»Zu machen, worauf man Lust hat, ist heute Untergrund« // Interview mit Frauenarzt und Blokkmonsta

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Eigentlich muss Arzt sich für nichts rechtfertigen. Sein Hit “Das geht ab”, der in diesem Sommer fast jede feuchtfröhliche Feier beschallte und vor kurzem sogar Goldstatus erlangte, unterscheidet sich nicht wesentlich von den simplen, aber effektiven Partytracks, die er schon zu Beginn seiner Karriere gemacht hat. Und dennoch wirkt es zunächst ein bisschen wie versuchte Wiedergutmachung, wenn dieser Tage ein gemeinsames Album von ihm und Hirntot-Chef Blokkmonsta erscheint, das auf den schlichten Namen “Untergrund” hört und statt Party­reimen fast nur knallharte Ansagen beinhaltet.

Wer die bisherige Karriere des selbsternannten ­Gynäkologen aufmerksam verfolgt hat, weiß jedoch, dass Arzt noch nie für kalkulierte Moves und Image-Verrenkungen zu haben war – ganz im Gegenteil, kaum ein anderer hat über die Jahre sein Verständnis von HipHop so kompromisslos und ohne jede Rücksicht auf aktuelle Trends verfolgt. Insofern ist es ausgesprochen glaubwürdig, wenn er betont, dieses Album einfach nur aus Lust und Laune rauszubringen, nicht etwa aus Berechnung oder gar als Versuch, verlorenen Boden gutzumachen. Außerdem: Was interessieren einen Rapper, der vor 50.000 Leuten im Berliner Olympiastadion auftritt, geschätzte hundert beleidigte Untergrund-Fanatiker, die ihm zu Unrecht Sellout vorwerfen? Eben. Ein Gespräch über Erfolg und Toleranz.

Arzt, das zurückliegende Jahr dürfte dein bisher erfolgreichstes gewesen sein, oder?
Frauenarzt: Ja, aber auch das anstrengendste. Wir hatten jede Woche vier, fünf Shows. Manchmal sogar zwei, drei Auftritte an einem Abend. Jetzt gerade habe ich seit langem mal wieder drei Tage am Stück frei.

Hat es sich wenigstens finanziell gelohnt?
Frauenarzt: Tja, in den Neunzigern wären wir wahrscheinlich noch Millionäre gewesen mit einer goldenen Schallplatte. Aber so… Ganz ehrlich, für die Arbeit, die man sich macht, könnte es ruhig noch mehr sein. Als Label hat man so viele Kosten. Ich nage immer noch an alten Schulden, wegen den Indizierungen und den daraus folgenden Retouren. Gäbe es Atzenmusik nicht, könnte ich das niemals bezahlen.

Meinst du, du kannst noch mal so einen Hit wie “Das geht ab” schreiben?
Frauenarzt: Nee, der bleibt einzigartig. Wir werden auch nicht probieren, das zu wiederholen. Das Ding kam von alleine, wenn es also noch mal kommen sollte, kommt es auch wieder von alleine. Die Idee zu dem Song kam mir ganz spontan. Es war ein Zehn-Minuten-Ding, wir waren im Studio, drei Songs an einem Abend aufgenommen, zack, zack und fertig.

Du hast einen Remix mit Fatman Scoop ­gemacht. Was wird daraus?
Frauenarzt: Er hat irgendwas damit vor. Kürzlich hat er sich gemeldet und meinte, er will irgendeinen krass berühmten Rapper aus Amerika draufpacken, Namen hat er aber keine genannt.

Dein gemeinsames Album mit Blokkmonsta ist, verglichen mit den Atzenmusik-Sachen, hart und düster. Ein Schritt zurück zu den Wurzeln?
Frauenarzt: Das kann man nicht sagen, eher eine Art Kontrastprogramm. Man muss beide Seiten ausleben. Ich habe früher ja auch gleichzeitig das eher ­düstere “Untergrund Soldaten” mit Aci Krank in Bielefeld gemacht und “Porno Party” mit Mr. Long, das zwar ­pornografisch, aber auch ziemlich happy und partymäßig war. Dasselbe mit dem fröhlich-lustigen “Tanga Tanga” und dem düsteren “Untergrund Solo”, die auch zur gleichen Zeit erschienen sind. Seitdem ich angefangen habe, gab es immer diese zwei Seiten von mir.

