»HipHop wird immer lächerlicher« // Sido im Interview

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Mehr als fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass sido zum ersten Mal den Titel der JUICE zierte. Damals setzte das Movement namens Aggro Berlin gerade erst so richtig zur Übernahme an, unser Titelheld trug Maske, sein bald folgender Senkrechtstart ließ sich zwar erahnen, in sidos Leben angekommen war er jedoch noch nicht: Damals öffnete ein verpennter Maskenmann in T-Shirt und Boxershorts die Tür zu seinem winzigen Hochhaus-Kabuff im Märkischen Viertel, eine Guten-Morgen-Bong später begab man sich zum Interview ins Aggro-Hauptquartier, einen ehemaligen Puff in Sichtweite des Pallasseums in Berlin-Schöneberg. Das alles ist mittlerweile Vergangenheit: Aggro Berlin als Label ist Geschichte, die Maske bleibt daheim im Ankleidezimmer. Und sido ist nur nicht nur fester Bestandteil der überschaubaren A-Liga deutscher Rapper, sondern längst auch als Fernsehpromi auf dem Schirm der deutschen Couchbevölkerung. Wenn er jetzt sein neues Album schlicht und verwirrend “Aggro Berlin” nennt, dann hat das aber kaum etwas mit der großen Retrospektive zu tun, eher mit Kontinuität: sido bleibt sido, Maske, Label und Partys in der Playboy Mansion hin oder her.

Kannst du dich an unser erstes Interview erinnern?
Ich weiß nur noch, wo es war: im Puff unten. Na ja, Ex-Puff. Wir haben das Ding ja übernommen. Daran kann ich mich erinnern, aber was ich so gesagt habe? Keine Ahnung.

Du hast erzählt, dass du früher gerne bei einer Boygroup mitgemacht hättest. Du warst sehr von der Idee fasziniert, ein Popstar zu werden. Jetzt hast du das alles durch. Was ist dein Fazit?
Dass es alles ein großer Trugschluss war. Man muss aber dazu sagen: Damals war ich nicht wirklich geistig anwesend, denn ich habe mir jede Nacht irgendwas reingeballert. Trotzdem sehe ich das jetzt immer noch so: Ich wäre früher bestimmt in einer Boyband gewesen, wenn ich hätte singen können und um einiges besser aussehen würde.

Aber jetzt hast du das ganze Business mal von der anderen Seite gesehen. Stichwort “Popstars”.
Für mich war sofort klar, dass ich das mache. “Popstars”, “DSDS”, das gucke ich mir immer an und finde es sehr amüsant. Deswegen wollte ich unbedingt dabei sein. Ich wollte wissen, wie es da hinter den Kulissen ist. Ich war sogar so naiv, zu denken, ich könnte da so ne Band gründen und die könnte richtig krass werden, wenn ich mich darum kümmere. Das war aber ein krasser Trugschluss. Denn genau so isses nicht: Eine Sendung wie “Popstars” dreht sich nur um Profit, nicht um Musik oder die Band.

Du sagst auf dem Album Dinge über Detlef “D!” Soost, die sind nicht wirklich nett.
Ich will jetzt nicht anfangen zu lästern, weil ich ja fast ein halbes Jahr näher mit ihm zu tun hatte. Aber man merkt einfach: Das ist sein Business, er kann so sein, wie man da sein muss: so abgebrüht, so kalt. Ich nicht. Ich versuche immer so ehrlich wie möglich zu sein, daher passe ich da nicht rein. Es gab da eine Ampel, die von der Regie bedient wurde. Rot bedeutete: Die darf auf keinen Fall weiter. Und grün stand für: Die muss weiter. Aber ich wusste manchmal halt nicht, wie ich jetzt ausgerechnet die Grotte da weiter lassen soll. Ich meine, ich hab das durchgezogen, aber es wurde immer anstrengender. Kurz vor Ende ist dann die Bombe geplatzt, als ich mich in einem Interview nicht halten konnte [sido hatte zwei Wochen vor dem Finale die Sendung und die Kandidatinnen öffentlich kritisiert, Anm. d. Verf.]. Da waren die wirklich persönlich angepisst. Verstehst du: Bei so was sind sie angepisst, aber auf die Mädchen wird extrem geschissen. Na ja.

