Jay Rock: »Ich war nie der Typ, der ständig den Ball haben wollte« // Interview

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Schreibt man über Jay Rock, fällt irgendwann auch der Name Kendrick Lamar. Es geht gar nicht anders. Denn K-Dot und Jay sind nicht nur Label-Kollegen, sondern wie brothers from another mother. Der Shine jedoch fällt meist auf King Kenny, in dessen Schatten Jay Rock häufig steht. Das ist natürlich nachvollziehbar, aber schade, denn Jay Rock ist nicht nur ein begnadeter MC, sondern auch einer der nettesten – und hat mit »Redemp­tion« zudem eines der Alben des Jahres veröffentlicht. Wir trafen uns mit dem 33-jährigen Rapper aus Los Angeles über den Dächern Berlins und sprachen mit ihm über Mutterliebe, Erfolg und das Stalken von Lil Wayne.

Du siehst müde aus.
Ich hab auch gerade mal drei Stunden geschlafen und bin immer noch gejetlagt. Momentan ist einfach Achterbahn: Wir haben im Juni gerade die »Championship«-Tour mit allen TDE-Artists abgeschlossen – das waren dreißig Shows. Als wir damit durch waren, kam mein Album raus, nun sind wir für ein paar Stopps in Europa: Paris, Berlin, London. Es ist einfach wahnsinnig viel los.

Drei Stunden Schlaf sind aber hoffentlich nicht die Regel.
Das nicht, aber ich brauche nicht viel Schlaf. Ich habe sonst auch das Gefühl, ich verpasse etwas – das war als Kind schon so. Ich mache hier und da mal ein bisschen Power Napping, das geht schon. Ich komme klar.

Ein wichtiges Thema in deiner Musik ist stets dein Aufwachsen in den Projects von Watts. Ich nehme an, dass du dort aber nicht mehr wohnst, oder?
Nein, ich bin nach San Fernando Valley gezogen: North Hollywood. Aber ich habe nach wie vor viele Freunde und Familie in der Hood. Ich bin ständig dort. Und mein Herz wird es immer sein.

Hat sich dein Gefühl für deine alte Hood verändert, seit du nicht mehr dort wohnst und viel gereist bist?
Nein, das Gefühl ist dasselbe: Nichts als Liebe. Es klingt zwar nach Klischee, aber mein Viertel hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Das trage ich in mir, und das werde ich immer tun. Ich bin dankbar für alles, was ich dort erlebt habe, und das möchte ich zurückgeben. Ich spiele dort regelmäßig Gratiskonzerte und verteile jedes Jahr zu Weihnachten Geschenke wie Spielsachen, Schuhe und Klamotten an meine Leute, vor allem die Kinder. Ich bin immer da für die Community.

Du willst doch bloß eine Jay-Rock-Statue auf der Compton Avenue.
(lacht) You never know! Aber Liebe zu geben und Liebe zu bekommen, das reicht mir völlig.

Was bedeutet der Begriff Heimat für dich?
Das ist für mich der Ort, an dem mich meine Mutter großgezogen hat. Das Nest, das du zwar verlassen musst, wenn du flügge wirst, in das du aber regelmäßig zurückkehren solltest. Wie ein Magnet: Es zieht dich immer wieder dorthin.

Was sagt deine Mutter zur Karriere ihres Sohnes?
Sie ist glücklich. Mama ist mein größter Fan. Sie war immer für mich da – und wird es immer sein.

Im Zuge der Veröffentlichung deines aktuellen Albums »Redemption« hast du die sehenswerte Dokumentation »Road To Redemption« veröffentlicht. Darin sagt Kendrick über dich: »Jay Rock ist immer da: Physisch, mental, spirituell – so ist er einfach.« Trotzdem wirst du heute nicht mehr derselbe Typ sein, der vor Jahren ziellos durch Watts getigert ist.
Natürlich nicht. Man lernt mit der Zeit, nimmt Wege und Abzweigungen, die einen verändern, möglicherweise auch in ein neues Leben führen. Aber: Mein Leben ist die Musik – und das war es schon immer. Als ich jung war, gab es allerdings zu viele Dinge, die mich immer wieder von meinem Weg abgebracht haben, ich musste erst wieder in die Spur finden. Hätte ich das nicht geschafft, hätte es für mich nur noch zwei Wege gegeben: Der eine hätte mich in den Knast geführt, der andere in den Tod.