Das Album ist also der Ausgleich zum ­vergangenen Sommer, wo du einmal wöchentlich auf Mallorca aufgetreten bist?
Frauenarzt: Ja, schon. Man tourt die ganze Zeit und macht das lustige Partyding, ist auf Mallorca oder in irgendwelchen Großraumdiscotheken und legt da auf. Wobei wir auf Mallorca ja nicht einmal richtig Party machen konnten, weil wir am nächsten Tag schon wieder zurückfliegen mussten. Am Wochenende kommst du dann zurück, bist am Samstagabend total fertig und fährst erstmal ins Studio, um das wieder zu ­verarbeiten. Und das kommt dann eben dabei heraus.
Blokkmonsta: Frustabbau. (Gelächter)

Der Titel ist eigentlich unmissverständlich. Aber was bedeutet Untergrund heute noch?
Frauenarzt: Mittlerweile definiert sich das ganz anders als früher, denn du standest damals als Untergrund-Rapper vor ganz anderen Hürden. Du musstest deine eigenen Kassetten machen, in die Läden gehen und sie verkaufen, musstest probieren, durch irgendwelche komischen Sprüher-Aktionen in die Zeitung zu kommen oder in bekackte Talkshows gehen. (Gelächter) Heute ist das alles nicht mehr nötig, du machst einen Song, haust ihn bei YouTube und Twitter rein – und auf einmal hast du bei MySpace 30.000 Klicks.
Blokkmonsta: Zu machen, worauf man Lust hat, ist heute Untergrund. Das ist ein Lebensgefühl und hat nichts damit zu tun, ob er jetzt bekannt ist oder bei MTV gespielt wird.
Frauenarzt: Dass “Das geht ab” ein Hit wird, war nicht geplant. Die Leute, die jetzt daran herum­meckern, haben das Lied ja erst zum Hit gemacht und nach oben gebracht. Wir machen immer das, worauf wir Bock haben. Wir haben uns für den Erfolg nicht verbogen. Das ganze Atzenmusik-Ding ist mehr so eine Art Party-Revolution, eine Bewegung gegen die Anti-Bewegung, die man selbst geschaffen hatte. Irgendwann waren plötzlich alle Untergrund, alle haben Gangsta-Rap oder Porno-Rap gemacht, das war plötzlich der Mainstream. Dann bist du aber auch nichts Besonderes mehr. Und wenn alle im HipHop denselben Weg gehen, stelle ich mich dagegen, denn wir sind immer anti gewesen, immer dagegen. Wir schwimmen nie mit dem Strom, sondern machen immer das, was keiner macht. Also haben wir einfach die schlimmen Ausdrücke weggelassen, voll einen auf Party gemacht und die Sau rausgelassen.

Und wenn das dann auch zum Trend wird?
Frauenarzt: Ist es doch schon. (lacht) Deswegen sitzen wir jetzt hier und reden über das Blokk- und Arzt-Album. Man will sich ja nicht verstellen. Die Fans bitten mich, wieder Sex-Rap zu machen, aber ich habe ­gerade keinen Bock auf Porno.
Blokkmonsta: Die, die jetzt meckern, sind die größten Fans von früher. Die haben sich früher gefreut, dass sie damit schockieren konnten, weil ihn nicht so viele andere gehört oder auch nur gekannt haben. Dadurch waren sie etwas Besonderes. Die sind nur sauer, dass es jetzt so viele hören. Früher haben sie sich beschwert, dass im Fernsehen nur Scheiße läuft und wie cool es wäre, wenn mal Arzt liefe. Jetzt hat er Videos, die da laufen, und auf einmal ist das auch Scheiße.
Frauenarzt: Man darf gar nicht links und rechts ­kucken und sich von nichts beeinflussen lassen. Man kann es eh nicht jedem recht machen. Trotzdem ­bekommt man das mit und muss es irgendwie verarbeiten. Wir haben ja auch nicht gesagt, dass wir unbedingt zur “Après-Ski-Party” wollen. Man wägt das ab: Bringt uns das was, ist das gut für uns, können wir da mal ein bisschen frischen Wind reinbringen? Scheiß drauf, wir machen das einfach, ist doch hammer! Wir bekommen da eine Plattform, den Leuten unsere ­Musik zu zeigen.

