»Wenn ich kein Graffiti gemalt hätte, wäre ich heute auch kein Musiker« // Evidence im Interview

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Michael “Evidence” Perretta ist ein Phänomen: Auf Indie-Scheiben der Swollen ­Members, Defari und Planet Asia ist er genauso zu Hause wie auf Blockbustern von Linkin Park, den Beastie Boys und Kanye West, einen Grammy hat er für die Mitarbeit an “College Dropout” im Regal stehen, auf der “West Coast Theory”-DVD sieht man ihn in einen nagelneuen, schneeweißen 5er BMW steigen. Ähnlich wie sein ­bester Freund Alan “Alchemist” Maman, der nicht nur harte QB-Bretter für Big Twins raushaut, sondern eben auch der Tour-DJ von Eminem ist. Doch die starke Erdung durch die lokale Graffiti- und Skateboarding-Kultur ­ihrer Heimatstadt Los Angeles lässt sie spielerisch den glaubwürdigen Weg zwischen Indie-Heldentum, dem ­Respekt ihrer Jugendidole und natürlich reichlich Show-Euros finden. Nach E-Vs überraschend erfolgreichem Soloalbum “The Weatherman LP” folgt nun bei seinem neuen Label Rhymesayers der zweite Streich “Cats & Dogs”, bevor sich die Dilated Peoples schließlich wieder als Trio zusammenfinden werden.

Du bist in der Nähe von Venice Beach aufgewachsen. Waren Breakdance, Skateboarding und HipHop dort von Anfang an Teil deines Lebens?
Ja. Ich bin in Santa Monica aufgewachsen, dann trennten sich meine Eltern und ich ging mit meiner Mom nach Venice. Dort sah ich aus nächster Nähe, was ich vorher nur aus Filmen wie “Beat Street” oder “Wild Style” kannte. Ich hatte plötzlich das Gefühl, vorher in Kansas gelebt zu haben, obwohl Santa Monica gar nicht weit entfernt war. Auf einmal konnte ich überall Musik hören, am Wasser chillen oder auf der Strandpromenade Geld verdienen. Das hat mir viel Kraft gegeben. Ich hatte den Eindruck, dort ­angekommen zu sein, wo ich hingehörte.

Als Graffiti-Artist hast du dich “Vane” genannt. Wie bist du zum Writing gekommen?
Mein Freund Freck und ich, wir fingen halt irgendwann mit dem Taggen an. Ich hing im Westen von L.A. herum und sah älteren Writern zu, die nicht nur malten, um zu zerstören, sondern die wirklich inspirierende Kunstwerke erschufen. Dass es illegal war, erschien mir nebensächlich. Der Zweck heiligte in diesem Fall die Mittel. Vision von den West Coast Artists, eine echte Graffiti-Legende, gab mir dann meinen Namen. Damals interessierten mich nur zwei Dinge: Graffiti und Skateboarding. Das Rappen kam erst später, als ich in ein neues Haus zog und Nachbar von QD3 wurde. Graffiti hat mir aber auch die Grundsätze mitgegeben, nach denen ich meine Musik produziere: erst die ­Fill-ins, dann die Outlines, dann die Highlights – und vor allem permanente Selbstkontrolle. Wenn ich kein Graffiti gemalt hätte, wäre ich heute auch kein Musiker.

Du warst Nachbar des “Prince Of Bel Air”-­Produzenten QD3, der ja auch der Sohn von Quincy Jones ist?
Ja. QD3 hatte Dreadlocks, fuhr ein anständiges Auto und sah generell aus wie jemand, mit dem ich gerne herumhängen würde. Also stellte ich mich ihm vor: “Hi, ich bin Michael, ich male Graffiti. Was machst du so?” “Ich bin Quincy, ich produziere für Rapper. Komm doch mal rüber und schau zu.” Ich hatte schon nächtelang die Musik aus seiner Garage gehört; ich war ein HipHop-Fanatiker, aber ich wusste nicht, wie Rap­musik gemacht wurde. Zu der Zeit produzierte er richtig krasse Typen und inspirierte damit eine ganze Generation von neuen Künstlern – nämlich mich und meine Freunde, die fortan ständig bei mir herumhingen, nur um eine Chance zu bekommen, zu QD3 rüberzugehen: Alan [Alchemist], Joey Chavez, Will [Will.I.Am], Ahmad, Kendall von LMFAO. Ich weiß gar nicht, ob QD3 bewusst ist, wie sehr er uns alle beeinflusst hat.

Mit Dilated Peoples hast du in den letzten zehn Jahren fünf erfolgreiche Alben produziert und die ganze Welt bereist. Was waren die besten ­Erfahrungen für dich?
Den Respekt von Menschen zu gewinnen, zu denen ich früher aufgeschaut habe und es heute noch tue. Als ich anfing, lebte ich noch zu Hause, musste keine Rechnungen bezahlen, hatte keine Sorgen ­finanzieller Natur. Ich hatte auch Erfolg bei den Mädchen – ich brauchte Rap also nicht, um Frauen zu bekommen. Das Einzige, was ich erreichen wollte, war: KRS-One sollte eines Tages meinen Namen kennen. Oder ­einfach mal mit Ras Kass reden. Das war meine ­einzige Intention – ich wollte die Props!

Was hat sich im Laufe der Jahre an deiner ­Einstellung verändert?

