»Kanye hat sich verändert, seine politischen Ansichten halte ich für verrückt« // Juice WRLD im Interview

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Ein Karrierekickstart von null auf hundert, ausverkaufte Shows in den Staaten und ­Europa sowie mit »Lucid Dreams« einer der größten Hits des bisherigen Jahres – 2018 ist für Juice WRLD die verrückteste Zeit seines noch jungen Lebens. Aufgewachsen in einem Vorort von Chicago und geprägt durch Rockmusik der Nullerjahre, vereint er Autotune-Gesang und Gitarrensamples zu etwas Neuartigem, das eigentlich unvereinbare ­musikalische Welten miteinander verschmelzen lässt.

Glückwunsch zu deinem aktuellen Erfolg. Der Hype um dich explodiert ­geradezu. Wie geht’s dir damit?
Es ist verrückt, wie es sich derzeit entwickelt, aber es fühlt sich großartig an. Noch vor einem Jahr hatte ich gerade mal 2.400 Follower auf Instagram, jetzt sind es 1,7 Millionen. Ich hab zwar immer gehofft, dass ich mal berühmt werde, und darauf hingearbeitet, aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich nie gedacht.

Wie war es denn zuvor?
Ich hatte von Anfang an eine kleine, aber sehr treue Fanbase. Sie liebten mich und ich liebte sie – es war wie bei einem Kult. Wenn ich auf Soundcloud bei einem Lied in drei Tagen 10.000 Plays hatte, war das für mich ein krasses Gefühl. Irgendwann stellte mein Manager den Kontakt zum Produzenten Nick Mira her und ich begann, Texte zu seinen Beats zu schreiben. Ab dann ging die Achterbahnfahrt so richtig los.

Viele Menschen bezeichnen deine Musik als Emo-Rap. Wie gehst du damit um?
Das stört mich nicht. Wenn sie die Musik scheiße fänden – damit hätte ich ein Problem. Und in meinen Liedern geht es um Emotionen, das passt also. Als Emo vor zehn Jahren durch die Decke ging, wäre ich auch gerne ein Teil der Szene gewesen, war aber noch zu klein dafür. Jetzt habe ich die Freiheit, alles zu machen, was ich will. Ich liebe Emo und ich liebe Rap, und ich habe die künstlerischen Fähigkeiten, beides zu vereinen, also: Warum nicht?

Dein größter Hit »Lucid Dreams« hat ein Gitarrensample aus dem Sting-Song »Shape Of My Heart«, das älter ist als du selbst. Kanntest du den Song schon vorher?
Nein. Aber als ich den Beat auf der Stereoanlage in unserem Wohnzimmer gespielt habe, kam meine Mutter rein und sagte: »Oh, wie cool, das ist von Sting!« Sie zeigte mir dann das Original, Und ich bin richtig auf das Lied abgegangen! Es ist wundervoll. Dann hab ich mich hingesetzt und den Text zu »Lucid Dreams« geschrieben.

Apropos »Dreams«: Hast du denn auch Klarträume?
Ja, das habe ich eine Zeit lang sehr regelmäßig trainiert. Es ist eines der spannendsten Dinge überhaupt. In einem Klartraum kannst du alles tun, was du tun willst – wie in einem Superheldenfilm. Dein Geist ist wortwörtlich dein Spielplatz, und du kannst dich richtig austoben, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt. Ich bin total fasziniert davon.

Deine Karriere scheint auch an einem Punkt angelangt zu sein, an dem alles möglich ist. Ist dein Leben derzeit ein Klartraum?
Einerseits schon, aber ich zweifle auch sehr an mir. Bevor es richtig losging, hatte ich eine sehr schwierige Phase. ­Letzten Winter wurde ich 19 und hatte das Gefühl, dass es mit der Karriere nichts mehr werden könnte. Die meisten Rapper sind heute 16 oder 17, wenn sie entdeckt werden. Das macht auch total Sinn, denn die Leute wollen deine Entwicklung miterleben. Wenn du 27 bist, ist es total sinnlos, noch anzufangen. Dein Charakter ist ausgereift, und es gibt nichts Neues mehr zu entdecken. Ich dachte, ich hätte die Chance verpasst. Heute sehe ich diese Zweifel als Chance, indem ich mir jeden Tag aufs Neue beweisen muss, dass es doch möglich ist, es zu schaffen.

Mit wem würdest du gerne mal ­zusammenarbeiten?
Ich würde gerne mal mit Bands arbeiten, aber auch mit Rappern wie Post Malone, Young Thug, Travis Scott und Kanye West. Gerade mit Kanye wäre eine Kollaboration total verrückt. »808s & Heartbreak« ist eines der besten Alben, das jemals geschrieben wurde. Es hatte auf mich einen sehr großen Einfluss. Ich konnte dadurch verstehen, wie sich Liebeskummer anfühlt, lange bevor ich wusste, was Liebeskummer überhaupt ist. Es ist Wahnsinn, wenn es dir gelingt, Gefühle auf diese Weise zu transportieren. Kanye hat sich allerdings verändert, seine politischen Ansichten halte ich für verrückt. Aber es ist unbestreitbar, dass er musikalisch unfassbar talentiert ist – einer der größten Musiker unserer Zeit.

Du hast einen Song für Lil Peep und XXXTentacion geschrieben. Kanntest du die beiden gut?
Peep kannte ich gar nicht. Ich habe weder mit ihm, noch mit seinen Leuten jemals gesprochen. Dennoch ist er eine Legende. Er wurde oft missverstanden, aber sein Stil ist einzigartig. Ich liebe seine Musik. Und kurz bevor X starb, fingen wir an, eine engere Beziehung aufzubauen. Wir hatten einige tiefgehende Gespräche übers Telefon, wir schrieben uns oft. Er war ein sehr positiver Mensch, der für alle nur das Beste wollte – und einer der talentiertesten Musiker, die je das Licht dieser Welt erblickt haben. Ich lehne mich mit dieser Aussage weit aus dem Fenster, ich weiß, aber ich stehe dazu. Ich empfinde nur Liebe und Respekt, wenn ich an ihn denke. Am Tag seines Todes begann ich, den Song aufzunehmen, und hab ihn noch in der gleichen Nacht vollendet. Ich hab einfach über einen Beat die Gedanken gefreestylt, die mich plagten. Es war eine Form von Therapie, um damit klarzukommen.

Hast du diesen Ansatz immer, wenn du Musik machst?
Ja, es ist stets therapeutisch – auch für die Leute, die es hören. Sie können sich in der Musik wiedererkennen und sehen, dass sie nicht die Einzigen sind, denen es so geht. Dadurch sprechen sie auch eher mit anderen über ihre Probleme, wodurch ein Prozess in Gang gesetzt wird. Darum geht es mir mit meiner Musik.

Text: Felix Englert
Foto: Universal Music

Dieses Interview erschien in JUICE #188. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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