Kamasi Washington: Nur mit den Echten // Feature

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Ausgehend von Los Angeles hat Kamasi Washington den an die Eliten verlorenen Jazz zurückerobert – und ihm zu neuer Coolness verholfen. Schon mit Anfang 20 war er mit Snoop Dogg auf Tour, seit 2014 arbeitet er mit Kendrick Lamar und im vergangenen Jahr komponierte er eine sechsteilige EP für die New Yorker Whitney Biennial, eine der wichtigsten Plattformen für zeitgenössische Kunst.

Es ist diese unwiderstehliche Kombination aus Pop- und Hochkultur, mit der er sich auf die Cover einschlägiger Jazz-Magazine, aber eben auch in die JUICE katapultiert. Im Juni veröffentlichte Kamasi Washington nun sein zweites Soloalbum »Heaven And Earth«, eine auf der ersten Hälfte ganz handfeste und auf der zweiten Hälfte transzendentale Jazz-Offenbarung, die über das britische Qualitätslabel Young Turks erscheint. Wortwörtlich handfest wird es gleich auf dem Opener »Fist Of Fury«, In Bezugnahme auf den gleichnamigen Kung-Fu-Klassiker mit Bruce Lee bläst Washington zum Kampf: »And when I face with unjust injury/Then I change my hand/To fist of fury«. Die von Patrice Quinn und Dwight Trible eingesungenen Zeilen lassen sich nur zu leicht auf »By Any ­Means Necessary« von Malcolm X beziehen. Es ist Washingtons wütende Absage an die Warterei auf Gerechtigkeit. Seine Teilnahme am politischen Weltgeschehen ist echt, seine Künstlerpersönlichkeit aber vielschichtiger: Oft betont er einen Zwiespalt zwischen Reflexion der realen Welt und Introspektion. Seine besten Kompositionen seien ein Produkt seiner Intuition. Genauso müssen sie ein Ergebnis seines ausgezeichneten Musikgeschmacks sein. Auf »Heaven And Earth« hört man Alice Coltranes Spiritual Jazz, Tony Allens Afrobeat und Ennio Morricones Soundtracks heraus – und natürlich auch J. Dillas Drumpatterns und den G-Funk der West Coast.

Für die Verquickung von Jazz und HipHop wird Washington gefeiert. Er bestätigt: »Es gibt inzwischen eine ganze Generation von Jazz-Musikern, die mit Rap aufgewachsen ist. Wir kennen J. Dilla und Dr. Dre genauso gut wie Mingus und Coltrane.« Für den 37-Jährigen gleichen sich die beiden Genres in ihrer Motivation, nur ihre Mittel unterscheiden sich. Washingtons Theorie: Auch als die Musikinstrumente aus den Klassenzimmern ­verschwanden, blieb der unaufhaltbare Drang nach künstlerischem Ausdruck. Nur statt die Musik selbst einzuspielen, wurde sie im Rap gesamplet. Washington selbst hatte das Glück, mit echten Instrumenten aufzuwachsen – naheliegend als Sohn von Rickey Washington, der einst selbst mit Diana Ross und den Temptations arbeitete, seine Karriere als Produzent und Musiker aber aufgab, um Musiklehrer zu werden und, noch viel mehr, um als Vater seiner Söhne präsent zu sein – eine Seltenheit in Inglewood, South Central Los Angeles, in den Neunzigern einer der Brennpunkte des eskalierten Gangkriegs. Konstante Beschäftigung war das Mittel des Vaters, um die Söhne von der Straße fernzuhalten; konstantes Musizieren war die Reaktion des talentierten Kamasi, um anstrengenderer Arbeit zu entgehen. Jung fand er Gleichgesinnte, die ihn bis heute begleiten. In seiner ersten Highschool-Band spielte er mit Cameron Graves sowie Ronald und Stephen Bruner, Das Bruderpaar ist heute bekannt als Thundercat und Triumph. Inzwischen sind Kamasi und seine alten Freunde in dem losen Kollektiv West Coast Get Down organisiert, zu dessen Kreis auch Miles Mosley und Terrace Martin gehören. Letzterer ist vielleicht die Schlüsselfigur für die heute so enge Verzahnung von Jazz und HipHop in L.A. Er war es auch, der Washington Mitte der Neunziger einen Platz in Snoop Doggs Band verschaffte und ihn fast zwei Jahrzehnte später mit Kendrick Lamar verlinkte.

Auf Lamars »To Pimp A Butterfly« tritt Washington als Gastmusiker und ­Arrangeur in Erscheinung. Das Album wird 2015 zum Instant Classic und Soundtrack der Black-Lives-Matter-Bewegung, genau wie auch Washingtons kommerzielles Debüt »The Epic«, das kurz darauf eine vergleichbare Strahlkraft in der kleineren Subkultur entwickelt. »The Epic« ist ein dreistündiges Manifest, das musikalisches Ausnahmekönnen mit einer kaum zu überhörenden Kampfansage an die unerträglichen Zustände der Gegenwart vereint. »Musik war eine Waffe der Bürgerrechtsbewegung« – Washington will diese Waffe zurückerobern. Mit dieser Attitüde ist er innerhalb kürzester Zeit zum Shootingstar der Jazz-Welt avanciert und hat den Mainstream erobert. Dass die Platte über Flying Lotus’ Label Brainfeeder erschien, tat nach der Kendrick-Kollaboration ihr Übriges, um ihn gleichermaßen zum Liebling urbaner Subkultur und des internationalen Feuilletons zu machen.

Heute, drei Jahre später, katapultiert Kendrick Lamar als frisch gebackener Pulitzer-Preisträger Rap als Kunstform in ungeahnte und immer neu zu erschließende Hochkultursphären, während Kamasi Washington weiter daran arbeitet, den in der Hochkultur festgeklemmten Jazz an seine Graswurzeln zurückzu­zerren. Er will ihn zurück in die Communitys holen und dort erlebbar machen, wo er seine Ursprünge hat. Was ihn dabei von vielen aktuellen Jazz-Acts unterscheidet, die sich mit dem gleichen Anspruch an der popkulturellen Schwelle zu HipHop positionieren, ist Washingtons musikalische Kompromisslosigkeit: Obwohl ihn sein Umfeld, Image und Swagger unmittelbar mit dem südkalifornischen HipHop-Kosmos verzahnt, denkt er nicht daran, seine Songstrukturen aufzuweichen, um den Hörgewohnheiten eines jazzfremden Publikums zu entsprechen. Auch auf der neuen Platte »Heaven And Earth« bleibt er ein Traditionalist – aber keiner, der sich verbeißt. Er baut sehr wohl seine Referenzen an Gegenwart und Vergangenheit ein, nur tut er dies ohne jegliche Anbiederung an den Zeitgeist, sondern aus spürbarer Freude am Eklektizismus. Seine Musik sieht er als Abziehbild seines Innenlebens – das macht die hohe Komplexität mancher Tracks alternativlos. Sein Idealismus: Solange es echt ist, wird es auch verstanden. Die Realität (aka seine für Jazz-Verhältnisse überwältigende Relevanz) gibt ihm Recht.

Text: Jonathan Nixdorff
Foto: Durimell Full

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #187 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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