Anfangs hatten wir diesen Graffiti-Mindstate: Es ging nur um das Ergebnis, nicht darum, wie du aussiehst oder wer du bist. Auf den ersten Dilated-Platten waren keine Fotos von uns, es gab nicht mal richtige Cover, nur Whitelabels und Sticker. Ich wollte nicht, dass man meine Musik mit meinem Gesicht identifiziert, da steckte immer noch diese Writer-Einstellung in mir. Ich mochte auch keine Shows. Als ich älter wurde, änderte sich das alles drastisch. Aber am Ende des Tages geht es immer noch nicht um die Länder, die ich bereist habe oder das Geld, das ich verdient habe, sondern ausschließlich um die Akzeptanz durch eine bestimmte Gruppe von Menschen, die mir ­wichtig war und ist.

Mit welchen Künstlern würdest du zukünftig gerne zusammenarbeiten?

Ich möchte die Jungs aus meinem Umfeld nach vorne bringen. Ich finde es ja auch beeindruckender, wenn Exile mit Aloe Blacc und Blu arbeitet, als wenn er einen Beat auf einem Lloyd Banks-Album platziert. Das ist schon cool und alles, versteh mich nicht falsch – man muss auch ein bisschen aufs Geld schauen. Aber für mich persönlich ist es einfach doper, wenn du deine eigenen Jungs supportest. Für mich persönlich gehören “Focused Daily” von Defari oder “The Medicine” von Planet Asia zu den wichtigsten Platten, die ich produziert habe, weil das meine Homies sind.

Aber es muss doch auch schön gewesen sein, einen Grammy für die Mitarbeit an Kanye Wests “College Dropout” zu bekommen.
Das war eine der verrücktesten Sachen, die ich je erlebt habe. Damals war Kanye noch nicht sonderlich berühmt, ich fuhr ihn ständig in meinem Auto durch die Gegend. Ich fragte ihn, ob er einen meiner Beats an Jay-Z weitergeben könnte, weil der gerade am “Black Album” arbeitete. Ich wusste ja nicht, was passieren würde. Aber alles ist gut, so wie es gekommen ist. Ich habe auch verstanden, dass man es nicht zu sehr wollen darf. Viele Leute, die sich zu sehr bemühen, sind irgendwann nicht mehr da. Um lange Zeit am Start zu bleiben, musst du dich auch rar machen und auf deinen eigenen Kram konzentrieren können.

Welche Produzenten waren deine Vorbilder, als du angefangen hast?
Premier, Large Pro, Pete Rock, Diamond D. Ich stand total auf diesen New Yorker HipHop. Ich war sogar ein richtiger Biter. (lacht) Noch heute folge ich ihrer Blaupause: ein MC, ein DJ, keine Gimmicks. Manche Produzenten sind extrem gut, aber sie lassen den Rappern nicht genug Raum in der Musik, um sich zu entfalten. Das ist in meinen Augen egoistisch. Ich versuche das zu vermeiden, weil ich auch die Perspektive eines Rappers sehe und kenne.

Ihr habt 2007 euren Majordeal bei Capitol/EMI beendet. Was war der Grund?

Es war ein Vertrag über fünf Alben, den wir erfüllt haben. Sie wollten den Vertrag verlängern, aber wir nicht. Wir haben all diese Jahre sehr stark kämpfen müssen, um unseren Ideen treu zu bleiben. Sie wollten uns die ganze Zeit in eine andere Richtung drängen. Vielleicht wären wir so kurzfristig erfolgreicher geworden, aber am Ende bin ich glücklich damit, wie alles gekommen ist. Jetzt können wir uns endlich um unsere Soloprojekte kümmern, die wir bei Capitol aus vertraglichen Gründen nicht machen durften. Es gab ja auch Dinge, über die ich auf einer Dilated-Platte schlecht sprechen konnte. Den Tod meiner Mutter etwa habe ich erst auf “The Weatherman LP” verarbeitet.

Du sprichst von “Chase The Clouds Away”…

Ja. Den ersten Verse habe ich direkt nach ihrem Tod geschrieben, damals hatte ich schlimme Depressionen. Doch eines Morgens wachte ich auf, zog die Rollläden hoch und fühlte mich ohne Grund einfach gut. Also schrieb ich den zweiten Verse. Der Song lag dann zwei Jahre lang herum. Ich weiß noch, dass es mir peinlich war, ihn anderen Leuten vorzuspielen. Schon der Gedanke, dass noch jemand im Raum war, machte mich unbehaglich. Zum ersten Mal sprach ich in meiner Musik über das echte Leben. Ich nahm den Song am Weihnachtsabend 2006 auf und hörte ihn mir kein einziges Mal mehr an. Ich nahm nicht mal den endgültigen Mix ab. Trotzdem weiß ich, dass ich mehr solcher Tracks machen muss. Wenn ich “Chase The Clouds Away” live spiele, drehen die Leute komplett durch. Das ist wohl die Belohnung dafür, dass ich ehr­lich war. Die Menschen geben mir die Energie zurück, die ich reingesteckt habe. Und ich weiß, dass “Cats & Dogs” eine gute Platte geworden ist, weil wieder ein paar Songs drauf sind, die ich mir selbst nicht anhören kann. Es geht darauf eben wieder mehr um Michael Perretta und nicht so sehr um Evidence.

Text & Fotos: Jorge Peniche

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