G-House go brazy: Wie Channel Tres Comptons Erbe weiterschreibt // Feature

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Channel Tres schreibt das musikalische Erbe seiner Heimat weiter – indem er es mit Dance-Music-Einflüssen aus Detroit und Europa vermengt. Nun erschien seine zweite EP »Black Moses«.

Das viertelstündige Telefonat endet mit einer Entschuldigung. Channel Tres sitzt irgendwo in seiner Heimatstadt Los Angeles beim Brunch, als es in Berlin durch den Handylautsprecher knistert: »Ich bin heute leider echt launisch und müde, weil ich jetzt so lange unterwegs war. Sorry, das tut mir leid«, sagt er. Eine Handvoll Gigs in den USA und Shows in Frankreich, Dänemark und Spanien hat er hinter sich, das scheint zu schlauchen. Aber das ist okay, denn: »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal tun könnte. Aber das ist das Ergebnis von harter Arbeit«, sagt Channel Tres während des Gesprächs. Am Ende eben jener Maloche steht ein Sound, den man so aus der Heimat des Gangsta-Rap (lest hier unser großes Feature zu Rap aus Compton) in dieser Form noch nie zu hören bekam.

Aber von Anfang: Sheldon Young wird in Lynwood geboren und wächst dort und in Compton gleichermaßen auf. Erzogen wird er von seinen Großeltern, die ihm im Alter von fünf Jahren ein Drumset schenken. Channel Tres lebt sich in der (Kirchen-)Musik und der Stadt aus, verliert sich irgendwann als DJ in lange Klubnächten und dem dazugehörigen Drogencocktail, bis er für einige Jahre Reißaus nimmt und zum Musikstudium nach Oklahoma zieht. In den drögen Mittleren Westen verschlägt es ihn auch dank Kendrick Lamar: »Ich habe ein Interview von ihm gehört, in dem er erzählt hat, wie gut es ihm tat, die Stadt mal zu verlassen. Andere Dinge sehen. Neue Leute kennenlernen. Das wollte ich auch«, sagte er 2018 dem »Dummy Magazine«. Und es hilft.

»Ich habe früher extrem viel Paul Kalkbrenner gehört«

Nach und nach befeuert er seine Soundcloud mit einem bunten Repertoire aus Folk- und Up-Tempo-Songs, er gründet zeitweise sogar eine eigene Folk-Band. Kaum einer der Tracks zählt mehr als 100 Klicks. Bei Kennern finden seine Songwriter-Qualitäten aber Anklang, nach und nach schreibt sich Tres erste Songwriting-Credits für Kehlani oder Duckwrth ins Portfolio. Dann zieht er den Stecker.

Tres löscht sämtliche alten Songs aus dem Netz, will sich neu erfinden. »Ich wollte mir Zeit geben, mich und meinen Sound zu entwickeln«, erinnert er sich. Nach monatelangen Sessions erscheint Mitte April des vergangenen Jahres die Single »Controller« über die Tastemaking-Instanz Godmode Music. Tres deutet auf dem Song zum ersten Mal die Soundidee an, die ihn dank einer nach sich benannten EP und weiteren Singles in Windeseile auf die Bühnen weltweiter Clubs und Festivals spülen wird: Er vermischt kompromisslosen Detroit House mit Westcoast-Synthies, G-Funk-Grooves und sogar technoiden Elementen.

Konstruiert ist das nicht, vielmehr aus den Kinderschuhen herausgewachsen: »Ich habe früher extrem viel Paul und Fritz Kalkbrenner gehört. ›Berlin Calling‹ ist bis heute einer meiner Lieblingsfilme.« Die Songs sind brachial, triefen aber gerade so vor Stil.

Channel Tres’ extrem tiefe Stimme und die Vocals, die weder Rap noch Gesang sein wollen, runden den Sound zu einem Unikat ab. Nicht umsonst sagt der Compton-Native im Intro des Arrangement-Feuerwerks »Topdown«: »You ain’t never heard shit like this from the block tho«. Die Musik ist hood und dennoch extrem hip. Tres meistert, auch in seinen Visuals, den Spagat zwischen der Repräsentanz seiner musikhistorisch extrem dekorierten, aber nicht immer einfachen Heimat und dem Schaffen von Anknüpfungspunkten für Szene-Kids und Hypebeasts. »Er ist mein neuer Lieblingskünstler. Junge, ist der gut!«, lässt sich selbst Popikone Elton John in seiner Radioshow zu einem Ritterschlag hinreißen.

Zwischen all den Dance-Referenzen und Bass-Abfahrten steckt aber mehr als nur neues Futter für etwaige »Boiler Room«-Sets dekorierter House-DJs. In einem Interview mit »i-d.com« beschreibt Tres seinen Sound als »Self-Empowerment, that makes you move your ass«. Als Künstler will er andere Artists ermutigen und beispielhaft dafür stehen, was mit der nötigen Portion Mut zum kreativen Risiko möglich ist: »Ich möchte andere Künstler dazu animieren, das zu machen, was sie wirklich machen wollen. Von einem Typen wie mir würde man auch nicht unbedingt diese Musik erwarten«, brummt er ins Telefon. Dass Tres zuvor zwar als Songwriter geschätzt war, seine Ambitionen als Solokünstler aber lange nicht ernst genommen wurden, spielt da auch mit rein: »Das war überhaupt nicht gut für mein Selbstwertgefühl. Auf ›Controller‹ wollte ich klarstellen, dass nur ich mein Schicksal kontrolliere. Dass ich die Entscheidungsmacht über meinen eigenen Weg habe«, beteuert Tres gegenüber dem »Fact Magazine«.

Für die eigene Stimme geschämt

Überhaupt: das mit dem Selbstwertgefühl. Es dauerte, bis sich Tres als Künstler wirklich wohlfühlen könnte. Das liegt vor allem an seiner Stimme. Die natürliche Tiefe besaß die schon in jungen Jahren. Dass Kinder fies sein können, merkte der junge Tres bei seinen ersten lokalen Auftritten. Da wurde er ausgelacht und mitunter auch ausgebuht. »Danach hatte ich eine Barriere im Kopf, die ich mühsam durchbrechen musste.« An Live-Auftritte war deshalb lange nicht zu denken. Bis zu einem Konzert in London, bei dem Channel Tres von teils wildfremden Menschen gefeiert wird und das rückblickend eine Kehrtwende in seiner Karriere darstellt: »Davor habe ich so viel geprobt. Das war der Moment, wo ich dachte: ›Okay, jetzt kann ich vorzeigen, was ich im Studio eigentlich immer mache‹.«

Tres’ Shows gleichen mittlerweile ganzen Choreografien. Hunderte Tänzer aus allen Ecken der Vereinigten Staaten castete er, ein paar Jungs aus Minnesota schafften es letztendlich in die Crew. Neue Mitglieder sucht er bereits. Denn, und das betont Tres während des Gesprächs immer wieder, für ihn zählt einzig die Qualität. Für sein Schaffen bedeutet das: »Der Song muss sich gut anfühlen und einer sein, den ich auch noch Jahre später gerne hören würde. Auch weil ich mit ihm reise und ihn immer wieder und wieder spiele.« Der nächste Tour-Kater scheint also vorprogrammiert. Ihm wird es das wert sein.

Text: Louis Richter
Foto: Devyn Galindo

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