»So viele Hater wie ich hat keiner.« // Haftbefehl im Interview

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»Komm direkt aus dem Ghetto, direkt von der Straße/ich mach Cash und eröffne ein Konto in Basel/­Urlaub: ­Monte Carlo, ganz nette Partys/treff mich in London im neuen Aston Martin/Dresscode: Versace, die Kette von ­Cartier/gestern Döner, heute argentinisches Steak.« Eine Zukunftsvision eines Newcomers, an deren Erfüllung damals, vor gut zweieinhalb Jahren, nicht zwingend zu glauben war. Mittlerweile gibt es über Haftbefehls ­eigenwilligen Vortragsstil halbwissenschaftliche Abhandlungen auf Wikipedia (Stichwort: »stimmloser velarer ­Frikativ«), der Offenbacher gilt nicht nur Experten längst als größte Hoffnung des neuen deutschen Gangsta-Rap. Mit seinem zweiten Album »Kanackis« muss er nun den Beweis antreten, dass Musikpresse, Major-Verleger und Streetrap-Fans zurecht beinahe ausschließlich in Superlativen über ihn sprechen.

Auch wenn sich der Fokus der deutschen HipHop-Szene derzeit ein wenig in Richtung Röhrenjeans und Eklektizismus verschoben hat, dürfte an der Bedeutung, die Straßenrap in den letzten Jahren und seit seiner Entstehung in den frühen Achtzigern für die gesamte Kultur hatte, nicht zu rütteln sein. Selbst wenn sich auf Deutschraps Straßen gerade die große Depression nach dem großen Hype ausbreitet und sich der ein oder andere rappende Türsteher eben doch wieder seiner eigentlichen Tätigkeit widmen muss, ist deutscher Straßenrap anno 2012 keinen Deut schlechter als in den Jahren des Aggro-Hypes. Im Gegenteil: Das Subgenre schrumpft sich gerade gesund. Die musikalische Qualität, die derzeit von MCs mit dem berühmt-berüchtigten Background abgeliefert wird, ist einfach nicht mehr kleinzureden. An vorderster Front kämpft dabei Haftbefehl, der erst 2009 auf der Bildfläche erschien und in sehr kurzer Zeit eine ganze Generation von Gangsta-Rappern und solchen, die sich dafür halten, überholt hat. Plötzlich warfen Major-A&Rs absurde Vorschussangebote durch den Raum, Autogrammstunden ­wurden gestürmt, Konzerte wegen befürchteter ­Ausschreitungen abgebrochen.

Wie es zu dieser Euphorie kam, lässt sich gar nicht mehr so genau nachzeichnen. Haftbefehl ist ein typisches YouTube-Phänomen, sein Debütalbum »Azzlack Stereotyp« eigentlich ein Abschiedsgruß. Sein damaliges Label Echte Musik stand bereits finanziell vor dem Aus, als das Album veröffentlicht werden sollte. Dass die Label­macher der deutschen Szene einen riesigen Gefallen damit getan haben, ihre letzten Reserven zusammenzukratzen, um das Haftbefehl-Album doch noch herausbringen zu können, bestreitet heute kaum einer mehr. Es ist die Mischung aus pointiertem Humor, echter Straßenkante und technischem Know-How, die den ­Offenbacher im Handumdrehen zur neuen Hoffnung der Hood machte. Mit den auf seinem eigenen Label Azzlackz gesignten Newcomern Celo & Abdi hat Haftbefehl mittlerweile zwei weitere heiße Eisen im Feuer, mit denen auch Otto-Normal-Rap-Fan seinen Spaß haben kann. Dass sich für Baba Haft die Zeiten geändert haben, merkt man auch an der gewählten Interview-Location, denn er bittet in einen Nobel-Italiener am Berliner Kurfürstendamm zum Gespräch. Ganz stilecht sprach JUICE-Autor Julian Gupta bei Garnelen und Champagner mit dem neuen Gangstarap-König über »Kanackis«, Young Money Germany und Jeru The Damaja.

 

Wann hast du eigentlich zum ersten Mal wahrgenommen, dass du gerade einen richtigen Hype hast?
Das hat ewig gedauert. »Azzlack Stereotyp« ist mittlerweile eineinhalb Jahre alt, aber der Hype ist nie richtig zu mir durchgedrungen. Ich habe schon wahrgenommen, dass etwas passiert, aber eigentlich wurde mir erst klar, was abgeht, als ich vor vier Monaten in Frankreich bei Rim K im Studio saß. Da habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, auf welchem Level ich mich mittlerweile befinde. Aber ganz ehrlich, das hat auf mich als Person keinen Einfluss. Ich bleibe trotzdem wie ich bin – auch wenn wir uns Blockplatin geholt haben.

