Haiyti – influencer // Review

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Wertung: Fünfeinhalb Kronen

In den Kulturredaktionen werden nach nur sechs Monaten schon wieder Album-Reviews über Deutschraps Feuilleton-Liebling geschrieben. Dabei bedient man sich an Vampir-Metaphern (Album-Cover) und Influencer-Wortspielen (Album-Titel). Und wieder wird in Zeitungsinterviews die Ambivalenz dieser Musikerin besprochen: Ist sie der ewige Geheimtipp? Oder doch der letzte Rockstar Deutschlands? Wieder fragt man sich, wie das im Rap funktioniert mit der Gleichzeitigkeit von »Straße sein« und Luxus-Grind. Dabei wandelt Haiyti schon seit ihrem Debüt »City Tarif« zwischen den dunklen Seitenstraßen Sankt Paulis und den hellen Schaufenstern edler Kudamm-Boutiquen. Die Hamburgerin hat die Unverständlichkeit ihrer Person und ihrer Musik längst zur eigenen Marke gemacht. Auf »influencer« wird die Unerwartbarkeit Haiytis zum entscheidenden Momentum. Schon auf dem Intro »comeback« schreit sie über einen Flötenbeat: »Ich bin Deutschraps Zukunft, dass ich nie wieder zurückkomm’, war ein Trugschluss«. Der spielerische, französisch angehauchte Style von »SUI SUI« scheint verflogen. Stattdessen zieht sich eine düster-trappige Winterschwere durch die 19 Tracks. Vom Rücksitz eines Motorrads werden dabei auf »sweet« nächtliche Notrufe an die Style-Polizei abgegeben, denn für fehlende Realness in der Szene gibt es noch immer Lebenslänglich. Auf »benzin« folgt ein Beat mit orchestraler Hook, die stellenweise in dramatisch anmutende EDM-Dimensionen abzudriften droht und von zerstückelten Autotune-Fetzen begleitet wird. Ein unerwarteter Höhepunkt jagt den nächsten. Mit den kroatischen Lyrics von »kokaina« blitzen die familiären Wurzeln der Ausnahmekünstlerin aus Langhorn auf. Dieses spannende Lyrik-Detail scheint wie nebensächlich eingebaut. Schon in der nächsten Strophe ist die Hamburgerin mit atmosphärischen Vocals auf deutsch wieder ganz wo anders: »Ich fahr los, doch ich kann nicht fahrn. Mit 200 auf der Reeperbahn«. Schien ihr Debütalbum »Montenegro Zero« und das darauffolgende »Perroquet« noch vermehrt in ein übergreifendes Konzept gegossen, gewinnt Haiyti 2020 ihre Leichtfüßigkeit zurück. Ihre Diskographie, egal ob Major-Album oder Independent-Projekt, ist deswegen so gut, weil Haiyti in all den Jahren nie etwas wirklich langweiliges gemacht hat. Nie klang sie wie die erfolgreiche Konkurrenz. Das Album »influencer« führt das fort. All seine Höhepunkte in einer 2000 Zeichen Review aufzuschreiben: unmöglich.

Text: Lukas Hildebrand

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