Was sind die Kriterien für die rote oder die grüne Lampe? Wenn da eine besonders lustig peinlich ist, dann darf sie nochmal?
Ja. Aber das größere Kriterium ist die persönliche Geschichte. Wir kriegen dann einen Zettel, auf dem steht etwa: Ihre Mutter hat Krebs. Vielleicht war ich auch naiv. Vielleicht hätte ich wissen müssen, dass das so ist. Aber ich dachte tatsächlich, dass es da um Musik geht. Ich wurde auch gefragt, ob ich noch mal mitmachen würde. Würde ich nur, wenn es andere Auflagen gibt und die Jury kompetenter ist.

Manchmal hast du aber auch ziemliche D!-Moves gebracht und bist ziemlich unsympathisch rübergekommen.
Ja. Aber die schneiden das auch, wie sie wollen. Du sitzt da 20 Stunden und machst dein Ding, und irgendwann bist du genervt. Das ist wie die “Bild”: Das, was ihnen passt, nehmen sie sich von dir. Ich hab nach jeder Sendung mit denen diskutiert: Warum war dieser oder jener Spruch nicht drin? Aber am Ende des Tages mache ich mir keinen Kopf darum, ob mir so was schadet. Dann hätte ich schon bei der Wok-WM nicht dabei sein dürfen. Da haben sie auch gesagt: Wie kann er nur? Das ist Kommerz! Aber das ist mir scheißegal. Wenn ich mir da einen Kopf darum machen würde, was die anderen Rapper sagen, dann würde ich da rumtingeln, wo die 50.000-Platten-Rapper sind. Wenn es die noch gibt. Ich mache zum Glück einfach, worauf ich Bock habe – wie mit einer beschissenen Bratpfanne ’ne Bob-Bahn runter zu fahren.

Aber in manchen Songs kommen schon ein paar Zweifel rüber…
Das sind Zweifel daran, ob es überhaupt der richtige Weg war, den ich gegangen bin. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, einfach einen Job zu machen. Weißt du, im Studio oder auf der Bühne sein, Songs schreiben – das macht Spaß. Aber wenn du viele Platten verkaufen und davon leben möchtest, musst du auch Sachen machen, die nicht so viel Spaß machen: Zum Beispiel diese Sendung “sido geht wählen”: Ich habe das Angebot bekommen und fand das gleich eine gute Idee – aber ich habe es unterschätzt: Zwölf Stunden am Tag da sein, alle drei Minuten geschminkt werden, mit Politikern reden – das war mir zu anstrengend. Ich bin ja berühmt geworden, damit ich keine Sachen mehr machen muss, die mir keinen Spaß machen. Du merkst aber erst nach anderthalb Tagen Dreh, dass dir das nicht wirklich Spaß macht, aber du hast dann noch dreieinhalb Tage Dreh – also ziehst du die halt durch.

In der breiten öffentlichen Wahrnehmung bist du jetzt ein Promi, man nimmt dich im Fernsehen in einem Zusammenhang wahr wie etwa Bürger Lars Dietrich…
Wie Bürger Lars Dietrich…? Ich dachte, du sagst jetzt Sandy Meyer-Wölden oder so. Aber Bürger Lars Dietrich? Nee, das verstehe ich nicht. Wenn irgendwo eine Kamera ist, dann sage ich halt irgendwas – und das sendet man anscheinend sehr gerne. Warum das so ist, davon habe ich keine Ahnung. Aber es ist gut für mich, denn so verkaufe ich eben mehr Platten. Ich kümmere mich nicht um mein Image. Das machen andere Leute für mich.

Aber bestimmte Entscheidungen kannst du schon selbst treffen.
Ich habe eine Management-Firma gegründet, bei der ich auch selbst Klient bin, also kann ich selbst darüber bestimmen, was ich mache und was nicht. Momentan wollen die Sender mich ja gerne in die Comedy-Schiene stecken und buchen mich für irgend eine Scheiße. Aber diese Klamaukscheiße mache ich einfach nicht mit.

Du wirst dein Album “Aggro Berlin” nennen. Hast du mit dieser Firma noch etwas zu tun?
Mit der Plattenfirma habe ich nichts mehr zu tun. Ich bin bei Universal.