Was aber auch bedeutet, dass nach dem Erfolg deines ersten Albums schon einiges erwartet wird.
Bei meinem ersten Album ging es mir nur darum, mal etwas abzuliefern. Mehr wollte ich nicht. Das war ein reines Straßenrap-Album. Es gab damals noch mehr Straßenrapper in Deutschland als heute, aber alle sind immer dieselbe Schiene gefahren. Nur Bushido hat etwas Eigenes gemacht und hatte Erfolg, und Sido hat auch sein Ding gemacht und hatte Erfolg. Ich mache auf meinem Album jetzt ebenfalls ein paar Sachen anders. Nicht dass ich mich mit ihm vergleichen könnte, aber es ist ein bisschen wie bei 2Pac und »Me Against The World«. Damit hat er seinen Sound komplett verändert, er wurde viel düsterer. Genau wie bei Biggies »Life After Death«, das war auch ein krasser Sprung zum ersten Album »Ready To Die«. Diesen Sprung habe ich jetzt auch gemacht. Vielleicht mache ich es als Nächstes wie Booba und fahre eher diesen Down-South-Sound von Lil Wayne oder Rick Ross. Ich werde jedenfalls nicht stehenbleiben, spätestens in zwei Jahren mache ich wieder etwas Neues. Man muss sich immer verändern, sonst bleibt man nicht im Gespräch. Ganz ehrlich: Wenn du zehn Jahre lang nur über Blocks und Kiffen rappst, hat man irgendwann einfach keinen Bock mehr auf dich. Da brauchst du dich nicht zu wundern.

Du musst dir aber auch darüber klar sein, was deine Stärken sind und ­warum dich die Fans feiern.
Ja, natürlich. Was mich von vielen anderen Straßenrappern unterscheidet, ist mein ­Humor. Weil ich genau das weiß, ist mein neues Album auch sehr humorvoll geworden. Ich finde ja heute, dass »Azzlack ­Stereotyp« ein bisschen zu hart war, da fehlte der ­Humor. Das Album ist eben in einer ­absoluten Krisenzeit entstanden. Ich musste meinen Laden zumachen, damit gingen mir 40.000 Euro verloren, dann habe ich auch noch ­aufgehört zu ticken. Ich trug viel Hass in mir, das hörst du auf dem Album natürlich raus. Auf »Kanackis« hörst du jetzt, dass es mir wieder gut geht. Ich nehme die ganze Sache wieder viel lockerer.

Gerade in Frankfurt hat es mit Labels und Strukturen nie gut funktioniert, siehe zuletzt Bozz Music und Echte Musik. Mit Azzlackz hast du jetzt dein eigenes Label gegründet. Warum?
Was mit Echte Musik passiert ist, ist wirklich traurig. Das Label ist pleitegegangen, trotzdem haben die Jungs noch mein Album ­releast. Sie standen mit dem Rücken zur Wand und sind trotzdem das Risiko eingegangen und haben das Geld investiert. Das war ein super Move von Jonesmann und Chan, meinem heutigen Manager. Natürlich hätte ich danach zu einem Major gehen können, aber ich bin loyal und lasse nicht die Leute fallen, die mir geholfen haben. Mein Manager und ich, wir machen jetzt unser Ding und uns allen geht es gut. Die Plattform steht und nach meinem Album wird noch einiges kommen, denn ich habe die Jungs angehalten, dass sie Gas geben. Wir werden nach »Kanackis« noch mindestens zwei ­Releases in diesem Jahr haben. Wir sind Young Money Germany. (lacht)

Wo du gerade Young Money erwähnst: »Kanackis« klingt in meinen Ohren amerikanischer, während »Azzlack ­Stereotyp« sehr französisch klang.
Stimmt. »Azzlack Stereotyp« war ein sehr düsteres Album. Ich war damals vor allem von Lunatic und Rim K, aber auch von Mobb Deep und Biggie inspiriert. Wobei Biggie ja quasi in meinem Gehirn drinsitzt. Wenn man genau hinhört, fallen einem diese Inspirationsquellen auch auf. Die neue LP ist dagegen überhaupt nicht französisch, sondern eher amerikanisch, da hast du recht. Der Sound ist einfach viel fresher. Natürlich habe ich auch viele Inspirationen direkt aus meinem Leben auf der Straße gezogen, aber um das mal klarzustellen: Man muss keine Leute erschießen, abstechen oder abziehen, um inspiriert zu werden. Dieser Ansatz ist Schwachsinn.

