JAW: »Es geht mir darum, dass man differenzieren muss« // Interview

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Selten trifft die Floskel vom lang erwarteten Album so gut zu wie bei JAW, schließlich liegen zwischen seinem letzten Album »Täter-Opfer-Ausgleich« und »Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins« – eine Anspielung auf den Romanklassiker von Milan Kundera – acht Jahre. Von einem Hin- und Wegzug aus Berlin, dem Ende seines Studiums, dem Tod seiner Mutter, dem Kennenlernen seiner Freundin, Hochs und Tiefs mit seiner mentalen Gesundheit bis hin zu verstreuten Song-Drops ist in dieser Zeit viel passiert.

Viele Songs von »Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins« hast du teil­weise schon vor Jahren veröffentlicht. Mit deinem Release-Verhalten würdest du vermutlich jedes Label zur Weißglut treiben.
Mir fehlte es zunehmend an Inspiration, außerdem musste ich mich mehr um meine Familie kümmern. Zwischendurch hatte ich aber gute Phasen, in denen neue Songs entstanden sind. Auf dem Album sind jetzt Songs, die mir auch heute noch viel bedeuten, und die habe ich überarbeitet.

Was waren die wichtigsten Erlebnisse in den letzten acht Jahren seit der Veröffentlichung von »Täter-Opfer-Ausgleich«?
Ich habe meine Freundin kennengelernt, das war ein Umbruch. Dadurch sind mir Dinge wichtig geworden, die mich vorher nicht interessiert haben. Auf der anderen Seite gab es den Tod meiner Mutter, auf den ich nicht klargekommen bin und der mich auch gesundheitlich mitgenommen hat. Aber es ist viel passiert: Der Hin- und Wegzug nach und von Berlin, der Abschluss meines Studiums, der erste richtige Job. Alles, was ich vorher an Musik gemacht habe, ist ja noch während meiner Studienzeit entstanden.

Wie ist es, einen Song wie »Bye Mama« vor Publikum zu spielen?
Man fühlt sich nackt, sehr verletzlich. Aber ich will den Leuten auch zeigen, wie und wer ich bin. Wenn man sonst nur Auftritte mit Dokta-Jotta-Songs macht, ist es natürlich etwas anderes, aber es fühlt sich gut an.

Auf dem Song »Inmitten des Sturms« rappst du: »Journalisten, die sich zur Schau stellen und echauffieren, statt die Kunstwerke sauber zu rezensieren.« Beziehst du dich da auf etwas Konkretes?
Ja, unter anderem auf die Resonanz zu der Absztrakkt-Thematik [Absztrakkt hat 2017 den Song »Walther« veröffentlicht, dessen Lyrics Mutmaßungen über eine mögliche rechte Gesinnung des Rappers aufwarfen, die er in einem späteren Statement jedoch verneinte; Anm. d. Red.], wo ich ein paar provokante Fragen aufgeworfen habe und dafür viel Gegenwind bekommen habe. Ich sehe da Parallelen zu dieser Echo-Geschichte: Die Leute schauen nicht hin, was genau in einem Kontext gesagt wurde, sondern greifen bloß Stichworte raus und bauschen das auf.

Auch ich fand deine »provokanten ­Fragen« stellenweise problematisch – selbst wenn du später erklärt hast, dass du nicht viel Ahnung hättest von Politik.
Es geht mir darum, dass man differenzieren muss – dafür reicht mein politischer Horizont. Wenn man sagt, jemand ist rechts, ist er dann rechts-radikal, rechts-konservativ, rechts-liberal? Mir ging es darum, solche Schlagworte zu hinterfragen.

