Goldroger: »Mukke machen ist für sich schon ein Ausbruch« //Interview

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Goldroger vollendet die »Diskman Antishock«-Trilogie und komplettiert mit dem finalen Teil der Reihe sowohl die musikalische Reise, als auch etliche Handlungsstränge der ersten beiden Tapes. Wir haben uns mit dem Kölner Rapper über die Konzeption der einzelnen Teile, sowie des Gesamtalbums, die enge Zusammenarbeit mit den Produzenten Dienst & Schulter, Musik als Ausbruch aus vorgegebenen Mustern und seine gelassene Sicht auf die Zukunft unterhalten.

Foto: Robert Winter

Lass uns über den dritten Teil von »Diskman Antishock«, deiner …. Wie nennst du das eigentlich? Albumreihe? Hast du einen Begriff für die zusammenhängenden drei Teile?
Mittlerweile ist das ganze zusammenhängende Ding für mich das Album. So wie Herr der Ringe nicht nur ein einzelner Teil ist. Von der Herangehensweise sind die drei einzelnen Teile für mich eher Mixtapes.

Da die Trilogie jetzt vervollständigt wird, wollte ich erstmal wissen, wie du das konzipiert hast. Du wusstest schon von Beginn an, dass es drei Teile werden, oder?
Ja, so habe ich mir das am Anfang ausgedacht. Auf dem ersten Cover sieht man auch schon die drei Symbole. Ich finde es immer geil, wenn es eine Reihe gibt. Ich ahne das auch bei anderen Rappern, zum Beispiel bei Meek Mill fand ich das cool. Daher wollte ich sowas auch mal machen. Ufo361 fällt mir gerade noch ein, der ist wahrscheinlich das prominenteste Beispiel aus Deutschland. Man kann natürlich auch bis vier, fünf oder sechs gehen, so Lil Wayne-mäßig. Aber bei drei hat es mir dann gereicht.

Gerade bei mehr als drei Teilen hat es immer die Gefahr, dass so eine Reihe ein bisschen langweilig und vorhersehbar wird und dann ihre Magie verliert.
Total. Man fängt dann an, die Sachen untereinander zu vergleichen und wertet den cooleren Teil gegen einen schlechteren Teil. Irgendwann wird es doof und das hier ist ja auch nicht Final Fantasy, wo es bis Teil 13 gehen musss. (lacht) Daher bin ich cool mit drei Teilen von »Diskman Antishock«, danach kommt wieder etwas anderes.

Sind die einzelnen Teile in verschiedenen Phasen entstanden, die dadurch auch eine gewisse Entwicklung abbilden? Oder kann man die Entstehung gar nicht so klar unterteilen?
Jein. Ich hatte Ende 2018 / Anfang 2019 einen richtig krassen Rush. Da hatte ich eine Phase, in der ich mit Musikindustrie-Themen und der Meinung von vielen Leuten konfrontiert wurde, das war nach dem Release von »AVRAKADAVRA«. Das hat mir erstmal den Turn auf Musik genommen und ich habe gar nichts geschrieben. Dann hatte ich aber so einen Punkt, an dem ich mir gesagt habe, dass es eigentlich scheißegal ist, und ich erstmal so Songs gemacht habe, wie ich Bock hatte. Da war ich dann im Mixtape-Modus und habe um die fünfzig Demos in ziemlich kurzer Zeit gemacht. Dann wusste ich, dass es auf jeden Fall mehr als nur ein Tape wird und habe die Idee gehabt, diesen Dreiteiler daraus zu machen. Manche Ideen waren natürlich polierter als andere, die habe ich dann sortiert. Die Demo von »Potion« ist am Ende einfach der fertige Song geworden. »Schwarz« gab es dagegen schon lange, aber ich war mit manchen Sachen nicht so happy und wollte ihn dann nicht auf dem zweiten Teil haben, weil es von der Tracklist her wenig Sinn gemacht hätte. Da wären dann zu viele düstere Songs drauf gewesen. Ich hatte auf jeden Fall diesen riesigen Pool an Ideen, manche davon waren nur einzelne Lines oder Hooks, andere dafür fertige Songs. Ich wusste, dass ich den Großteil davon, die coolen Sachen, fertig machen will – und das war die Grundlage für »Diskman Antishock«. Ich hatte also eine grobe Richtung und wusste, wie es klingt, auch wenn ich zwischendurch Sachen gekickt habe, die mir nicht so gefallen haben. Für mich war das eine Ausprobierphase. Das ganze Diskman-Ding hat für mich etwas von, auch wenn das jetzt vielleicht cringe klingt, wie wenn Albrecht Dürer Studien gemacht hat. Der hat dann zum Beispiel ganz viele Hände gemalt und sich ausprobiert, was bei Künstlern oft vorkommt. Das war für mich der Vibe. Es war ein Prozess des Machens, der einen gewissen Grundrahmen hatte, mit dem ich mich vor allem ausprobieren wollte.

