Kings of HipHop: MF DOOM // Feature

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»He wears a mask just to cover the raw flesh/ A rather ugly brother with flows that’s gorgeous.« Lange Zeit bevor die Maske im HipHop zum Selbstzweck wurde, trug ein Mann sein Exemplar als unverzichtbaren Teil seiner Darbietung. Nach seiner Neuerfindung als MF DOOM, verschmolz das Rap-Alter Ego des Daniel Dumile mit seinem eisernen Gesichtsschmuck, den er sich als explizites Statement gegen die Industrie, und von seiner Liebe zu Comicbüchern geprägt, aneignete. Mit diesem Kunstgriff und der einhergehenden Verkörperung des kompromisslosen Rap-Bösewichts setzte DOOM neue Maßstäbe. Als Rapper und Produzent spielt er seit Jahrzenten in seiner völlig eigenen Liga, spricht in seiner völlig eigenen Sprache der Eingeweihten-Lyrik. Wir verneigen uns vor dem Herrscher des Untergrunds.

Barcelona, 2013. Ein erwartungsvolles Festival-Publikum von circa 1000 internationalen Feierwütigen findet sich im SonarDôme ein, um einen Blick von dem Mann zu erhaschen, um den sich so viele Geschichten ranken. Zusammen mit Jneiro Jarel soll der maskierte Rap-Bösewicht DOOM während der nächsten Stunde einige Lieder von ihrem »Keys to the Kuffs« Album zum Besten geben.

Was zu einer erfrischenden Zelebrierung von experimentellem HipHop im Rahmen eines Tanzmusik-Festivals hätte werden können, endet in einem Fiasko. Schnell und drastisch schrumpft das Publikum, als sich JJ DOOM für Festival-Verhältnisse exorbitant viel Zeit lassen, um in Erscheinung zu treten. Kann sein, dass dieser DOOM erst gar nicht auftaucht, denken wohl viele. Weiß man bei dem ja nie. 15 Minuten vor Ende seines Timeslots kommt DOOM schließlich auf die Bühne geschlurft. Ein Großteil des Ausgangspublikums ist da bereits zu aufregenderen Gefilden aufgebrochen.

Die Darbietung ist eine Katastrophe. Jarel rappt mehr DOOM als DOOM, weil dieser sich scheinbar nicht auf seine Texte konzentrieren kann, hin und wieder gelangweilt ins Mikrophon nuschelt und stets mehrere Atemzüge am Playback vorbeisemmelt. Am Ende des Auftritts sind vielleicht noch 50 Schaulustige übrig geblieben. Ein kläglicheres Bild bietet sich über die Dauer des Sónar Festivals zu keinem anderen Zeitpunkt in der großräumigen Halle.

His life is like a folklore legend

Geschichten wie diese sind Teil der DOOM-Folklore. Ein Jeder DOOM-Fan, der den Supervillain leibhaftig zu erleben sucht, endet früher oder später gebrandmarkt. Wer DOOM sehen will, muss leiden. Wenn der Supervillain einen Fick geben würde, wäre er nicht der Supervillain. Die Kunstfigur, die Daniel Dumile verkörpert, ist eine von Grund auf authentische.

Am Ende von »The Illest Villains« definiert der Voiceover den Madvillain als »die dunkle Seite unserer Veranlagung« und fährt fort: »Womöglich liegt es an dieser außergewöhnlichen Verbindung, dass sich das Publikum durch die eigenen Lebenserfahrungen mit den Bösewichten und ihren teuflischen Taten identifizieren kann.« Jedes DOOM-Album, jeder DOOM-Auftritt, jede Sekunde, die dieser Mensch unter einer Maske verbringt, erzählt eine Geschichte.

Die DOOM-Figur erzählt in ihrer Existenz Geschichten von Verzweiflung und tollkühnem Widerstand, von Machtverhältnissen, von Außenseiter- und Nerdtum, von Selbstgerechtigkeit, Eigenwillen; von Missvertrauen und missverstanden Sein, von Frust und Frustbewältigung. Sie erzählt auch von der Liebe zur Geschichte selbst, der Liebe zur Sprache, von einer unendlichen Begeisterung für das Verworrene und Verborgene und von Wissen als Macht. Sie erzählt von Kunst als Zuflucht.

Zev Love X

Für Daniel Dumile schlägt die Wage zum Villain durch die Musikindustrie über. Die DOOM-Figur bildet sich während einer Schaffenspause heraus. Dumile verliert zuvor auf einen Schlag den eigenen Bruder, den Plattenvertrag und das Vertrauen in die Welt. Er schlüpft von da an in ein Comicbuch, um die eigene Situation zu entfremden und um die Welt narrativ seine Rache spüren zu lassen. Er entwirft eine alternative Identifikationsfigur, die er in jeder Sekunde verkörpert und auf Klangträgern verewigt.

Um die Figur greifbar machen zu können, muss man zunächst die Anfänge betrachten, des damals noch Graffiti-sprühenden Gelegenheitsrappers Zev Love X.