Aber du kannst dein Album einfach so nennen?
Ich finde, ich habe einen großen Anteil an Aggro Berlin. Auch wenn mir die Firma nicht gehört, aber den Namen habe ich mitgeprägt. Die haben bestimmt auch einen Anteil an dem Namen sido. Nicht rechtlich, aber die haben mich ja nach oben gebracht. Den Anteil an dem Namen Aggro Berlin nehme ich mir dann aber auch.

Ist das jetzt als eine Art Denkmal gemeint?
Auf jeden Fall. Aber nicht Denkmal im Sinne einer Statue, sondern im Sinne von “Denk mal drüber nach”. Im Grunde brauchen sich die Leute keinen Kopf darüber zu machen, dass die Firma Aggro Berlin zugemacht hat, weil sie ja nicht Fans von Specter, Halil und Spaiche waren. Sie waren Fans der Künstler, und wir alle rappen ja weiter, in welchem Umfeld auch immer. Uns gibt’s immer noch.

Kannst du nochmal erläutern, wie es dazu kam und was jetzt mit Aggro Berlin los ist? Jetzt ist ja gerade eine Best-Of-CD herausgekommen.
Da sind Sachen drauf, die wir nicht rausgebracht haben, weil sie scheiße sind, die da noch irgendwo auf dem Rechner rumlagen. Was da für eine Scheiße drauf ist! Mich ärgert es, dass sie das hinter unserem Rücken machen. Denn sie haben am Ende angefangen, vieles hinter unserem Rücken zu machen. Wir haben ja anders angefangen, nämlich mit einer kleinen Gang, wir hatten eine Ideologie und alle denselben Traum. Wir waren alle nah beieinander und haben alles abgesprochen. Aber irgendwann wurde es einfach eine Firma: Es wurden Leute eingestellt, die pünktlich um 18 Uhr nach Hause wollten. Die Ideologie ist verschwunden. Es ging nur noch um Profit. Aber dann mache ich das doch lieber gleich mit einer großen Plattenfirma. Dann weiß ich, woran ich bin. Ich meine, am Ende wusste ich bei Aggro Berlin auch, woran ich bin. Aber das hat mir weh getan.

Ab wann ist es denn bei Aggro Berlin so gekippt?
Ich will hier keine schmutzige Wäsche waschen. Ich kann nur sagen, dass meine eigene Firma Sektenmuzik da einen großen Keil reingetrieben hat. Aggro hatten das Angebot, dass ich das mit ihnen zusammen mache. Aber sie wollten nur unter ganz komischen Konditionen.

Was auch eine komische Geschichte war, war die Sache mit Kitty Kat. Erst im Zuge des Niedergangs kam sie auf einmal zum Vorschein.
Dass sie rauskam, hat ja nur an Universal und Neffi (Temur) gelegen. Neffi hat Druck gemacht und dafür gesorgt, dass Kat rauskommt. Trotzdem verstehe ich Aggro Berlin da auch. Es ging es ja immer hoch und runter, mal war Geld da, mal nicht. Mir wurde bei jedem Album gesagt: Wenn dein Album nicht funktioniert, dann ist es vorbei. Und deswegen mussten sie mich auch immer mal wieder dazwischen schieben, was die anderen, etwa Fler oder Kat, geärgert hat. Aber das hat eben die Firma am Leben erhalten.

Du hast diesen Song auf dem Album, über einen Jungen, der den selben Weg gehen will wie du, aber am Ende Amok läuft in seiner Plattenfirma, weil sie ihn über den Tisch gezogen haben. Hat das etwas mit deiner Geschichte zu tun?
Bis zu einem gewissen Punkt ist das meine Geschichte. Aber das ist der Punkt, wo es um den Vertrag geht…

Also bist du damals zu einem Anwalt gegangen?
Nein, aber ich hab mich zumindest informiert. Die Aggros haben ja immer gedacht, dass ich so ein Typ bin, der sich um nichts einen Kopf macht… na ja. Die haben auch gedacht, dass Bobby der schlaue Typ von uns beiden ist, der alles unter Kontrolle hat. Aber in Wirklichkeit wusste ich genau, was ich da gemacht habe. Der Vertrag war nicht beste, den man unterschreiben konnte. Aber ich habe unterschrieben, damit ich überhaupt erstmal was habe, was annähernd gut ist. So einen Major-Deal wollte ich damals nicht unterschreiben. Aber hätte ich mich an gewissen Punkten nicht so für die Sache interessiert, so wie der Junge in dem Song, dann wäre es bei mir genauso gelaufen.