Wie ist dein Verhältnis zu den anderen Azzlackz Celo & Abdi?
Alter, die Jungs sind komplett verrückt. Wenn du mit denen abhängst, bist du nur am Lachen. Ich freue mich auf die Tour. Die Jungs waren ja zuerst von meinem Sound inspiriert, ehe wir uns kennen gelernt haben. Gerade Abdi und ich sind uns sehr ähnlich. Wir können gut reden und manchmal unterhalten wir uns stundenlang, weil wir immer neue Themen finden. Die Jungs sind fresh für mich. Sie sind die Newcomer des letzten Jahres und natürlich inspirieren sie mich auch.

 


Was ist deine Erklärung dafür, dass aus Frankfurt plötzlich mehrere Acts ­kommen, die relativ schnell in den ­Fokus der Rap-Szene gerückt sind?
Du darfst Frankfurt nicht nur als einzelne Stadt sehen, um die herum nichts passiert. In Berlin ist das natürlich anders. Aber bei uns gibt es in der direkten Umgebung Offenbach, Hanau, Rüsselsheim, Wiesbaden und Darmstadt. Überall ist es anders, in jeder Stadt wohnen verschiedene Volksgruppen. In Wiesbaden leben vor allem Aramäer und Kurden, in Frankfurt viele Marokkaner. Aber am Ende treffen wir alle spätestens in Frankfurt aufeinander, denn das ist die echte Hauptstadt Hessens, nicht Wiesbaden. Das prägt die Stadt und den Slang – und es inspiriert uns. In meinem Fall kamen aber noch ein paar Sachen hinzu: mein Leben, die Kopfficks, das Unterwegssein, die Sprüche auf der Straße.

Du hast auf »Kanackis« erstmals ­angefangen zu singen…
Ich würde das nicht als echtes Singen bezeichnen. R. Kelly singt richtig, der kann das. Ich mache das mehr so wie 50 Cent, Fat Joe und die ganzen anderen New Yorker. Die singen ja alle ihre Hooks selbst. Ich würde das eher als Rap-Singen bezeichnen.

Aber deine Aussprache und Betonung ist in den Hooks schon anders als in den Verses.
Ja, das stimmt. Weißt du, woran mich meine eigenen Hooks erinnern? An Snoop und an Knoc-Turn’al. Mir fiel das neulich erst auf, als ich mir ein, zwei Hooks angehört habe, die ich kurz vorher aufgenommen hatte. Bei einer Hook klinge ich sogar ein bisschen wie ­Drake. Aber ich habe diese Typen nicht bewusst kopiert. Ich habe einfach nur gemacht, ohne mir groß Gedanken zu machen. Was die Aussprache angeht, habe ich ganz bewusst Hochdeutsch gesungen. Ich finde, bei gesungenen Hooks kommt es nicht so geil, wenn man »kanakisch« betont.

Allerdings rappst du auf der gesamten LP einen Tick aggressiver und härter als auf »Azzlack Stereotyp«.
Auch das stimmt. Für mich war das eine logische Konsequenz auf die Reaktionen der Fans. Die Songs, die die Leute am ­krassesten gefeiert haben, waren letztlich die Songs, in denen ich hart rappe. Also wollte ich ein hartes Album machen, das aber nicht zu krass straße ist und am Ende den Backpackern genauso gefällt wie den Kanaken. Ich finde, das ist mir sehr gut gelungen.

Aber du hast keine Lust mehr auf ­Themensongs…
Im Augenblick nicht. Ich will jetzt auf den Putz hauen und am Zeiger drehen. Ich will Krieg, um den Weltfrieden soll sich die Nato kümmern. Auf dem nächsten Album wird es wieder Konzeptsongs geben, aber momentan will ich einfach nur beweisen, dass ich die besten Beats zur Verfügung habe und darauf die besten Songs mache.

Was wurde aus dem Plan, ein gemeinsames Album mit Chaker zu machen?
Wir wollten ein Album machen, aber Chaker ist eben Chaker. Bei Musik ist er sehr kritisch. Er würde niemals ein Album machen wie ich, sondern würde das ganz anders angehen. Er ist sehr radikal und macht einfach sein Ding. Der scheißt auf Geld. Trotzdem ist er der Erste in Deutschland, der diesen ­französischen Film gefahren ist, nur war er zu deep und zu anders. Für mich sind und bleiben ­Chaker und Sezai die krassesten Rapper in Deutschland. Wer Ahnung von HipHop hat, gibt zu, dass Chaker der Killer ist. Er flowt richtig präzise im Takt. Aber Deutschland ist Deutschland. Die zersägen einen. Schau dir doch mal an, wie ich in den YouTube-Kommentaren kritisiert werde. Aber das interessiert mich nicht. Ich habe letztes Jahr so viel Kohle gemacht. Mein letztes Video haben wir in Miami gedreht. Dafür haben wir 60.000 Euro auf den Kopf gehauen – als Indie-Label. Bei einem Major bekommst du das mit Glück als Vorschuss. Allein meine Versace-Brille kostet so viel, wie die anderen Gage für ein Konzert bekommen. Die sollen alle mal schön zur Seite gehen.

