»Das Album hat mir den Arsch gerettet« // JuJu Rogers im Interview

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Wir müssen aufhören, JuJu Rogers als den englischsprachigen Rapper im Deutschrap zu bezeichnen. Das wird dem Ideen-, Detail- und Gefühlsreichtum des Schweinfurters einfach nicht gerecht. Spätestens mit seinem neuen Album »40 Acres N Sum Mula« sollte das auch dem Letzten klar sein.

Album fertig: Zufrieden damit?
Zufrieden wäre eine völlige Untertreibung. Das Album hat mir den Arsch gerettet. Davor hatte ich so viel in meinem Leben, das gesagt, getan, geklärt werden musste; ohne das Album hätte ich das nie geschafft. Ich war wirklich an der Kante. Jetzt fühlt es sich an, als wäre ich wieder neu angekommen. Zufriedenheit ist nichts gegen dieses Gefühl.

Was hat dich an die Kante gebracht?
Es wird einfach immer schwieriger, in unserer Gesellschaft Gutes zu tun und Wahres zu sprechen. Das ist, glaube ich, ein Gefühl, das viele haben. Nur kann man das normalerweise verdrängen. Bei mir ist eben irgendwann der Moment gekommen, an dem ich mir eingestehen musste, dass ich das nicht mehr verdrängen kann, dass ich mir mein Leben eigentlich anders vorstelle. Irgendwann kann man nicht mehr abstrahieren, dass alle fünf Sekunden ein Kind auf der Welt stirbt, dass Zehntausende Menschen an den Toren Europas sterben. Ich hab mich einfach nur noch gefragt: »Was geht hier eigentlich ab?« Wenn du dich ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzt, bist du eh schon nah an der Depression.

Und wie hängt das jetzt mit dem Album zusammen?
Mit dem Album geht es mir darum, angesichts dieser Umstände ganz klar meine Position und meine Positionierung zu äußern. Das ist, denke ich, als Künstler – aber auch als schwarzer Mensch in Deutschland – einfach meine Pflicht. Es geht aber nicht darum, awareness zu schaffen, denn um es mal kurz zu sagen: »My people, poor people: we all aware of the problems.« Vielmehr soll das Album einfach den Benachteiligten und Unterdrückten dieser Welt eine Stimme geben. Es ist der radikale Anspruch nach Gerechtigkeit, Gleichstellung und Wiedergutmachung. Indem ich diesen Anspruch erhebe, reihe ich mich natürlich gleichzeitig auch in eine bestimmte Tradition ein. Ich kann nur hoffen, dass mich diese Tradition auch akzeptiert.

»Ich bin Afrikaner, wenn ich will, und ich bin Deutscher, wenn ich will. Die Macht, das zu bestimmen, geb ich jetzt einfach nicht mehr ab«

Das hört sich jetzt nach einem politischen Statement an. Mir schien es eher so, als würde das Album eine persönliche Geschichte erzählen.
Das hängt nun mal zusammen. Das Album ist die Geschichte, wie sich diese gesellschaftlichen Zustände in meinem Leben – aber auch im Leben vieler anderer – zurzeit ausdrücken. Eine in die Länge gezogene Momentaufnahme. Am besten lässt sich das Ganze eigentlich als Chronik lesen: Es geht mit dem realsten aller Dinge los, einer Depression; in der Schwäche so einer Depression bist du dann anfällig für Versuchungen. Auf dem Album führt die Versuchung dazu, dass es ab in den Knast geht. Im Knast stellt sich die Identitätsfrage, die ich persönlich ganz klar mit meiner Spiritualität beantworte. Und am Ende gibt es dann eben noch einen Ausblick, wie es weitergehen muss: we gotta step the fuck outta this Babylon.

Ist das Album deswegen insgesamt auch deutlich düsterer als deine bisherigen Sachen?
Na klar. Wie Nina Simone gesagt hat: »I think artists should reflect the time.« Und wenn die Zeiten düster sind, dann ist es nur logisch, dass auch die musikalische Reflektion düster wird.