Hast du dir dann bei deiner letzten Vertragsunterzeichnung alles wieder geholt? Auf dem Foto zur Pressemitteilung strahlst du, alle anderen machen lange Gesichter.
(lacht) Das war eine sehr anstrengende Zeit für mich, weil ich versucht habe, möglichst keinen Ärger mit Aggro Berlin zu haben. Ich will auch heute keinen Streit mit denen. Das sind die Jungs, die mich von der Straße geholt haben, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin – mit mir zusammen, das muss man immer dazu sagen. Deswegen will ich denen nichts Böses, aber als ich den Vertrag unterschrieben habe, habe ich wahrscheinlich des besten Vertrag unterschrieben, den ein Rapper in Deutschland jemals unterschrieben hat. Das wurde mir auch bestätigt von meinem Anwalt. Ich hatte auch gute Angebote von anderen Labels, man konnte also richtig gut verhandeln.

Mit Fler hast du ja ganz großen Beef, wie das ein oder andere Medium behauptet. Letztendlich ging es nur um ein paar Äußerungen auf einem Festival in der Schweiz. Gibt es eine Geschichte dazu?
Natürlich gibt es die. Fler ist zu Bushido gegangen und hat viele Leute, die ihm den Rücken gestärkt haben, einfach im Stich gelassen. Natürlich freue ich mich, dass die beiden sich wiedergetroffen haben. Aber die Art und Weise, wie das passiert ist, gefällt mir nicht. Ich meine, er war immer offen und ehrlich zu mir, er hat mir immer alles erzählt, aber anderen Leuten eben nicht. Na ja.

Kann so etwas denn überhaupt sauber ablaufen?
Es ist schon sehr viel passiert, da hast du Recht. Ich meine, Bushido hat meine Mutter und meine Freundin beleidigt. Aber ich hab mein Lied gemacht, ich bin fertig mit der Sache. Ich will auch nicht, dass Fler denkt, ich hätte ihm irgendwelche Leute geschickt. Was man ja auch gehört hat. Ich schicke ihm keine Leute. Fler soll machen, was er möchte. Bushido soll machen, was er möchte. Ich wünsche beiden viel Erfolg. Ja, tatsächlich. Aber die sollen von mir nicht verlangen, dass ich mich mit ihnen an einen Tisch setze. Fler muss damit leben, dass wir jetzt nichts mehr miteinander zu tun haben. Ich kann nicht mit ihm zu tun haben, wenn er mit Bushido zu tun hat, wenn er Kay One Küsschen im Video gibt.

Wie sehr hat das für dich überhaupt mit HipHop zu tun?
Gar nicht! Das ist Berlin. Das ist wirklich ein Dilemma. Das, was da die ganze Zeit passiert, diese Messer und so, das ist alles echt, kein Spaß. Aber HipHop hat damit nichts zu tun, mit diesem ganzen Gangster-Business. Und wenn Leute sagen, dass richtige Gangster im HipHop-Geschäft mitwirken, dann ist das kein Spaß. Das ist so, das kann ich bestätigen.

Im Forum schreit dann jeder gleich “Promo!”. Als komplett Außenstehender weiß man auch nie, was jetzt tatsächlich der Fall ist.
Ich kann dir eins sagen: Eine Waffe ist immer eine Nummer zu hart. Auch für Promo. Das ist meine Meinung. Dass Fler sich selbst Leute schickt, die ihn anschießen – niemals! Das kannst du groß schreiben, mit ganz vielen “i”s. Niiiiiiiemals passiert das. Kein Rapper macht so Promo. Kein Massiv lässt sich selbst anschießen für einen Zeitungsbericht. Fler wurde wirklich mit einer Knarre bedroht und wäre fast abgestochen worden, Massiv wurde in die Schulter geschossen. Das ist alles ernst. Ich weiß es. Ich wasche meine Hände in Unschuld, weil ich die Wahrheit gesagt habe.

In der Single “Hey du!” gestehst du ja, dass du ein Ossi bist. Wieso hast du das vorher nie erzählt?
Wir wohnten ja im Wedding im Asylantenheim, und zu der Zeit wusste das jeder. Aber als wir dann ins Märkische Viertel gezogen sind, da hab ich das niemandem erzählt, weil ich wusste: Okay, dann bist du das Opfer. Mittlerweile hat sich das gelegt, aber damals war das wirklich anstrengend.

