher, als auf dem über weite Strecken genial untertrieben gehaltenen Vorgänger-Album. Streicher, Bläser und kreischende Gitarren rücken in den Vordergrund, beschwören die destruktive Macht aus dem Weltall quasi im Alleingang herauf. DOOM selbst rappt auf dem Album deutlich weniger, lässt oftmals seiner Monsta Island Czars Posse den Vortritt.

Die unterschiedlichen Genesen seiner Figuren sind stets als Meta-Narrativ zu verstehen. So bietet »I Wonder« zum Beispiel eine Gänsehaut-induzierende Nahaufnahme aus dem Leben des MF Grimm, mit dem DOOM im Jahr 2001 auch eine gemeinsame EP aufnimmt. Oberflächlich hat der Track nichts mit der Figur des King Geedorah zu tun hat, ergibt im »Take Me To Your Leader« Sound-Konstrukt aber voll und ganz Sinn.

Special Herbs

Dass DOOM neben seinem herausragenden Talent als Wortschmied auch als Beatproduzent auf seinem eigenen Planeten fungiert, wird durch seine tiefschürfende Instrumental-Serie »Special Herbs« verdeutlicht. Die inzwischen zehn Ausgaben umfassende Sammlung vereint Beats, die der Metalface Villain oftmals für seine eigenen Lieder verwendet. Getreu dem Motto einer ausgefallenen Gewürzmischung—welches wohlgemerkt so weit geht, dass DOOM die Tracktitel jeweils einem anderen Gewächs widmet—bietet jede Ausgabe ein Amalgam aus den unterschiedlichsten Schaffensperioden des Künstlers. So landen beispielsweise Beats von »Special Herbs 1 & 2« auf Veröffentlichungen wie »Operation:Doomsday,« »Fishscale« und »Mm..Food?.«

Der Fußabdruck einer DOOM-Produktion lässt sich zumeist unschwer erkennen. Obskure Funk- und Soul-Loops aus den 70ern und 80ern werden über trockene Drum-Klänge aus der Casio gelegt, dehnen sich oftmals über mehr als ein oder zwei Takt-Durchläufe aus. Die Hoch- bis Mittelfrequenz steht in der Regel im Vordergrund. Die emotionale Note eines DOOM-Beats kann von melancholisch bis belustigend reichen, klingt aber immer gewollt eigen und überzeichnet. Sie alle bieten genügend Eigenleben, um als Instrumental-Version zu bestehen, lassen aber Spielraum für halsbrecherische lyrische Abfahrten. Der Fall DOOM zeigt eines der beeindruckendsten Beispiele für die Fähigkeit eines Rap-Musikers, seine künstlerische Vision sowohl in Klang als auch in Text perfekt zu verwirklichen. Die stimmungstechnische Vielfalt seiner Beats ermöglicht ihm das Einschlüpfen in unterschiedliche Charaktere, während seine stilistische Kohärenz zu jeder Zeit das Gesamtkonstrukt zusammenhält.

I’d rather masturbate than fuck with Vik Vaughn

Wiederrum ein anderes Klang- und Konzeptgerüst greift auf dem dritten Studioalbum des Solo-Künstlers MF DOOM. Als Viktor Vaughn personifiziert er die juvenile Seite des ärgerstiftenden Stinkstiefels. Durch die Beats, die in diesem Fall nicht von DOOM selbst stammen, sondern von Produzenten aus dem Sound Ink-Umfeld und von RJD2, pumpt zum Großteil ein energischerer Puls. Gleichzeitig wird auch der Backstory des auf der Erde eintreffenden, zeitreisenden Außerirrdischen durch das immer wiederkehrende synthetische Geflicker vom Sound her ein Kontext bereitet. Vaughn symbolisiert den jungen Zev Love X in einer überzeichneten, teilweise ins Perverse gerückten Karikatur. Alle anderen Rapper werden zu Opfern. Gleich zu Beginn erfolgt auf »Vaudeville Villain« die Ansage: »V. Vaughn, the travellin’ Vaudeville Villain/ Who don’t give a flyin’ fuck who ain’t not feelin’ him.«

DOOM kommentiert durch sein Vaughn-Alter Ego explizit den Rap-Zirkus der Zeit, macht sich über die immer gleichen Stereotypen in Cypher-Kreisen lustig und schreibt sich selbst in der dritten Person auf die Fahne: »He only came to save the game like a memory card.« »Vaudeville Villain« ist quasi als Battle Rap-Album zu verstehen, manövriert aber durch den fiktiven Hintergrund geschickt an den Fallen vorbei, die sich einer Platte dieser Sorte ansonsten stellen. Vaughn rappt Kreise um seine Gegner, ohne dass die überhaupt begreifen, was da mit ihnen gerade geschieht.

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