»Mir hat niemand ein Burnout bescheinigt, aber: Ich war auf dem Weg dahin« // Fatoni im Interview

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Foto: JP Welchering

Vier Jahre liegt die Veröffentlichung von Fatonis hochgelobtem »Yo, Picasso«-Album mit Kompagnon Dexter nun zurück – eine Zeit, in der unglaublich viele Gigs, eine gefeierte EP und ein Kollabo-Album mit Mine das Warten auf einen neuen Longplayer verkürzt haben – doch nun ist der endlich da: »Andorra«. Grund genug, bei einem Käffchen über die neue Platte, aber auch über Burnouts, Saunabesuche und Dieter Bohlen zu sprechen.

Du bist jetzt Major-Künstler. Fühlt sich gut an?
Weiß ich noch nicht.

Bist du skeptisch?
Bin ich immer. Aber wenn man sein halbes Leben lang Mucke auf Indie-Basis macht, alt und so sozialisiert ist wie ich, hat man natürlich Vorurteile – die sich bisher aber noch nicht bewahrheitet haben. Mal sehen, ob meine Erwartungen erfüllt werden.

Welche Erwartungen sind das?
Viele Leute sagen ja, heute brauche man keinen Major mehr. Aber die wichtigen Leute an den langen Industriehebeln haben noch eine andere Denke. Es dauert, bis die Realität in den Köpfen ankommt.

Wie meinst du das?
Ein Beispiel: Eigentlich sind CDs mittlerweile überflüssig. Aber wenn dich jemand fragt, der dich nicht kennt, ob es deine CD auch im Laden gibt und du das bejahst, hat er mehr Respekt vor dir, als wenn du ihm sagst, deine Musik gäbe es nur im Netz – obwohl Musikkonsum 2019 anders funktioniert.

Verstehe.
Ich bin gespannt, wie mächtig so ein Major wirklich ist. Das JUICE-Cover konnte Universal mir jedenfalls nicht klarmachen. (grinst)

Du hast mal gesagt: »Ich habe nie den Masterplan entwickelt, wer dieser Fatoni ist oder wofür der steht.« Ist das noch so?
Ja, aber ich kenne mich mittlerweile besser – auch als Künstler. Wenn ich auf Partys mit szenefremden Menschen darüber ins Gespräch komme, fragen die gerne mal: »Du machst aber nicht so Gangsterkram, sondern coole Texte, oder?« – dann möchte ich denen immer gerne direkt in die Fresse schlagen.

Was antwortest du dann?
Ich behaupte dann, ich würde so was machen wie die Beginner. Das stimmt zwar nicht, aber das finden die dann cool und können es einordnen. Thema beendet.

Im Februar hast du ein paar Gigs als Support von Mike Skinner gespielt, dem du auf »Yo, Picasso« mit dem Song »Mike« ein musikalisches Denkmal gesetzt hast. Hat es Risse bekommen?
Ich hatte Angst vor der Entmystifizierung, obwohl die unumgänglich war – es sei denn, wir hätten krass abgekumpelt. Haben wir natürlich nicht. Insofern: Eigentlich ist er weiterhin mystisch geblieben, weil er in erster Linie durch Abwesenheit geglänzt hat.

Kennt er den Track denn?

Ich weiß, dass ihn Leute bei seinen Gigs als DJ regelmäßig darauf angesprochen haben. Einem davon hat er mal geantwortet: »Yeah, I know. It fucking terrifies me.« Ich hab aber keine Ahnung, ob er gepeilt hat, dass ich der Typ bin, von dem dieser Song stammt.

Dein Promoter hat mir dein neues Album mit den Worten schmackhaft gemacht, das sei »dein ›XOXO‹«. Trifft es das?
Ich verstehe nicht, in welcher Beziehung. Kommerziell? Klar, gerne. Aber Casper und ich sind zwei sehr unterschiedliche Künstler, die man nicht miteinander vergleichen kann.

Vor ein paar Jahren hast du mal gesagt: »Ich glaube nicht, dass ich der nächste Marteria werde.«
Dafür müsste ich eine andere Richtung einschlagen, und das habe ich nicht vor. Die große Versimplung hat bei mir nicht stattgefunden. Aber es muss ja auch nicht jeder Marteria sein. In unserer Kultur wird sich immer nur an oben orientiert, und das ist sicher ein Ansporn, setzt jedoch voraus, dass jeder kommerziell wachsen will. Aber vielleicht ist das Quatsch.

»Ich schreibe keine Songs für Stadien«

Du willst das also nicht?
Nicht unbedingt. Es gibt allerdings kommerzielles Wachstum, das man braucht, um sich auch künstlerisch weiterzuentwickeln – das ist aber endlich. Es gibt zum Beispiel eine Größe von einer Konzert-Venue, ab der ich es nicht mehr geil und zu unpersönlich finde. Und wenn wir ehrlich sind: Ich schreibe keine Songs für Stadien.

Im Opener »Alles zieht vorbei« redest du von einer Midlife-Crisis und einem kleinen Burnout. Ist das Real Talk?
Ja, ist aber schon ein bisschen her. Ich war ja zwei Jahre lang fest angestellt am Theater in Augsburg und habe in diesen zwei Jahren »Die Zeit heilt alle Hypes« und »Yo, Picasso« geschrieben – aus heutiger Sicht völliger Irrsinn. Das hat mich gefickt. So ein Album ist viel Arbeit, und das habe ich neben einem Vollzeitjob gemacht, der so angelegt ist, dass du kein Privatleben mehr hast – junge Menschen werden da gnadenlos verpulvert. Die Aussteigerquote ist immens.

Und die Arbeit hat dich fertiggemacht?
Ja. Ich hatte immer wiederkehrende Stimmbandentzündungen, monatelang chronische Kopfschmerzen – richtig Horror. Ich war nie in Behandlung, mir hat niemand ein Burnout bescheinigt, aber: Ich war auf dem Weg dahin.

Du sagst in dem Track auch, dass du dich selbst verloren hättest. Inwiefern?
In der Line steckt viel aus verschiedenen Lebensabschnitten. Als mein Vertrag am Theater auslief, habe ich ihn nicht verlängert, wusste aber auch nicht, wie es weitergehen würde, bloß: Ich geh nach Berlin, werde es freiberuflich mit Schauspiel und Rap versuchen und zur Not wieder in der Gastro anfangen. Zu letzterem kam es aber nie, weil ich nach »Yo, Picasso« nicht mehr klassisch arbeiten gehen musste.

Auf dem Song ist auch Dirk von Lowtzow von der Band Tocotronic gefeaturet. Wie kam das zustande?
Der war mein Wunsch-Feature, obwohl ich nicht mit Tocotronic sozialisiert worden bin. Eine Frau hat mich irgendwann auf die Band gebracht. Ich habe das früher immer für verkopfte Gymnasiastenmucke gehalten, aber die aktuelle Platte »Die Unendlichkeit« hat mich komplett abgeholt. Daraufhin habe ich die ganze Toco-Diskografie nachgeholt und gemerkt: Wie krass ist bitte Dirk von Lowtzow? Wie krass sind seine Texte?

Was hat dich daran geflasht?
Ich habe mich immer für deutschsprachige Musik interessiert, und deutscher Rap wird für mich leider zunehmend uninteressanter – mittlerweile habe ich eine ziemliche Antihaltung dagegen entwickelt. Umso spannender war es für mich, dass da für mich eine neue musikalische Tür aufgegangen ist.

Seite 2: »Dieter Bohlen ist ein Provokateur, ein Punchliner, so was wie der Pop-Bushido«

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