Ihr seid also vor der Wende schon in den Westen gekommen?
Kurz vorher. Es sah schon nach Wende aus, die Leute waren schon auf der Straße. Meine Mutter hat einen Ausreiseantrag gestellt, der bewilligt wurde. Der Großteil meiner Familie hat im Westen gelebt, und ich hab immer Pakete gekriegt mit Zeug von drüben: Überraschungseier, Wrigley’s-Kaugummis – das war schon so krass verpackt! Dann sind wir rüber gegangen, und ich sag dir: Mein erster Döner war das Paradies. Zum ersten Mal diese Geschmacksverstärker – ey, ich dachte, ich bin im Paradies. (lacht)

Du hast also eine deutsch-deutsche Biografie, wenn man das mit Feuilleton-Vokabular beschreiben will.
Ja. Ich war Pionier, die ganze anstrengende Scheiße, die ganze Stasi-Scheiße – das hab ich alles mitgekriegt. Das war ja auch der Grund, warum wir gehen wollten, weil das wirklich anstrengend war. Natürlich war es für mich viel besser, im Wes-ten zu sein, so grundsätzlich. Denn die Freiheit hat man schon gespürt. Aber man hat auch gemerkt, wie es anstrengender wird: Im Osten hatte Mama immer einen Job, es gab immer Geld. Als wir dann im Westen waren, gab es auf einmal keine Arbeit für einen Ostler. Das war alles nicht so einfach. Wir sind sehr oft umgezogen. Ich war in vielen Schulen, weil es -nirgendwo richtig funktioniert hat.

Wie kommst du dazu, das genau jetzt alles zu offenbaren?
Ich wollte das schon immer erzählen. Aber ich wollte einfach genau den richtigen Moment. Dann habe ich dieses Sample gehört von “Linie 1” und dachte mir gleich: Das ist es. Daraus machen wir einen Song. Und sie singt da ja: “Ich will dir mal was erzählen von mir, dit hab ick noch nie jemacht, außer bei dir…” Ich glaube, dass das den meisten ohnehin egal sein wird. Nur nicht den Leuten von früher mit den “Westberlin”-T-Shirts. (lacht) Aber ich war zu tief drin. Wie sollte ich den Leuten erzählen, dass ich eigentlich der Über-Ossi bin, wenn mir schon beim Schlafen mein Westberlin-W unter der Bettdecke verkrampft ist? (lacht)

Im Album-Intro sperrst du deine Maske in den Schrank. Endgültig?
Das werden wir sehen.

Wozu hast du sie denn eigentlich gebraucht?
Ich bin ja normalerweise Brillenträger, und immer, wenn ich die Maske aufgesetzt habe, hab ich so gut wie nix gesehen. (lacht) Und ich war ja auch total abwesend damals, hab irgend eine Scheiße gequatscht, was die Leute aber interessiert hat. Dann saß ich bei MTV und habe meine Scheiße gequatscht, aber das war mir alles nicht so bewusst. So ziehe ich das bis heute durch: Ich geh bei “TV Total” die Treppe runter – auch wenn das meiner Plattenfirma jetzt im Ohr weh tut, wenn ich das sage –, aber es bedeutet mir nichts, da zu sein. Dieses Prestige-Ding finde ich cool, aber ich finde es viel aufregender, Sonntags bei Mama zu sitzen, wenn sie was Schönes gekocht hat und wir uns angeregt unterhalten, als bei Stefan Raab zu sitzen.

Deine Kurzsichtigkeit ist auch schuld daran, dass du deine Sonnenbrille nicht mehr absetzt.
Ja, weil da eben Stärke drin ist. Die Sonnenbrille ist das kleine bisschen Maske, was mir noch übrig geblieben ist. Jetzt kommt noch ein bisschen mehr Bart dazu und eine andere Frisur. Im Moment kann ich ja mal wieder auf die Straße gehen. Bis sie mich näher ankucken und die Tattoos sehen.

