»Ich war nie ein Fan von politischem Rap« // Koljah im Interview

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»Aber der Abgrund« ist entweder das erste Koljah-Solo-Release seit neun Jahren, oder der zweite Antilopen-Solo-Gang nach Danger Dans »Reflexionen aus dem beschönigten Leben«. Definierender für die EP ist aber ohnehin die Zeit dazwischen: Koljah trinkt nicht mehr, ist Vater geworden und sieht Klärungsbedarf bei Leuten, die seine Crew neun Jahre nach der Line »Ich hasse politischen Rap« zu Posterboys eben jenes Subgenres gemacht haben.

»Aber der Abgrund« klingt pessimistisch – war das ein bewusster Ausgleich zur Musik der Antilopen Gang?
Wenn ich allein Songs schreibe, ist das allgemein ein bisschen düsterer, schlechter gelaunt. Ich hab auch immer Musik gefeiert, die nicht so Li-La-Launebär-mäßig ist – als Kind war ich Rödelheim-, nicht Fanta-4-Fan, und das ist eigentlich auch so geblieben. Rap hab ich immer als Mittel genutzt, um über Sachen abzukotzen. Letztens hat jemand gesagt, dass die neuen Lieder motzig sind, das fand ich passend.

Wo verortest du dich denn selbst gerade in der Szene?
Rein vom Sound ist das straighter Rap. Ich hab Beats gepickt und spitte darauf, fertig. Klar, inhaltlich positioniere ich mich teilweise ganz bewusst außen vor. Ich seh mich aber schon als Rapper, und mir geht es auch um Punchlines.

Auf der EP forderst du offen Erwartungshaltungen heraus, auch die Antilopen Gang und ihr Image kritisierst du. Hast du mit dir gerungen, ob das in der Form okay ist?
In den letzten Jahren ist dieses Projekt »Antilopen« ganz schön groß geworden. Wir leben jetzt auch schon eine ganze Weile davon und haben hie und da Kompromisse gemacht, bei denen ich mit etwas Abstand denke: »Hätte nicht sein müssen.« Ich hab die EP auch genutzt, um klarzustellen, wo ich mich selbst verorte. Das heißt nicht, dass die Antilopen Gang zerbrochen ist: Wir haben jetzt zusammengearbeitet, und es wird sicher auch wieder ein Album kommen. Aber wenn man sich mit uns auseinandersetzt, merkt man, dass wir nicht immer derselben Meinung sind, und auf der EP hab ich klargestellt, dass gewisse Erwartungshaltungen unangebracht sind. Ich war nie ein großer Fan von politischem Rap. Jetzt haben wir den Ruf, die Polit-Rap-Band überhaupt zu sein. Das stimmt nicht. In meinen Augen sind wir eine Rapcrew, die auch mal einen politischen Song macht.

Auf Facebook hast du dich im letzten Jahr häufiger politisch geäußert – war klar, dass das auf der EP kein Thema sein wird?
Nein, das war nicht vorher klar. Ich leg mir keine Verbote auf. Wenn ich Texte schreibe, läuft das eher assoziativ. Wenn ich ein Mitteilungsbedürfnis zu einer Sache hab, schreib ich das auch. Das war bei diesen Songs anscheinend nicht so dringlich, wobei Songs wie »Antithese« schon politische Statements enthalten. Aber du hast recht, es gibt politische Themen, die mir auf die Nerven gehen, zu denen mach ich einfach einen Facebook-Post.

Der Ton bei diesen Postings hat manchmal irritiert. Oft waren sie sehr knapp und schienen indirekt an eine bestimmte Zielgruppe adressiert …
Das stimmt. Wenn ich so ein Statement auf Facebook raushaue, beispielsweise zu Trump und dem Iran-Deal, dann ist das vielleicht voraussetzungsvoll. Teils bezieh ich mich auf Debatten aus gewissen Politkreisen, und wenn man die nicht auf dem Schirm hat, kann man das nicht richtig einordnen. Das richtet sich aber an Leute, die bei »Koljah« auf »Gefällt Mir« geklickt haben, und ich will denen einfach mal so einen Brocken hinwerfen, um eine gewisse Erwartungshaltung infrage zu stellen, weil ich mich manchmal falsch verstanden fühle.