Hast du das selbst realisiert oder einfach Glück gehabt?
Eine Mischung aus beidem, würde ich sagen. Aber ich habe irgendwann gemerkt, dass ich ein guter Rapper bin, dass das eine Chance ist. Vielen Kids aus der Hood fehlt eine solche Erkenntnis. Die tun sich schwer damit, ihren Weg zu finden und in der Spur zu bleiben, weil du ständig von links nach rechts geschubst wirst. Ich hatte Glück, dass mich mein Homie Top Dawg [Anthony »Top Dawg« Tiffith, der CEO von Jay Rocks Label Top Dawg Entertainment; Anm. d. Verf.] irgendwann zur Seite genommen, von der Straße geholt und ins Studio gezerrt hat. Und da bin ich seitdem.

»Heute brauchst du nicht viel mehr als ein Handy und ein bisschen Talent und kannst damit Leute überall auf der Welt erreichen«

Apropos Erkenntnis: Gibt es so etwas wie die wichtigste Lehre deines Lebens?
Das allerwichtigste im Leben ist Respekt. Punkt. Ich habe schon immer viel mit Älteren abgehangen, und das habe ich im Umgang mit ihnen gelernt. Wenn du keinen Respekt zollst, hast du nichts. Und wenn du dir selbst treu bleibst, bekommst du auch Respekt zurück.

Was ich mich oft frage: Viele MCs rappen ja über ihre Hood und spreaden Liebe für ihr Viertel. Häufig sind das aber Gegenden, in die niemand freiwillig ziehen würde, aus denen man eigentlich möglichst schnell weg möchte. Warum werden diese Hoods in Rapsongs trotzdem so oft glorifiziert?
Klar, alle sind auf ihrem Grind und wollen eigentlich da raus. Jeder würde wegziehen, wenn er könnte. Aber bis es soweit ist, und das klappt ja nur in den seltensten Fällen, ist das eben deren Zuhause. Und das versucht man sich so schön zu machen wie möglich – und wenn man es sich schönreden muss.

Im Video zu deinem Song »ES Tales« verwandelt sich die Welt um dich herum nach und nach in ein Videospiel. Ist das als seichte Kritik an die zunehmende Digitalisierung zu verstehen?
Ja, absolut. Als ich klein war, habe ich mir Cartoons angesehen, die in der Zukunft spielten – nun ist diese Zukunft teilweise Gegenwart geworden. Und schau dir die Kids heute doch an: Alle haben Computer, Tablets, Handys – und können damit tausendmal besser umgehen als wir! (lacht)

Aus künstlerischer Sicht: Siehst du diese zunehmende Digitalisierung als Fluch oder als Segen?
Ach, ich find’s cool. Es ist wahnsinnig einfach geworden, seine Musik an die Leute zu bringen. Früher war es auch viel schwerer, Musik zu machen. Wir hatten keine Rechner, kein Pro Tools – und Recording-Equipment war teuer. Heute brauchst du nicht viel mehr als ein Handy und ein bisschen Talent und kannst damit Leute überall auf der Welt erreichen.

Bekommst du mit, wie du und deine Musik außerhalb der Staaten wahrgenommen werden?
Na klar, dafür ist das Internet der reinste Segen. Es gibt natürlich auch Leute, die ihr komplettes Leben nur noch online verbringen, das wäre jetzt nichts für mich. Aber hey: Ich bin jetzt zum ersten Mal in Berlin, und als wir gestern Abend essen waren, kommt plötzlich ein Typ zu mir und sagt: »Jay Rock! Toll, dich zu sehen! Mein Bruder und ich, wir lieben deine Musik!« Das ist doch der Wahnsinn! 10.000 Kilometer von meinem Zuhause erkennen mich Leute auf der Straße und geben mir Liebe – nur wegen der Musik. So etwas motiviert mich.

In den Staaten passiert dir das sicher häufiger.
Klar, und von den meisten bekomme ich Props. Keine Ahnung, auf wie vielen Handyfotos ich mittlerweile zu sehen bin. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Und in meiner Stadt kennt mich sowieso jeder, aber für die ist das natürlich nicht mehr so spannend. Die sehen mich ja ständig. (grinst)

Wir haben eben schon deine Doku erwähnt. Darin erzählst du, dass Kendrick und du am Anfang eurer Karriere vor über zehn Jahren unbedingt ein Feature von Lil Wayne haben wolltet, der damals bereits seine »Tha Carter«-Serie gestartet hat und ein Star war – und habt es geschafft. Warum ausgerechnet ihn?
Ich war immer ein Wayne-Fan. Ich habe früher alles von Cash Money gehört: Juvenile, B.G., Hot Boys – und natürlich auch Lil Wayne. Der Typ hatte einfach Bars, der konnte rappen. Und irgendwann sind wir uns über den Weg gelaufen …

Gib’s zu: Ihr habt ihn gestalkt.
(lacht) Nein, nicht direkt. Aber ich bin zu ihm hin, habe mich vorgestellt und so sind wir ins Gespräch gekommen. Und am Ende hatte ich mein Feature. (grinst)

Kendrick meinte, mit Wayne im Studio gewesen zu sein, hätte sein Verständnis von Arbeitsmoral verändert.
Das war bei mir auch so. Wayne ist ein absolutes Arbeitstier. Als wir zusammen im Studio waren und ich gerade meinen Verse schrieb, hat er währenddessen schon wieder andere Songs aufgenommen. Der schüttelt die Dinger nur so aus dem Ärmel. Das war beeindruckend.