Wenn man so lange im Spiel ist wie du, dann kommt irgendwann die Zeit, wo die Leute erwarten, dass man einen Blick zurück wirft – was in deinem Fall mit dem Sekte-Album passiert.
Das Ding ist: Die meisten in der Sekte leben noch im Viertel. Die sind noch genau auf dem Film, auf dem wir damals waren. Deswegen ist das genau wie früher. Okay, die Beats sind ein bisschen anders – aber auch nur ein bisschen. Weißt du, ich mache ja heute Songs, ich kümmere mich darum, dass es einen C-Part gibt, dass der Song einen Spannungsbogen hat und diese ganze Scheiße. Aber der Sekte ging es nie darum.

Wie ist das, wenn man so durchstartet, aber noch einen Fuß da drin hat, wo man herkommt? Musstest du dich mal wieder auf den Boden holen lassen?
Ich hab auf jeden Fall immer Angst davor, dieses HipHop-Ding zu verlieren. Ich will jetzt nicht wie Bushido klingen, in den ganzen komischen Interviews, die er gerade gibt, wo er sich wieder für HipHop interessieren möchte oder so. Ich meine das ernst, und ich habe immer versucht, mich so gut wie möglich um HipHop zu kümmern und auch die Fahne für HipHop hochzuhalten. Ab und zu ist es natürlich passiert: Ich finde, ich hätte beim “Bundesvision Song Contest” eine hiphoppigere Show machen müssen. Samy stand da wahrscheinlich einfach mit Rucksack (lacht) und DJ, wurde Letzter, aber hat die Fahne für HipHop mehr hochgehalten als ich. Aber ich wollte ja gewinnen.

Als du dann voll auf HipHop gesetzt hast wie bei diesem Splash!-Auftritt mit Harris und -Stylewarz, kam auch nicht besonders viel Liebe zurück.
Zu der Zeit hätte ich machen können, was ich will, ich wäre so oder so gehasst worden. Ich war einfach der Große, der immer die Schnauze aufreißt, der im Wok sitzt… Ich hätte mich auch beworfen! (lacht) Die Leute haben mich ja nicht wirklich gehasst. HipHop ist eben so eine Battle-Kultur, und zu diesem Zeitpunkt war ich einfach das beste Ziel. Kein Problem. Ich bin ja nicht Sellout im Sinne von Spektacoolär oder Die 3. Generation oder was auch immer. Ich verkaufe weder meinen Arsch noch HipHop, sondern mache immer noch dieselbe Musik wie früher – und die verkauft eben einfach gut.

Du hast ja wieder so einen richtigen HipHop-Move gemacht. Auf deinem Album ist Samy Deluxe drauf. Wie kam das zustande?
Ich probiere doch schon seit drei Alben, einen Song mit Samy zu machen, aber es hat irgendwie nie geklappt, irgendwas kam immer dazwischen. Ich sehe Samy ja öfter auf Veranstaltungen und dann frage ich ihn einfach. Wir haben dann Nummern getauscht, aber es hat dann nicht funktioniert. Ich hab den Song auch in Hamburg mit ihm gemacht, ich glaube, da konnte er dann nicht mehr nein sagen. Und dann haben wir gerappt. Und er hat nichts geschrieben. Das habe ich ihm versprochen, dass ich das erzähle. Also: Er ist fünf Stunden hin und her durchs Studio gelaufen…

Jay-Z-mäßig.
Genau! Und hat im Kopf geschrieben. Ich hab zu ihm gesagt: Dicker, du musst das nicht machen. Ich werde trotzdem in jedem Interview erzählen, dass du krass bist und deine Texte nicht schreibst. Setz dich ruhig hin und schreib. Er hat’s nicht gemacht. Er hat nicht geschrieben. Er hat sich sogar noch das Licht ausmachen lassen in der Booth und hat im Dunkeln eingerappt. 20 Takte, ohne Text, ohne alles. Das war auf jeden Fall -bemerkenswert.

Ein paar Rapper bekommen auf deinem Album namentlich auf den Deckel. Musste das jetzt eigentlich noch sein?
Die haben die ganze Zeit schlecht über die Sekte geredet. Und die Jungs sitzen dann im Studio und sind heiß. Die sind wie wir früher. Mich -interessiert das heute nicht mehr, aber ich weiß, die Jungs sind heiß drauf. Denn so ein Kollegah-Glasknochen-Joe, was der da erzählt, das ist alles so lächerlich. Der kann keine Faxen machen vor Fuhrman, weil Fuhrman eine Hand hat, die so groß ist wie mein 15-Zoll-Monitor. Kein Spaß. Wie kann sich so ein Vogel das erlauben? Oder Farid Bang, der kann nicht vor Tony stehen und ihm so was ins Gesicht sagen, was er in Interviews über uns sagt.