Breiter diskutiert wurde deine Line »Das Frauenbild von Rappern ist so fortschrittlich wie Kopftücher« auf dem Danger-Dan-Album vergangenes Jahr, die auf ein Posting zu einem ähnlichen Thema folgte. Wolltest du die Leute da abfucken oder deinen Punkt deutlich machen?
Beides. Erst mal ist es eine Punchline, und mir ist klar, dass die bei gewissen Leuten gewisse Reaktionen hervorruft, weil ich weiß, wie Debatten über das Thema Kopftuch laufen. Insofern weiß ich, dass es Leute abfucken wird, aber es ist auch als Statement zu verstehen. Ich habe eine feministische Kritik am Kopftuch, und ich finde es ein Ding der Unmöglichkeit, dass die Debatte um das Thema so verschoben ist, dass die allermeisten Linken sich überhaupt nicht an das Thema trauen, aus Sorge, es könne rassistisch oder AfD-nah wirken. Dadurch kommt erst die Situation zustande, dass die AfD solche Themen reklamieren kann. Ich finde, es sollte nicht provokant, sondern selbstverständlich sein, patriarchale Verhältnisse zu kritisieren, wozu ich auch die Verschleierung von Frauen zähle. Weil mir die Debatten bewusst sind, weiß ich, dass so eine Zeile den Finger in die Wunde legt, ich find aber, das ist eher ein Grund, es zu machen, als es nicht zu machen. Die AfD übt ja keine feministische Kritik am Kopftuch. Die findet den Islam scheiße, solange der in Deutschland ist. Denen ist scheißegal, ob im Iran Verschleierungszwang herrscht.

»Die Entscheidung, nichts mehr zu trinken, war für diese EP ganz zentral«

Mich hat gestört, wie verknappt die Kommentare waren – man musste es in der Form kommentieren.
Den Vorwurf kann ich mir schon gefallen lassen, dass ich so was in den Raum stelle, aber dann nicht weiter ausführe. Manchmal finde ich Gefallen daran, mit so einem provokativen Statement rauszugehen. Konkret auf die Punchline bezogen, fände ich es fast lächerlich, sie zu erklären. Man kann darüber debattieren, wie viele Frauen freiwillig Kopftücher tragen, wie viele dazu gezwungen werden und so weiter. Aber das ändert nichts daran, was das Kopftuch in seiner Symbolik und Funktion ist. Dass die Idee eines Kopftuchs keine riesig fortschrittliche Sache ist, finde ich erst mal eine banale Erkenntnis. Ich versteh das eher als eine selbstverständliche feministische, meinetwegen auch humanistische Sicht. Sachen wie Aufklärung und Gleichberechtigung find ich gut.

Auf der EP gehst du offen um mit Alkohol- und Drogenkonsum sowie einem aktenkundigen Ereignis, das dich abstinent werden ließ – hast du dir damit schwergetan?
Ich rede in dem Lied »Misere« darüber, aber das ist ja nicht ganz konkret, da verschwimmt so ein bisschen die Grenze zwischen Poesie und Tatsachenbericht. Das hab ich direkt nach diesem Vorfall geschrieben, da hab ich auch nicht weiter drüber nachgedacht. Dass ich aber wirklich den Polizeibericht in die Vinyl-Version gepackt hab, darüber hab ich schon nachgedacht, weil es sehr privat ist, aber einfach zu gut gepasst hat. Die ganze EP steht für mich für so einen Punkt in meinem Leben, an dem ein altes Kapitel zu Ende ging und ein neues angefangen hat, und für diesen Wendepunkt war der 9. August 2016 und die Entscheidung, nichts mehr zu trinken, ganz zentral. Und der Polizeibericht ist schon auch lustig, in so einer tragischen Komik.

Auf »Aber der Abgrund« gibt es kaum Positives, trotzdem dringt zwischen den Zeilen manchmal das durch, was im Titel vor dem »Aber« kommen müsste. Hattest du auch den Drang, was Positives zu schreiben?
Die Einschätzung gefällt mir. Wenn alles so negativ ist, dann, weil ich das rauskehre, was mir in der Kunstform Rap am meisten Spaß macht. Aber das heißt nicht, dass mir, während ich diese Texte schreibe, eine Träne die Wange herunterläuft. Ich kann auch so einen Text schreiben und es geht mir okay, ich sitz auf dem Balkon und die Sonne scheint. Teilweise sind da auch Sachen drauf, die sehr negativ und drastisch wirken, während ich mich darüber kaputtgelacht hab beim Schreiben. Ich hab auch mal drüber nachgedacht, aus einer anderen Perspektive zu schreiben, deswegen hab ich vorhin auch gesagt, dass die EP einen Wendepunkt markiert. Ich hatte das Gefühl, diese sieben Lieder sind wie sie sind, die Geschichte gehört so. Und vielleicht wird es in Zukunft anders klingen, wenn ich solo Songs mache.

Text: Sebastian Berlich
Foto: Kay Özdemir

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