Zev ist in seinen jungen Tagen Teil der KMD Crew, die in den frühen Achtzigern auf Long Island um die Blocks zieht. Sie gehen zusammen zur Schule, kritzeln gemeinsam an Skizzen, taggen Wände, tanzen Bruch – die ganze Chose. Am Liebsten wollen sie mit den Musiker-Kids spielen, die sich an den Turntables und manchmal auch am Mikrofon austoben. Als die Jungs selber lernen, mit dem Equipment umzugehen, wird Musikmachen zu ihrer Leidenschaft. Sie nehmen Tapes auf und feilen an ihren Fähigkeiten. Der erste Aufnahmeversuch von Zev Love X ist auf »The Cactus Album« von 3rd Bass zu hören. Zev lernt MC Serch bei einer Block-Cypher kennen. Ein knappes Jahr später steht er mit ihm im Studio und legt einen heute legendären Part auf »The Gas Face« hin.

Black Bastards

Im Video für den Track ebenfalls zu sehen ist Daniels jüngerer Bruder Dingilizwe Dumile alias DJ Subroc. Die Dumiles bilden den Kern der KMD Crew, die derweil fleißig an Eigenmaterial feilt. Nach einigen Single-Veröffentlichungen landet die Rapgruppe einen Vertrag bei Elektra Records, um für sie ein Album unter dem Titel »Mr. Hood« aufzunehmen. Von jugendlicher Leichtigkeit angetrieben, aber auch von Black Muslim-Ideologie beeinflusst, bietet »Mr. Hood« eine komödiantische Verarbeitung der zur gleichen Zeit vielerorts deutlich schwergewichtiger aufgegriffenen Five Percenter-Denkweise. Es scheint, als hätten KMD ihren Platz in der Branche neben befreundeten Künstlern wie Brand Nubian gefunden.

Das Nachfolgewerk »Black Bastards« sollte jedoch niemals auf Elektra Records erscheinen. Das Plattencover zeigt eine makabere Stilisierung der rassistischen Sambo-Figur, welche als Stereotyp in der Zeichnung symbolisch gehängt wird. Für die Verantwortlichen bei Elektra stellt das Artwork eine zu heikle Thematik dar. Das explizite politische Statement wird missverstanden, beziehungsweise aus Angst, Missverständnisse auszulösen, abgelehnt.

Subrocs Tod

Noch bevor die »Black Bastards« LP überhaupt vollendet wird, stirbt Subroc bei einem Unfall. Er wird von einem Auto erfasst, als er versucht, den Long Island Expressway zu überqueren. Daniel Dumile bleibt keine andere Möglichkeit, als das Album aus eigenen Kräften fertigzustellen, was im Angesicht der tragischen Umstände mit Sicherheit keine leichte Aufgabe darstellt. Als Dumile seinem Label das fertige Produkt samt kontroversem Cover unterbreitet, entschließt man sich bei Elektra, die Zusammenarbeit mit KMD zu beenden. Anstatt Zev Love X nach dem Tod seines Bruders zu unterstützen, erkennt man ohne eines der Kernmitglieder KMDs keinen Weg, das Verhältnis gewinnbringend fortzuführen.

Dumile wird später seinem Bruder immer wieder auf Platte Tribut zollen. Am Rührendsten sticht dabei womöglich das Zitat am Ende von »?« hervor: »I keep a flick of you with the machete sword in your hand/ Everything is going according to plan, man.« Besagtes Bild von Subroc trägt Dumile tatsächlich zu jeder Zeit in seinem Portemonnaie mit sich. Das Verwirklichen einer musikalischen Karriere kann zu weiten Teilen auch auf die Motivation zurückgeführt werden, die er daraus schöpft, Subrocs Vermächtnis in seiner Musik weiterleben zu lassen und ihren gemeinsamen Traum posthum zu verwirklichen.

Abtauchen und Auftauchen

Was genau im Leben des Daniel Dumile zwischen den Jahren 1994 und 1997 passiert, ist weitestgehend ein Rätsel. Den spärlichen eigenen Aussagen zufolge durchlebt er ein Dasein am Rande der Obdachlosigkeit und zieht schließlich von New York nach Atlanta. Ohne Plattenvertrag und von der Industrie gebrandmarkt, erfährt in diesen Tagen die Figur des Zev Love X seinen metaphorischen Tod.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Dumile seine Rap-Ambitionen an den Nagel hängt. Stattdessen feilt er im stillen Kämmerlein an einer alternativen Rap-Figur, die sowohl eine selbst-reflexive Verarbeitung der eigenen Erlebnisse darstellt, als auch eine kritische Aussage zur oberflächlichen Rap-Maschinerie liefert und die ihn zum unumstrittenen Herrscher über den Rap-Untergrund machen würde. In den Nebeljahren der Mittneunziger entsteht die Figur des MF DOOM—der maskierte Rächer, der der Welt feindselig gegenübertritt und Szenarien kreiert, die es so vorher im Rap noch nicht gegeben hat.

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