Aber die sagen ja, das sei alles nur auf der Rap-Ebene zu sehen.
Ich finde nicht, dass da eine Rap-Ebene ist. Rap-Ebene bedeutet: ein, zwei Songs machen, ein paar lustige Lines bringen oder was auch immer, aber doch nicht in einem Interview sagen: Treffen wir uns auf einer Wiese, dann fick ich euch. Wo ist denn da Rap? Der soll mal wirklich auf die Wiese kommen, sich mit Tony da treffen und dann sollen sie Fußball spielen. Sollense mal machen…

Wen siehst du denn überhaupt als Konkurrenz?
Was Verkäufe angeht, ist Bushido natürlich Konkurrenz. Aber momentan haben wir uns so auf gleicher Höhe eingepegelt. Rap-mäßig sehe ich meine Konkurrenz ganz woanders. Ich finde Samy krass, auch Savas hat wirklich ganz krasse Momente. Aber was gute Songs angeht, bin ich immer noch der Beste. Samy kann das auch, aber Savas ist auf diesem Rapfilm hängen geblieben, er steht dazu, er rappt über Rap – das ist auch legitim. Aber er muss auch wissen, dass er damit nicht so viele Platten verkauft, weil HipHop in Deutschland leider einen ganz geringen Stellenwert hat. Und HipHop wird sogar immer lächerlicher. Du willst nicht mehr auf einer HipHop-Party sein zwischen 16- bis 20-jährigen HipHoppern, weil dir das irgendwie peinlich ist. Deswegen muss man eine Lanze für HipHop brechen und HipHop wieder zu HipHop machen. Und das müssen wir machen. Die 14-Jährigen, die die “HipHop-Bravo” lesen, sind die, die wir lenken müssen. Denen müssen wir erklären, wie HipHop wirklich ist und dass HipHop nicht das ist, was die “Bravo” einem verkaufen will: die dicksten Ketten und diese Scheiße. HipHop ist eine Ideologie, das müssen wir den Leuten wieder beibringen. Darum müssen Samy, Savas, Bushido, Fler, ich, wir uns kümmern. Das können wir von Kollegah nicht erwarten.

Aber auf der Fahne eurer Generation stand ja ganz groß, das damalige HipHop-Establishment zu zerstören. Und jetzt sitzt ihr vor den Scherben…
Ja, aber wir wollten ja nicht HipHop kaputtmachen. Wir wollten Blumentopf kaputtmachen, wir wollten Massive Töne nicht mehr, diesen ganzen komischen Mongo-Scheiß und was es da gab. Das war uns einfach nicht hiphoppig genug. Das war zwar gerappt und die sahen alle irgendwie atzig aus, aber wir wollten halt den HipHop, den wir gerne mochten. Aber die Leute haben nur die krassen Frisuren gesehen, die Maske, die Ketten, das ganze Drumherum.

Und mit so einem Album, wie du es gerade gemacht hast, macht man es richtig, ja?
Ich finde, dass mein Album so HipHop ist, wie geht. Ich hab mir diesmal noch mehr Kopf um meinen Flow gemacht. Und es sollte nicht so poppig sein – und das sage ich jetzt so abwertend, wie ich es meine – wie mein letztes Album. Nimm nur “Augen auf”: Einen Kinderchor zu nehmen, das war eine gute Idee, aber am Ende war es als Single-Wahl sehr berechnend. Und ich hätte “Carmen” wahrscheinlich nicht als Single rausgebracht. Aber ich hab Aggro Berlin da einfach immer vertraut und mir gesagt, die machen das schon richtig. Trotzdem: Es war nicht meine Intention, als ich das Album gemacht hab, ein Album für die “Bravo” zu machen.

