Flavour Gang: »Wir wollen keine Influencer-Rapper sein, die den ganzen Tag auf Instagram abhängen« // Interview

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Genialität entsteht im Chaos. Die Hamburger Flavour Gang ist ein Paradebeispiel dafür. Das Kollektiv hat sich durch das Zusammenspiel aus messerscharfer Komik, Outsider-Dasein, ungehemmtem Turn-up, unverhohlener Kritik am Mainstream und bescheidener Selbstpräsentation schon jetzt eine eigene Sphäre im Rapkosmos abgesteckt.

Dabei läuft der Motor der Gang, bestehend aus Jace, Kenni$ und Mørek, dem Rap-Wunderkind ChaLee, dem Producer-Duo Skool Boy und Marú sowie dem Ästhetik-Visionär Niklas Zeiner, gerade erst so richtig heiß: Abseits stetig neuer Videosingles und dynamischer Konzerte haben Mørek und Kenni$ Anfang September die gemeinsame »Gronix EP« veröffentlicht. Parallel dazu bringt Zugpferd Jace, der Haiyti dieser Tage auf ihrer »ATM Tour Cash Out« supportet, mit dem Mixtape »Stich« sein drittes Release in Startposition.

Ihr alle represented den Hamburger Norden, die meisten von euch den eher unscheinbaren Bezirk Groß Borstel.
Jace: Und wie! Mørek, Kenni$ und ich sind sogar in der gleichen Straße großgeworden. Groß Borstel ist ziemlich unbekannt, selbst unter Hamburgern. Das Viertel liegt zwar mitten in der Stadt, ist aber trotzdem sehr ruhig und extrem schlecht angebunden. Alles voller Wohnhäuser. Action gibt’s nur vor Rewe. (lacht)

Aus der Not heraus habt ihr schon vor Jahren damit begonnen, auf eigene Faust Partys zu organisieren. Dadurch ist die Flavour Gang erst entstanden, richtig?
Jace: Kann man so sagen, ja. Wir haben auf jeden Fall schon Partys gemacht, bevor es die Flavour Gang gab. SDT habe ich 2014 mit Mørek und Kenni$ gegründet. Irgendwann hatten wir einfach Bock, in dieser Konstellation aufzutreten. Das Westwerk ist eine selbstverwaltete Kunstgalerie in der Hamburger Innenstadt und hat sich damals als Location angeboten. Erst dort haben wir ChaLee, Skool Boy und Marú kennengelernt.
ChaLee: Ich kannte Skool Boy schon seit der Schulzeit, er hatte irgendwann Marú aufgegabelt. Auf der ersten Westwerk-Party haben wir Jace und die Jungs erstmals gesehen. Kurz darauf waren wir dann schon gemeinsam im Studio. Partys veranstalten wir immer noch, heute nennen wir sie »Flavour Fiestas«.

Evidente Selbstironie und ein spitzer Sarkasmus sind wichtige Säulen eurer Grundattitüde. Kapieren die Leute euren Humor?
Kenni$: Menschen, die zum ersten Mal über unsere Musik stolpern, sind oft ein bisschen verwirrt. Aber das ist auch irgendwie beabsichtigt: Man soll das Gesamtkonstrukt Flavour Gang ja nicht durch einen einzelnen Song checken. Wenn du durchsteigen und unsere Messages peilen willst, dann musst du auch Energie reinstecken.
Mørek: Und wenn du uns danach immer noch komisch findest, dann ist die Flavour Gang eben nicht dein Ding. Heutzutage versuchen die meisten Künstler, es den Leuten so leicht wie möglich zu machen. Uns ist es wichtiger, etwas Wertvolles und Nachhaltiges zu schaffen.
Kenni$: Wir haben schließlich auch einen sehr hohen IQ. (lacht)

Immer wieder werdet ihr mit der frühen Glo Up Dinero Gang verglichen. Könnt ihr das nachvollziehen?
Jace: Höchstwahrscheinlich gibt es eine große Schnittmenge an Leuten, die früher deren Sachen gehört haben und heute zu unseren Konzerten gehen. Viel mehr Gemeinsamkeiten sehe ich aber nicht.
Mørek: Na ja. Wenn man sich die deutsche Rapszene im Gesamtbild anschaut, finden wir ja schon irgendwie in der gleichen Rubrik statt. Geprägt haben die uns aber trotzdem nicht, auch wenn die definitiv lustig waren und safe immer gute Ideen hatten.
Kenni$: Ich war 2013 mal kurz in einer Facebook-Gruppe vom Swag Mob. Ich bin da aber schnell wieder ausgetreten, weil ich gar nicht überblicken konnte, was da eigentlich abgeht. (lacht) Der größte Unterschied zwischen uns und Leuten wie Moneyboy ist halt, dass wir keine Kunst­figuren und dadurch einfach glaubwürdiger sind. Je mehr Dinge du machst, die aus dir selbst kommen, desto schwieriger wird es für andere, dich zu kopieren. Selbst innerhalb der Gang erzählt jeder seine ganz eigene Story. Das hebt uns von vielen anderen ab.

Eure Authentizität zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass ihr straighte Bodenständigkeit vorgebt. Anstatt mit Luxusgütern zu prahlen, feiert ihr lieber brokes Hängerdasein ab.
ChaLee: Wir wollen keine Influencer-Rapper sein, die den ganzen Tag auf Instagram abhängen und irgendeinen Lifestyle abbilden, den wir in Wahrheit gar nicht leben.
Mørek: Genau! Und wenn man wie ich seit zwei Wochen nur 25 Euro auf dem Konto hat und seine Mutter anschlauchen muss, um durch den Monat zu kommen, wäre es definitiv unglaubwürdig, auf reich zu machen. (lacht) Klar schmücken wir manche Geschichten aus, aber ein realer Kern liegt allem zugrunde.

Wie schafft ihr es, banale Alltagssitu­ationen in euren Texten so originell aus­sehen zu lassen?
Jace: Vielleicht dadurch, dass wir die Dinge nie direkt ansprechen, sondern lieber ein bisschen verkappt. Wir arbeiten viel mit absurden Bildern, spitzen Themen gerne zu und greifen unangenehme Situationen auf, die wir selbst im Alltag erlebt haben. Stellenweise ist das auch Selbsttherapie, nur eben mit ironischen Bausteinen.

Das alles sind Elemente, die stark an den Grundgedanken des Punkrock erinnern. Seht ihr Parallelen zwischen der Punk-Kultur der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre und dem Trap-Untergrund von heute?
Kenni$: Ja, irgendwie schon. Punk hat ja auch als gesellschaftskritische Persiflage angefangen. Trap kann, genau wie Punk, erstmal jeder machen. Dabei sind die Grenzen des Erlaubten sehr weit gesteckt. Die Live-Energie, die beim Turn-up entsteht, ähnelt der des Punkrock, weil die Leute einfach loslassen: Jede Session ist eine Party, Moshpits sind Standard.
Jace: Ich weiß nicht. Moderner HipHop ist doch total angepasst und konsumorientiert. Alle tragen teure Klamotten und erzählen von einem Leben auf hohem Niveau. Da war Punk schon um einiges rebellischer.

Text: Alexander Barbian

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #189. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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