»Solange ich selbst geil finde, was ich da gemacht habe, kann mich eigentlich nichts enttäuschen. Das ist die gesündere Haltung, wenn man sich den Spaß am Musikmachen erhalten will.«

Wenn du schon meinst, dass ein Song wie »Schwarz« nicht unbedingt auf dem zweiten Teil stattfinden sollte, um eine gewisse Balance zu halten: Wie bist du an die jeweiligen Tracklists der einzelnen Teile herangegangen und was war dir da wichtig?
Es war mir mega wichtig, dass es dort eine gewisse Ausgewogenheit gibt und man nicht zu sehr in genau eine Stimmung reinkommt. Das ist natürlich auch immer eine Sache der Wahrnehmung. Manche Songs können zwar traurig sein, aber dann hat der Beat vielleicht einen fröhlicheren Vibe oder es gibt andere Facetten, die ich eher als hell empfinde. Bei mir ist es oft eine Unterteilung in hell und dunkel. Das ist nicht unbedingt nur vom Thema des Songs abhängig, sondern auch davon, welchen Vibe mir der Beat gibt. Ich wollte, dass es auf jedem Teil Songs gibt, die ein bisschen rausfallen. Auf dem ersten war das »Halt«, auf dem dritten Teil sind es Sachen wie »Mittelstreifen« oder »Odonien«. Es soll eine Mischung von Songs geben, die klare Singles sind, und welchen, bei denen es überhaupt nicht den Anspruch gibt, daraus einen Streaming-Loop zu generieren. Das sind die Sachen, wo ich mich eher artsy auslebe und es vielleicht keine Hook gibt oder wie bei »Horkrux« einfach nur erzähle, selbst wenn der Song am Ende eine Single war. Ich will am Schluss das Gefühl haben, etwas rundes, ganzes geschaffen zu haben. Das war eine der großen Aufgabe bei der Diskman-Reihe: Ich hatte diesen Pool mit Ideen und musste den cool auf drei Teile aufteilen. Ich hätte natürlich auch sieben Singles auf den ersten Teil packen können, aber dann wäre mir nach hinten raus die Luft ausgegangen. Dazu kam noch der Blick, dass die drei Teile zusammen ein ganzes Album ergeben. Mir war es wichtig, dass bei Diskman am Ende ein Album rauskommt, dass ein typisches Rap-Album ist. Es hat jetzt 24 Tracks und ist damit so ein überfülltes Rapper-Album, das sehr viele Facetten abdeckt und durchweg spannend bleibt. Das kann die nächsten Jahre erstmal für sich stehen. Der dritte Teil hat da noch einige Lücken gefüllt, gerade durch Songs wie »Rave«. Das ist tatsächlich einer der wenigen Songs, die relativ spät entstanden sind. Ich hatte das Gefühl, dass noch etwas fehlt, das anders ist.