Zu jener Zeit seid ihr mit einem alten Van getourt. Gibt es den noch?
(lacht) Oh, ja! Dieser Van ist legendär. Unverkäuflich. Wir sind in dem Ding durch das ganze Land gefahren. Und wenn er übers Wasser fahren könnte, hätten wir darin den gesamten Planeten bereist. Und ich sag dir: Wenn dieser Van reden könnte … (lacht) Dieser Van bedeutet mir wahnsinnig viel. Der ist ein ganz wichtiger Bestandteil der TDE-Geschichte.

»Ich war nie der Typ, der ständig den Ball haben wollte«

Welchen Einfluss hatte diese Zeit auf dich als Mensch?
Ich habe da einfach wahnsinnig viel gelernt. Über das Musikgeschäft, über die bereits erwähnte Arbeitsmoral, aber auch darüber, dass man geduldig sein muss. Der Erfolg kommt nicht über Nacht. Aus heutiger Sicht ist das natürlich leicht dahergesagt. Es gab früher auch massenhaft viele Frustrationsmomente, an denen ich kurz davor war, alles an den Nagel zu hängen.

Erinnerst du dich noch daran, als du zum ersten Mal Geld mit Rap verdient hast?
Natürlich! Damals habe ich einen 500-Dollar-Scheck bekommen – ich weiß schon gar nicht mehr, wie der Typ hieß, für den ich den Verse eingerappt habe. Aber ich dachte nur: »500 Dollar?! Für einen Sechnzehner?!?« Ich war der glücklichste Motherfucker der Welt und habe mir direkt ein paar Schuhe gekauft. Das war einer der schönsten Momente meines Lebens.

Was viele nicht wissen: Du warst der erste Künstler, der bei TDE gesignt wurde.
Ja, das stimmt. Und wenn du der erste bist, bedeutet das viele blaue Flecken. Aber ich habe das gerne gemacht – fürs Team. Team work makes the dream work. Und sieh uns heute an. Schau, wo wir sind.

Bist du immer schon ein Teamplayer gewesen?
Ja. Ganz egal ob ich Football oder Basketball gespielt habe – die Mannschaft stand immer an erster Stelle. Ich war nie der Typ, der ständig den Ball haben wollte. Ich habe eher die Rebounds geholt und die Bälle dann an meine Jungs verteilt – und hinten dafür gesorgt, dass wir keine Körbe kassieren. Und heute in der Musik ist es genauso: Ich brauche diesen Team Spirit, diesen familiären Vibe, um kreativ sein zu können.

Mittlerweile kannst du gut von der Musik leben, aber es gab auch Zeiten, wo du dribbeln musstest. Du meintest mal, diese Hustle sei eine Motivation gewesen. Was motiviert dich heutzutage?
Hustle like you broke. Ich kenne das Gefühl, nichts zu haben, und dieses Gefühl lässt mich weiter an der Erfüllung meiner Träume arbeiten. Du weißt ja auch nie: Morgen kann alles wieder vorbei sein. Damit das nicht passiert, musst du etwas dafür tun. Ganz einfach.

Vor zwei Jahren hast du einen schweren Motorradunfall gehabt …
… genau das meine ich: Da hätte alles vorbei sein können! Damals hatte ich gerade mein zweites Album »90059« veröffentlicht und dachte, ich sei der König der Welt. Am Tag des Unfalls wollte ich abends auf die Grammy-Verleihung gehen und dann – bam! – Ground Zero. Das war eine harte Zeit, und die hat mich zum Nachdenken gebracht. Dieser Unfall hat mir gezeigt: Dieses ist deine Chance – nutze sie! This is your redemption.

Mit »Redemption« hast du ein Album veröffentlicht, dass von der Kritik gelobt wurde – ich habe nie auch nur ein schlechtes Wort darüber gelesen. Was bedeutet Erfolg für dich?
Erfolg bedeutet für mich, ein von der Kritik gelobtes Album zu haben. (grinst)

Foto: Universal

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #189. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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