Das scheint dich ja echt zu ärgern. Bist du nicht mittlerweile daran gewöhnt, dass du polarisierst?
Doch, natürlich. Ich weiß auch, dass mich die Backpacker und die Kanaken feiern. Aber die Kritik ist bei mir trotzdem viel zu hart.  Das ist schon krass. Mir kommt es so vor, als ob die in meinem Fall immer einen Schritt weiter gehen als bei anderen. Es gab sogar einen Blogger, der meine Karriere richtig ficken wollte. Der hat ohne Ende Video-Statements und Einträge gegen mich gemacht. Aber am Ende war meine Musik besser. Wir haben das dann vernünftig klären können.

Wie siehst du denn die diversen Fan-Ausschreitungen bei Festivals und ­Autogrammstunden? Hast du ­keine Angst, dass so etwas dein Image ­belastet?
Klar, aber was soll ich machen? Wenn die Leute, die die »Rheinkultur« organisieren, nicht genügend Securitys verpflichten, um die Leute im Griff zu haben, kann ich doch nichts dafür. Mittlerweile wissen doch alle, dass einfach zu viele Fans auf dem Gelände waren, die vor allem mich sehen wollten. Der ganze Abend verlief ruhig, bis zu dem Zeitpunkt, als ich auftreten sollte. Da standen plötzlich doppelt so viele Leute vor der Bühne. Alter, ein halbes Jahr vorher ist dieses Drama bei der Love Parade in Duisburg passiert. Da muss man doch dafür sorgen, dass bei so einem Event genügend Securitys da sind! Mit so ein paar Hans-Dieters kommst du da nicht weit. Als die Leute angefangen haben, am Rad zu drehen, sind die Securitys weggerannt. Und als die Bullen mit Hunden kamen, war es endgültig vorbei. Wenn sie mich auf die ­Bühne gelassen hätten, wäre das nicht ­passiert. Ich sehe da keine Schuld bei mir. Wenn du mich buchst, musst du damit rechnen, dass viele Leute kommen – ganz einfach. Natürlich können darunter auch mal zehn bis 15 durchgeknallte Kurden oder Araber sein, aber auch das muss man doch als Veranstalter im Griff haben. Trotzdem entschuldige ich mich an dieser Stelle noch mal im Namen meiner Fans.

Seit diesem Festival hast du ja auch ein Problem mit Jeru The Damaja.
Ach, ich hab einfach nicht verstanden, warum die den als Hauptact gebucht haben. Den kennt doch niemand mehr. Der war ja höchstens mal ein bisschen fame, weil er früher mit Guru abhing und sich im Gang Starr-Umfeld bewegte. Aber heute? Seine Videos haben auf YouTube ja noch nicht mal 3.000 Klicks.

 

 

 

Und was sagst du zu den YouTube-Videos, in denen man dich angeblich beim Hitlergruß sehen kann?
Ich bin doch selbst Kurde, ich bin Teil eines unterdrückten Volkes, glaubst du, ich mache im Ernst einen Hitlergruß? Natürlich hasse ich Nazis. Wir wurden in der Türkei jahrelang unterdrückt, da komme ich wohl kaum nach Deutschland und werde Nazi.

Du hast ja bei Celo & Abdi schon dein Gespür für gute neue Acts bewiesen. Welcher neue Straßenrapper kommt als nächstes?
Ich tippe auf Khalil. Aus dem könnte definitiv etwas werden, wenn er am Ball bleibt. Ssio aus dem Umfeld von Xatar ist auch ein Kandidat, der etwas bewegen kann. Der Junge ist jedenfalls fresh. In Berlin gibt es noch Kalusha und Said, aber die sind ja auch beide schon länger dabei.

Wir sitzen hier bei einem noblen Italiener. Das kommt ja deiner Aussage »gestern Döner, heute argentinisches Steak« schon relativ nahe, oder?
Was argentinisches Steak? Ich esse gerade Garnelen, Bruder. Die sind noch viel teurer. Argentinische Steaks kriegst du für 20 Euro im Supermarkt, die habe ich auch schon früher gegessen. Garnelen sind das Beste. Da kostet der Teller 30 Euro. Ich habe sogar eine doppelte Portion bestellt und zahle dafür locker einen Fuffie. Also was wollt ihr Hater? Die Zeiten des schnellen Döners sind vorbei. (lacht)

 

Text: Julian Gupta

 

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