Klar, macht total Sinn, da eine gute Ausgewogenheit zu finden. Hättest du alle offensichtlichen Hits auf den ersten Teil gepackt, hätte das wahrscheinlich auch falsche Erwartungen bei deinen Fans geweckt.
Total. Ich hatte am Anfang mit dem Gedanken gespielt, dass die drei Teile jeweils einen ganz anderen Sound haben, aber das wäre verwirrend gewesen. Außerdem höre ich gerne Sachen wie Brockhampton oder Kanye West und finde es geil, wenn ein Album die gewisse Diversität an Sounds und Ideen hat. Das ist für mich der Anspruch an Musik. Ich glaube, für den Großteil der Leute hat sich das erledigt, weil es mit Blick auf Spotify mehr Sinn macht, zehnmal den gleichen Song auf’s Album zu packen, der gut funktioniert. Bei mir kam das eher aus der Emotion, machen zu wollen, worauf ich Bock habe. Das habe ich bis zum Ende durchgezogen. Auch wenn ich wusste, dass manche Songs vermutlich untergehen werden. Solange ich selbst geil finde, was ich da gemacht habe, kann mich eigentlich nichts enttäuschen. Das ist die gesündere Haltung, wenn man sich den Spaß am Musikmachen erhalten will.

»Rave« ist ein gutes Beispiel für eine Eigenschaft deiner Musik, die sich gefühlt schon seit »Avrakadavra« durchzieht und dir auch in einigen Reviews bescheinigt wird: Dein Sound hebt sich von Mainstream und den Ästhetiken ab, die aktuell angesagt sind und von vielen verfolgt werden. Wie konzipierst du das? Bei »Rave«, der Rock mit HipHop und einem sehr anschlussfähigen, poppigen Vibe verbindet, hast du bereits selbst den Vergleich mit N.E.R.D aufgemacht.

Ja, ich glaube näher an einen Partysong komme ich nicht ran. (lacht) Ich habe zuerst tatsächlich den Grundloop ohne die Gitarren, also nur Bassline und Drums, gehört. Der ist irgendwann in einer Session entstanden, den Dienst & Schulter mit Lugatti & 9ine gemacht haben. Die haben das überhaupt nicht gefühlt und der Beat ist im Ordner vergammelt. Irgendwann habe ich den gehört, dachte direkt an eine Funk-Gitarre und danach noch ein harte Gitarre und hatte ultra Bock. So entsteht das einfach. Dass es eine Single geworden ist, war dann überraschend, aber der Song ist halt echt gut geworden. Ich bin jemand, der relativ gerne plant, was er machen will, aber oft entstehen Sachen durch eine Verkettung von Zufällen, die dann geil sind. Das kann man nicht immer steuern und »Rave« ist das beste Beispiel dafür. Da ist ein Song entstanden, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn machen will, bis ich den Bass und den Beat gehört habe.

Haben Dienst & Schulter beim dritten Teil eigentlich alles produziert?
Fast. Außer »Antishock«, der zusammen mit Mary entstanden ist, der auch bei denen im Studio sitzt. »Mittelstreifen« ist ein Song, den tatsächlich Yrrre mit Cap Kendricks angefangen hat. Ich wollte diesen Beat unbedingt haben, weil ich sonst keinen für die Garage-Vibes hatte. Eigentlich sollte er also auf Yrrres Album landen, aber er hat mir den Song netterweise für mein Album überlassen. Der Beat ist von Cap Kendricks. »Frag mich wie« ist von einem Homie aus Stuttgart gekommen, der heißt GUS. Da haben Dienst & Schulter den Beat fertig gemacht und zum Beispiel noch die Gitarren eingespielt.

Kommst du dann mit mehr oder weniger konkreten Ideen zu Dienst & Schulter und arbeitest mit denen zusammen was aus, anstatt klassisches Beatpicking zu betreiben?
Ich bin selbst nicht der krasseste Produzent, der gerne in DAWs rumspielt, habe aber eine Menge Ideen. Deshalb bauen wir auch Beats zusammen. Selbst wenn die Jungs was für andere produzieren, werfe ich gerne Ideen ein. Viele Sachen, die wir gebaut haben, sind nicht zwangsläufig Goldroger-Songs geworden. Das ist geil, weil ich meine Faszination fürs Produzieren bei denen ausleben kann. Wir kennen uns einfach sehr gut und ich habe Zugriff auf ihren Dropbox-Account, wo alle Beats drin sind, teilweise sind das auch nur Loops. Ich höre das, schreibe manchmal was und habe oft eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie etwas arrangiert werden könnte, wo etwas fehlt usw. So hat es für »Diskman« oft funktioniert. Ich hatte einen eher rohen Loop und habe damit Vorstellungen entwickelt, wo der hingehen könnte. Das ist so ein Ping Pong-Ding. Das macht das ganze viel mehr zu meiner Musik und ich bin den Jungs echt dankbar, dass ich mich da so ausleben kann. Außerdem touren wir auch zusammen, die beiden machen DJ und Gitarre, einer übernimmt dazu noch das Management bei mir. Das ist schon sehr eng verwoben.