“Untergrund” erscheint über Hirntot und ­Bassboxxx, was bei einigen Verwunderung ­auslösen dürfte, dachte man doch eigentlich, dass Bassboxxx tot sei.
Frauenarzt: So ein Quatsch, Bassboxxx war noch nie tot. Es wurde nur totgeredet von Leuten, die es nicht geschafft haben, Bassboxxx am Leben zu erhalten, als ich weg war. Aber nach dem angeblichen Ende kamen mehr Alben heraus als vorher. Bassboxxx ist das ­Label von Manny Marc, MC Bogy und mir. Alle anderen ­können gar nicht mitreden.

In einem Track rappt ihr über Feiglinge, die in der Gruppe stark, aber alleine feige sind. Wart ihr denn bei BC wirklich so anders?
Frauenarzt: BC war natürlich eine Riesengruppe, aber wir waren bestimmt nie feige. Wir waren halt eine Randaletruppe, einfach nur Haudrauf-Action und die Crew fame machen. Aber darum geht es in dem Lied gar nicht. Es geht eher um Leute, die zu fünft auf einen raufgehen und nicht aufhören, auf den einzutreten. Die die Klappe aufreißen, aber ihre Sachen letztlich nicht alleine regeln können. Man muss gewisse Dinge aber alleine durchstehen. Ich bin da ganz ehrlich, ich habe da auch schon ein paar mal abgekackt, da war ich alleine und habe den Kürzeren gezogen. Aber dann ist das halt so, da brauchst du nicht fünf Leute anzurufen und noch mal hingehen.
Blokkmonsta: Das wird ja eh wieder ein Echo erzeugen: Kommst du mit fünf, kommt er mit zehn und so weiter, bis du bei irgendwelchen Onkels ankommst, die sich untereinander kennen und euch beiden eine Schelle geben. (Gelächter)
Frauenarzt: Bei BC gab es aber auch keine Einzelkämpfe oder so, da wurden halt mal Straßenbahnen umgeworfen und es gab ein paar Festnahmen. Wir hatten uns manchmal mit den Bullen in den Haaren, aber das waren eher Straßenschlachten.

Aus welcher Motivation heraus habt ihr ­eigentlich BC gegründet?
Frauenarzt: Das war ein richtiges HipHop-Ding damals. Wir waren immer auf den ganzen Jams, waren sozusagen richtige Backpacker, aber die Sorte Backpacker, die dann die S-Bahn vollgebombt und Stress angefangen hat. Nach der Jam sind wir direkt ins Yard gegangen und haben einen Train gemullert. Manny Marc und ich waren bei CNF und haben die ­Weddinger von ASP kennengelernt, bei denen Bass­tard als Junior mit dabei war und später dann die Lankwitzer mit Bogy, die ganze JD Crew. Irgendwann haben wir gesagt: Lasst uns doch alles unter einen Namen zusammenfassen, wir sind jetzt BC, wir sind eine Crew, wir sind Berlin. Die Motivation war, alle unter einen Hut zu kriegen. Das haben wir allerdings nicht ganz geschafft, weil einige keinen Bock hatten.

Aber eine Street-Gang, wie ihr heute oft ­bezeichnet werdet, wart ihr eigentlich nie?
Frauenarzt: Nee, das war eine Sprüher-Crew. Das Gang-Ding haben wir nur so aus Spaß benutzt, um fame zu werden, mehr nicht. Die Medien haben berichtet, “Sprühergang – jetzt bewaffnen sie sich!”, das haben wir natürlich mit Kusshand angenommen. Aber letztlich hat uns erst die Musik nach oben katapultiert.

Was ist das Geheimnis deines Erfolges? Hat es vielleicht mit deiner Bodenständigkeit zu tun, ­damit, dass du nie abgehoben bist?
Frauenarzt: Ich weiß es auch nicht, es ist schwer zu erklären. Mit Identifikation hat es sicher zu tun. Kann schon sein, dass sich viele mit mir eher identifizieren können als mit Basstard und seinem Horror-Ding. Ich bin nun mal, wie ich bin. Bogy ist ja auch sehr ­ehrlich, aber der ist den Leuten vielleicht ein bisschen zu ­heftig. Vielleicht ist ein Manny Marc deswegen eher ein Sympathieträger für die breite Masse, weil sich ­praktisch jeder sagen kann: So bin ich auch.