Ein Satz, den ich problematisch fand, war: »Was ist nun daran verwerflich, wenn jemand politisch rechts orientiert ist, Verschwörungstheorien unterstützt (…), solange dieses nicht einem elitären Denken entspricht, sondern einer Verbundenheit zum eigenen Staat?« Eine Verbundenheit zum eigenen Staat ist doch etwas Elitäres, weil man sich auf den Zufall des Geburtsorts bezieht.
Das war aber keine Aussage, sondern eine Frage. Ich habe Musikwissenschaft ­studiert, »Walther« von Absztrakkt gehört und mir anhand dessen erlaubt, zu beurteilen, ob ich das als rechtsextrem empfinde. Und ich hatte nicht den Eindruck.

Im selben Statement sagst du, dass du teilweise Monate aus dem Leben raus bist, kein Handy hast und null am aktuellen Geschehen teilnimmst.
Aufgrund meiner psychischen Probleme habe ich immer wieder Phasen, in denen ich mich extrem abkapsle und schwer zu erreichen bin. In diesen Phasen bin ich sehr mit mir selbst beschäftigt, da kriege ich dann nicht viel mit.

In einem älteren Song von dir namens »Fremdkörper« beschwerst du dich über »Yuppies mit ihren Weltschmerzgedichten«. Aber ist es nicht auch elitär, über die Gefühle anderer zu urteilen?
Man muss unterscheiden, ob man solche Texte aus dem Bedürfnis heraus schreibt, sich wirklich ausdrücken zu wollen, oder ob man nur auf einer Welle mitschwimmt. Irgendwann war es ja in, die sogenannte Generation X zu repräsentieren, die ziellos ist, nur in Bars abhängt und nicht richtig weiß, wo sie hinsoll; die alles hat, aber trotzdem nicht glücklich ist.

Du hast dich in einem Post auch mal aufgeregt über »Pseudo-Depressive, die eigentlich nur pubertäre Selbstzweifel haben«. Themen wie Depression und Selbsthass wurden in jüngster Vergangenheit zunehmend in Raptracks behandelt. Stellt sich die Frage: Ist es tatsächlich schlecht, weil Leute Kapital daraus schlagen? Oder ist es gut, weil über diese Themen mehr öffentlich gesprochen wird?
Wenn der Beweggrund der ist, daraus Geld zu machen, ist es schlecht. Wenn jemand das Bedürfnis hat, das nach außen zu transportieren, finde ich es gut – weil auch die Musik davon profitiert. Musik leidet generell qualitativ darunter, wenn sie aus rein finanziellen Zwecken gemacht wird. Lil Peep hatte ja auch sehr depressive Inhalte und gehört zu einer Genera­tion, die viele Medikamente schmeißt und Schwierigkeiten hat, mit ihren Gefühlen zurechtzukommen.

In deine Box hast du deine Magisterarbeit zur »Rezeption von Popularmusik bei Jugendlichen am Beispiel HipHop« gepackt. Was ist die Essenz der Arbeit?
2014 habe ich die Arbeit fertiggestellt. Zu der Zeit gab es noch keinen Werkzeugkatalog, um HipHop-Songs sprachlich, musikalisch und inhaltlich tiefgreifender zu analysieren. Vor allem der Punkt, welchen Einfluss das auf Jugendliche hat, war spannend. Warum hören Jugendliche überhaupt Musik? Da geht es häufig nicht nur darum, dass einem die Musik gefällt. Musik ist auch stimmungsführend wie eine Droge. Man hört Musik, um ein bestimmtes Gefühl herzustellen.

Außerdem verlost du in deiner Box ein Telefonseelsorgegespräch. Bei allen Musikern, die sich in ihrer Musik so nahbar geben wie du, frage ich mich, ob solche Aktionen nicht zusätzlichen Druck auf einen legen. Es suchen ja so oder so ständig Leute Hilfe bei dir, weil sie durch die Musik Parallelen zu sich selbst sehen, oder?
Ja, ich bekomme wirklich viele Nachrichten, aber man muss sich davon abgrenzen. Ich bin keinem Fan gegenüber verpflichtet. Würde ich anfangen, jedem über Facebook zu antworten, dann könnte ich nichts anderes mehr machen.

Text: Miriam Davoudvandi

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #187. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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