Cool, wenn das so eine enge Beziehung ist, die dann ja sehr viel abdeckt, was rund um die Musik passiert.
Total. Es ist cooler, wenn man diese Reise nicht alleine macht, sondern zusammen erlebt. Tatsächlich ist das geilste, wenn man die erste eigene Show ausverkauft, wenn der erste Song eine Million Streams erreicht und ähnliches. Da kommt auch später nicht mehr viel ran. Das merke ich, wenn ich mit erfolgreicheren Musiker*innen rede: Es sind die geilsten Dinge, wenn sie zum ersten Mal passieren. Und dann ist es super, wenn man zwei Homies dabei hat, mit denen man dieses Gefühl teilen kann.

Apropos geile Momente. Die erlebst du natürlich auch auf der textlichen Ebene der drei Teile, die das Album ergeben. Andererseits lebt das Gesamtwerk auch ziemlich stark von den Struggles, die du dort offen ausbreitest. Wie ist das für dich, die persönlichen, teilweise miesen Phasen in die Musik einfließen zu lassen, ohne das zu glorifizieren, sondern klar zu benennen?
Ich finde das tatsächlich gar nicht so schwer. Ich finde es eher schwer, mir auf Instagram eine Kamera ins Gesicht zu halten und zu reden, aber viel weniger schwer, die Hosen auf einem Song runterzulassen. Auch ganz ohne Ironie-Filter, sondern einfach als straighte Ansage. Das war der andere Rahmen für das »Diskman Antishock«-Ding: Ich hatte in der Zeit davor eine Menge Abfucks, die ich in den Texten verarbeitet habe. Ich würde nicht sagen, dass es für mich Therapie oder so ist. Das ist ein Satz, der in vielen anderen Interviews mit Rapper*innen fällt. Ich verarbeite da eigentlich nichts. Solange ich es noch nicht erzählt habe, muss ich mich aber immer wieder damit beschäftigen. Zum Beispiel muss ich mich mit einem Liebeskummer, der weit weg ist, noch monatelang beschäftigen, weil ich immer mit den Demos konfrontiert werden, anstatt die Sache zuzumachen. Therapie ist für mich auf jeden Fall, den Deckel drauf zu machen und diesen ganzen Ballast loszulassen. Solange ich die Idee noch verarbeite, ist es eigentlich richtiger Masochismus. Aber ich finde das geil! Mukke muss das natürlich nicht machen und ich finde nicht, dass es sie wertiger macht, wenn sie hochemotional ist. Es gibt auch Songs, die einfach stupid sind und die ich genial finde. Aber mir selbst macht diese Verarbeitung Spaß und diese Platte hat den Rahmen dafür geboten. Ich hatte richtig einen an der Achse und das hat gut gepasst.

Was heißt das, richtig einen an der Achse zu haben?
Stress, viel Rapper-Geld und gleichzeitig ein Problem mit Kiffen, weshalb man so viel kiffen kann wie man will. Dazu eine Trennung mit Stress und außerdem Unsicherheit. Wenn man einen kreativen Beruf und gleichzeitig keine reichen Eltern hat, ist damit immer eine gewisse Existenzangst verbunden. Dazu kommt der Zwiespalt zwischen »Machen, was ich will« und Leuten um mich drumherum, die lieber sehen würden, dass ich mache, was berechnender ist und gut läuft. Da kommt viel zusammen. Wenn das dazu noch in einer stressigen Zeit zusammenkommt, weil man sich vorgenommen hat drei Teile zu machen, dann ist das eine konstante Achterbahnfahrt. Zwischen »Geil, ich bin der König der Welt« und »Was tu ich mir hier an? Das macht alles keinen Sinn«.