Kannst du was zum Produktionsprozess der Platte sagen?
Nach dem »Lost In Translation«-Projekt mit Bluestaeb war klar, dass ich mich als Künstler noch weiter emanzipieren, noch freier arbeiten will. Dann hab ich D.Y.A [Teil des Berliner Jazz-/Produzenten-Duos Modha; Anm. d. Verf.] getroffen und wir haben vor etwa einem Jahr angefangen zu recorden. D.Y.A kommt eigentlich aus der House-Ecke, hat aber eben auch Jazz-Schlagzeug studiert. Beides hört man. Der House-Hintergrund bedeutet, dass viele der Beats auf der Platte extrem starke Atmosphären kreieren; bei den Drums hörst du einfach den Unterschied zwischen Beatmaker und Schlagzeuger. Außerdem haben wir einen Grammy-nominierten Pianisten namens Like, der schon viel für Kendrick gemacht hat, Crada und Farhot [Producer für u.a. Drake und Kid Cudi bzw. Isaiah Rashad und Talib Kweli; Anm d. Verf.] sowie viele weitere weltgewandte Jazz-Musiker dabei. Von Berlin bis Bahia. Da ist schon ne Menge Feuer drauf.

Du spielst ja selbst auch Trompete, oder? Hört man dich auf dem Album?
So ist es. Das schien mir ein logischer Schritt, auch diesen Teil meiner Kreativität auf die Platte mit draufzunehmen. Da liegen nun mal meine Wurzeln. Ich komme aus dem Jazz. Nicht nur, weil meine Familie aus New Orleans, der Geburtsstadt des Jazz, kommt, sondern auch, weil ich meine gesamte Kindheit und Jugend Jazz-Trompeten-Unterricht genießen durfte. Klar hört man JuJu auf dem Album also auch bisschen trumpet blowen.

Du warst in den letzten Jahren auch mehrere Male in Afrika. Was ist da passiert?
Ich war in Marokko, Tunesien und im Sudan. Die Reise in den Sudan hat alles verändert. Egal wie lange ich davon jetzt erzählen würde, das könnte ich dir nicht in Worte fassen. Der kulturelle Reichtum und der Spirit auf den Straßen dort ist unfassbar. Fast jeder Mensch spielt ein Instrument, du hörst überall Musik, siehst überall Tanz. Die Rhythmen ziehen dir die Schlappen aus. Außerdem war der Zeitpunkt, zu dem ich da war – kurz vor der Revolution –, einfach überwältigend. In Khartum haben wir einen Workshop mit jungen Musikern gemacht. Die stehen bei der Revolution jetzt natürlich alle in der ersten Reihe. Über Revolutionen nachzudenken ist eine Sache. Revolutionen zu machen eine andere. Das gesehen zu haben, war schon ein Riesengeschenk.

Du rappst auf einem Track auch einen deutschen Part. Was war da der Hintergedanke?
Auf dem Track geht es um die Zweischneidigkeit meiner persönlichen Lebenserfahrung als jemand mit zwei Identitäten: schwarz und deutsch. Da hat es einfach hundertprozentig Sinn ergeben, auf Deutsch zu rappen. Auch weil sich der Track an die deutsche Gesellschaft wendet. Außerdem wollte ich eine Brücke zur afrodeutschen Bewegung bauen. Deswegen gibt es am Ende ja auch dieses unfassbar empowernde Gedicht von May Ayim. Ich bin Afrikaner, wenn ich will, und ich bin Deutscher, wenn ich will. Die Macht, das zu bestimmen, geb ich jetzt einfach nicht mehr ab.

Text: Paul Friedl

Dieses Feature erschien in JUICE 194. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

1 Kommentar

  1. Selbst erklärte Conscious-Rapper die gleichzeitig versuchen die oberfächliche Hipster-Fashion-Schiene zu bedienen, kann ich nicht für voll nehmen.

    Entweder man steht für Werte wie Parität, Gleichbehandlung und Respekt für alle ein oder man ist ein neoliberaler individualistischer konsumgeiler, bourgeoiser Hipster, der sich in Designerklamotten selbst inszeniert, um auf diese Weise in der neoliberalen Hierarchie (in der Menschen nach Ihrem Äußeren und Ihrer Markenaffinität beurteilt werden) an Status zu gewinnen.

    Beides zusammen geht nicht. Also Juju, lies doch bitte nochmal was Malcolm X und Steve Biko über den Zusammenhang von Kapitalismus / Konsumismus und Diskriminierung / Ausbeutung / Unterdrückung von marginalisierten Menschen gesagt haben und dann höre bitte auf sämtliche Afrodeutschen als deine „constituency“ zu „appropriaten“. Wenn dein Album so ein toller und wichtiger Beitrag ist, wieso veröffentlichst du es dann nicht kostenlos?

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