Spielt das auch eine Rolle, wenn man selber ein Kind hat, das langsam in in ein gewisses Alter kommt?
Natürlich. Also ich möchte nicht, dass mein Kind so aufwächst wie ich. Und dazu muss ich einiges anders machen. Vielleicht finden das Leute voll spießig, was ich gerade sage. Aber im Grunde war ich früher die ganze Zeit auf Drogen, weil ich verdrängen wollte. Weil ich nicht dieses Haus am See hatte mit meinen Kindern und einem Garten und diesem ganzen Scheiß – dieses spießige Leben, von dem jeder im Viertel träumt. Und zwar jeder. Desue kommt aus dem selben Viertel und wohnt jetzt in derselben Gegend wie ich. Wir haben nie von etwas anderem geträumt, als so zu wohnen, wie wir jetzt wohnen: am Wasser, richtig schön.

Du warst ja jetzt auch eine Weile in Kalifornien, richtig?
Ich hab da den größten Teil meines Albums dort gemacht, es war aber ein großer Fehler, da hin zu gehen. Also es war schon schön. Ich habe gemerkt, dass ich große Unterstützung bei Universal habe. Aber es ist ein Problem, in so einem Umfeld ein anständiges Album zu machen. Wir hatten eine riesige Villa in den Hollywood Hills mit Ausblick über die ganze Stadt. Und dann sitzt du auf dem Balkon, schiebst einen Film und denkst, du bist der King. Dann fängst du aber auch an, so ’ne Songs zu machen. Ich hab die ganze Scheiße einfach weggeschmissen. Was ich mir nur dabei gedacht hab, so eine Scheiße zu quatschen. Ich war so froh, als ich dann wieder bei Mama war, auf den Boden gekommen bin und wieder ein normaler Mensch wurde. Weißt du, Amerika fickt dich. (lacht)

Wegen Aggro Berlin haben ja viele geglaubt, dass man mit Rap auf jeden Fall reich wird. Eine völlige Fehleinschätzung. Muss man den Leuten das erklären?
Finde ich schon. Aber wenn ich erzähle, dass ich in Hollywood bin und einen draufmache, dann ist das so. Aber diese ganzen Rapper, die keinen Pfennig verdienen, die könnten ruhig darüber rappen. So was finde ich viel realer, als die Leute, die sich einen BMW leihen für so ein DV-Video mit HH-Kennzeichen im Ruhrpott, wo man sofort weiß, dass das ein Mietwagen ist. Das ist lächerlich. Aber ich will nicht rumjammern, ich will nicht klingen wie Torch, das ist mir auch ein großes Anliegen… (lacht)

Aber man wird immer torchiger, je älter man wird.
Wahrscheinlich, Alter. Mir fehlt dieses HipHop-Ding, dieses Gefühl, was wir damals hatten. Vielleicht kriegen wir das nicht wieder hin. Aber wir sollten es zumindest versuchen. Wir machen uns wieder unsere eigene kleine Szene. Weißt du, die Leute, die Bock drauf haben, machen sich wieder einen neuen HipHop. Da wäre ich auch mit zufrieden.

Es gab ja mal die Regelung, dass du alles, was du einnimmst, mit Bobby teilst. Gilt das noch?
Das stimmt. Aber da mussten wir kurz was dran ändern, denn das hat nicht mehr so richtig funktioniert. Ich hab das selbst nicht so richtig verstanden, aber es war auf jeden Fall nicht ausgeglichen. Damit meine ich nicht, dass ich mehr verkauft habe und so. Das ist egal. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt richtig sage, aber ich glaube, ich habe dann auch seine Schulden mitgetragen. Dadurch, dass wir alles Hälfte-Hälfte gemacht haben. Daher müssen wir eine neue Regelung finden. Aber vom Grundsatz her bleibt der Deal bestehen.

Abschließende Frage: Was erwartest du dir von der nahen Zukunft?
Ich will auf jeden Fall viel arbeiten. Kein Urlaub, sondern nur noch ackern. Ich hab mir viel vorgenommen: Ich will “MTV Unplugged” machen und diese ganzen Sachen, die einen Musiker in die Hall of Fame bringen. Eines Tages will ich diesen Status von den Ärzten haben, die früher auch voll verkannt waren.

Das war’s eigentlich dann.
Warte, wegen Bushidos “Ich ficke”-Liste: Ich fühle mich geschmeichelt. Aber es ist irgendwie komisch. Ich habe auch eine “Ich ficke”-Liste, aber da stehen so Leute drauf wie Jessica Alba und Eva Mendez. (lacht)

Text: Marc Leopoldseder

Fotos: Katja Kuhl

 

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