Von diesen einzelnen Themen finden sich viele auf dem dritten Teil wieder. Ich habe mich gefragt, ob das Release vom dritten Teil eine Art Abschluss mit einigen dieser Aspekte darstellt. Oder halten diese Struggles weiterhin an? Ich habe mich das zum Beispiel in Bezug auf »Brandlöcher« gefragt, auf dem du das ständige Kiffen und Gefahren einer Sucht thematisierst.
Ich bin auf jeden Fall aus diesem Game raus, aber es ist wichtig vor Augen zu haben, dass man jederzeit wieder darüber stolpern kann. Es ist ein Thema, dass auf dem Album bisher oft kam und es fehlte noch die Perspektive, dass das auch nicht geil sein kann. Aber es sollte auch ein Song sein, der nicht so Zeigefinger-Scheiß ist, sondern den man selber beim Kiffen hören kann und sich dann vielleicht denkt, dass man weniger kiffen sollte. Andere Themen, die ihren Abschluss finden, gibt es auch.

Da ist zum Beispiel die eine große Liebesgeschichte, bei der noch Abschnitte fehlten, die jetzt in Form von »Frag mich wie«, »Mittelstreifen« und »Schwarz« erscheinen. Die ergeben eine Reihe mit Songs wie »Uu« von Teil II, wo es um das Frisch-Verliebt-Sein geht. „Frag mich wie« ist ein schöner Lovesong mit Commitment; dann kommt »Mittelstreifen«, wo man merkt, dass es bricht; hin zu »Schwarz«, wo man sagt, dass alles keinen Sinn mehr macht; dann kommt »Horcrux« mit seinem Trennungsmoment; dann hat man »Guck auf die Uhr«, wo man ein gewisses Reuegefühl bemerkt; hin zu »Wie leicht«, wo man der anderen Person ein letztes Mal hinterherjault und gleichzeitig merkt, dass es vorbei ist. Das zieht sich über die drei Teile und es war mir wichtig, diese Kapitel noch auszufüllen. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, das chronologisch vom ersten bis zum dritten Teil zu machen. Aber es war wichtig, dass die ganze Story drin ist. So wie es auf Teil I den »Bomberman« gibt, der Selbstzerstörung aus einer kritischen Perspektive aufnimmt. Diese Klammer wollte ich auf dem dritten Teil schließen, da kommt dann »King Bob Omb«, der das abfeiert und wo ich mit einer Destruktivität einfach cool rappe. Es gibt viele Querbezüge, die ich fertigstellen wollte.

»King Bob Omb« stellt für mich auch eine starke Facette dar, weil er dich quasi zum Endboss macht und eine sehr selbstbewusste Perspektive abbildet.
Tatsächlich haben mir einige Leute, auf deren Rat ich höre, eher davon abgeraten, den mit auf das Album zu nehmen. Aber ich wollte das durchziehen, egal wie er streamt, weil es mir wichtig war, einen Song mit Battle-Vibe zu machen. Ich hatte zum Glück die Freiheit, es so zu machen, wie ich mir das vorstelle. Ich weiß nicht, ob das auch so wäre, wenn ich das Album komplett independent rausgebracht hätte. Bei vielen ist es, glaube ich, so, dass sie, wenn sie einen Deal signen, eher dahinkommen zu denken, dass sie jetzt voll die gestreamlinte Popmusik machen müssen. Bei mir ist das anders. Ich kann hier machen, was ich will, denn es kommt ja so oder so raus. Mir hat das voll die Freiheit gegeben. Hätte ich das alleine rausgebracht, hätte ich wahrscheinlich mehr Kompromisse gemacht. So konnte ich sehr kompromisslos ausleben, worauf ich Bock hatte.

Interessanter Ansatz. Oftmals trifft man schon eher die Romantisierung von Independent und Untergrund-Status vor, die Deals bei Labels eher als Einschränkung betrachtet. Aber ich verstehe voll, was du damit meinst, denn dieses unabhängige Musikmachen bringt auch viele Schwierigkeiten mit sich.
Man muss sich dann zweimal überlegen, ob man einen Song macht, von dem man weiß, dass er nicht gut streamen wird. Mir hat meine Sicherheit sehr viel Potential gegeben, mich selbst auszuloten. Ich kann meine Miete zahlen, das ist ganz geil. Ich habe es auch von Anfang an so kommuniziert, dass ich diese Freiheiten brauche und habe sie jetzt voll nutzen können. Damit bin ich happy.