War das auch ein Gedanke bei Atzenmusik, die breite Masse anzusprechen?
Frauenarzt: Nee. Darüber habe ich nicht nachgedacht. Wir sind einfach ins Studio gegangen und haben Musik gemacht. Wie es die Leute annehmen, darüber denkt man nicht nach. Das passiert alles aus dem Bauch heraus. Spontan. Man darf auch nicht vergessen: Es ist keine Musik, die auf Mallorca getrimmt ist. Wir sind da hingekommen, die Leute haben uns dahin gebracht, aber das war nie unser Ziel. Im Endeffekt ist es elektronischer Rap. Musikalisch haben in Deutschland ja lange die Kontraste gefehlt. Erst gab es den Hamburg-Rap, der war ein bisschen larifari, dann gab es die Studenten aus Stuttgart. Irgendwann kamen die Berliner mit ihrem harten Zeug und dann haben alle auf einmal hartes Zeug gemacht. Aber dass jeder den anderen mal respektiert hätte, so wie früher in Amerika, das war nie der Fall. Da gab es doch auch Hardcore von Ice-T oder Ice Cube, die politische Ecke mit Public Enemy, dann die Spaßfraktion mit Digital Underground, Beastie Boys oder 2 Live Crew. Und alle haben sich gegenseitig gefeiert. Aber ich glaube, mittlerweile verschmilzt das auch in Deutschland. Die Leute sagen: Okay, das sind halt die Atzen, das sind die Psychos von Hirntot und das sind die Gangsta-Rapper wie Massiv. Die Leute können sowieso reden, quatschen, meckern, dissen – am Ende des Tages geht es doch nur um die Musik. Gefällt sie dir oder nicht? Natürlich war ich früher genauso anti. Wir ­haben auf dem Album auch einen Song, der “Genau wie du” heißt, wo wir sagen, dass wir früher auch so waren. Wir haben jeden gehasst und alle gedisst, aber man wird ja älter und reifer und respektiert das, was die anderen machen.

Macht auch der zunehmende Erfolg lockerer in dieser Hinsicht?
Blokkmonsta: Nee, dann müsste ich ja immer noch alles hassen. Es kommt eher daher, dass man viel Zeit und Arbeit in die eigene Musik steckt und sieht, was eigentlich dahintersteckt. Das ist einfach der Respekt, den man von Musiker zu Musiker gibt.

Kürzlich wurde bei YouTube der Auftritt eines ­gewissen “Tony” bei einer Talkshow ­hochgeladen, der dir auffallend ähnlich sieht. Warst du überrascht?
Frauenarzt: Nein, ich habe nur darauf gewartet, dass das auftaucht… Diese Talkshow ist der beste Beweis, dass ich vor zehn Jahren ein Asi war und nix hatte. Ich sehe das Video und erinnere mich wieder, wie ich damals in meiner Ein-Zimmer-Wohnung gesessen bin, 30.000 Mark Schulden hatte, die ganze Zeit auf Action war; das war ja noch zur Zeit meines ersten Tapes, da habe ich zuhause selbst Kassetten beklebt und nebenbei Hasch vertickt. Und jetzt bin ich hier. Macht mir das erstmal nach, bevor ihr im Internet Scheiße labert. Wie gesagt, damals gab es halt kein Internet, deshalb sind wir in die Talkshow gegangen, um dort zu repräsentieren. Ich meine, wer sich das anguckt, merkt schon, dass das absolut Story war. Das Mädchen war allerdings wirklich meine Freundin damals, aber der Rest ist schon geschauspielert, aus meiner Sicht auch sehr schlecht. Heute wäre das bekloppt, aber damals war das ein schlauer Move, um berühmter zu werden.

Damals wurden Gäste ja oft herumgereicht. Warst du auch in anderen Talkshows?
Frauenarzt: Ja, war ich wirklich. Bei “Britt”. Der Auftritt war aber weniger gestellt. Da saß ich mit zwei Mädchen, weil mich meine Ex-Freundin mit einem anderen Mädel erwischt hatte. Das landet bestimmt auch irgendwann im Internet.
Blokkmonsta: Jetzt stürmen alle die Archive! (lacht)

Text: Oliver Marquart

Fotos: Murat Aslan

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