»Ich mache mir keine großen Sorgen, irgendwann mal broke zu sein. […] Ich habe eher Angst davor, das Gefühl zu haben, ich muss mich als Mitte 40-jähriger Typ bei TV Strassensound hinsetzen und darüber reden, ob Rapper X gerade mit Rapper Y Beef hat.«

Bei »Renne los« mit 9inebro kommt auch nochmal diese Thematik des Abschließens auf und du sprichst davon, seit deinen 20ern in einem Gefängnis zu sein, aus dem du jetzt ausbrichst. Hast du damit auch einen Teil der Jugend und deines frühen Daseins als Erwachsener abgeschlossen?
Mukke machen ist für sich schon ein Ausbruch. Man kommt von der Schule und muss überlegen, ob man Ausbildung oder Studium macht und wie man den Rest seines Lebens Kohle verdient. Da setzt bei vielen eine Ernüchterung ein, weil es unter Umständen in sehr geregelten Bahnen ablaufen wird. Ich habe relativ spät angefangen Musik zu machen und dann mein Studium abgebrochen. Es ist dieses »Auf der Flucht sein«, weil dadurch andere Probleme entstehen, aber es ist auch der Ausbruch aus den festgefahrenen Mustern. Ich habe diesen Beat gehört und hatte direkte Gefängnisausbruchs-Vibes. Ich wusste relativ schnell, dass ich dann 9inebro dabeihaben will.  

So wie du es insgesamt beschrieben hast, habe ich den Eindruck, dass du jetzt nicht mehr ausbrechen musst, sondern mit dem aktuellen Status quo relativ zufrieden bist, was Musik und dein Privatleben angeht. Gleichzeitig bleibt wahrscheinlich trotzdem sowas wie Zukunftsangst bestehen, oder? Weil du eben ein Kreativer sein wirst, der immer eine gewisse Prekarität befürchten muss. Oder kannst du das ausblenden?
Ich würde da sogar noch weitergehen. Selbst wenn du der übelste Popstar bist und ausgesorgt hast, Jay-Z ist ein gutes Beispiel, bleibst du nicht für immer hot. Das hat nicht nur mit finanzieller Zukunftsangst zu tun. Die größte Angst ist eher, irgendwann aufzuwachen und zu merken, dass es mich nicht mehr kickt. Ich will auf jeden Fall so lange Musik machen, wie ich Bock habe. Aber ich will nicht mehr weitermachen, wenn ich irgendwann merke, dass ich es nur noch mache, weil es das einzige ist, was ich machen kann. Das sehe ich teilweise bei erfolgreicheren Leuten. Man will ja morgens aufwachen und sich denken, dass man etwas macht, das Bedeutung hat. Man lebt halt nur einmal, auch wenn das kitschig klingt. (lacht) Ich will in diesem Leben mehr Sachen machen, als nur Mukke. Ich will zwar für immer Mukke machen, aber vielleicht nicht für immer hauptberuflich. Man muss schauen, dass man ehrlich zu sich selbst ist und abwägt, wie geil es für einen ist. Aktuell ist das aber nichts, was bei mir akut ist. Ich habe gerade die Platte fertig und bin super hyped Musik zu machen und hoffentlich nächstes Jahr auf Tour gehen zu können. Darauf habe ich Bock!

Aber vor diesem Prekaritäts-Ding, in finanzieller Sicht, habe ich keine Angst. Ich mache mir keine großen Sorgen, irgendwann mal broke zu sein. Meine Hobbies sind Pumpen, Lesen und Mukke machen – das kann man sich auch als Hartz IV-Empfänger finanzieren. Ich stehe nicht auf Luxus-Klamotten und brauche keinen Benz, da bin ich settled. Ich habe eher Angst davor, das Gefühl zu haben, ich muss mich als Mitte 40-jähriger Typ bei TV Strassensound hinsetzen und darüber reden, ob Rapper X gerade mit Rapper Y Beef hat. Das finde ich schon immer sehr traurig, so will ich nie enden.

Interview: David Regner
Foto: Robert Winter

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