Ein Date mit Lauryn Hill // Feature

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Was ziehe ich an? Worüber soll ich reden? Wie werden die Vibes? Was muss ich tun, um einen guten ersten Eindruck zu machen? Fragen, die man sich vor dem ersten Date mit einer Person, die einem wirklich wichtig ist, stellt. Oder sollte man auf seinen Instinkt hören und die ganze Sache einfach auf sich zukommen lassen? An einem Punkt, an dem manchmal hilft, einen guten Freund zu fragen, der einen selbst, aber auch die bevorstehende Situation als auch das ganze Ausmaß dieser einschätzen kann. So begab es sich, dass ich, Tyron Ricketts, zusammen mit Ono, der einigen Lesern von seiner Band Walkin‘ Large bekannt sein sollte, bei mir zu Hause, unter Einfluss natürlicher Heilkräuter, Wege der meditativen Bewusstseinserweiterung in Verbindung mit Rapmusik erforschte und wir uns dabei nicht über ein bevorstehendes Date, sondern über das Interview mit Lauryn Hill, das ich am nächsten Tag zu führen hatte, Gedanken machten.

»The Miseducation Of Lauryn Hill«, ein Titel, der darauf hinwies, dass man wahrscheinlich mit mehr als dem sonst so üblichen »You know what I’m saying«- und »It’s all about the benjamins«-Gelaber rechnen durfte. So ist es zu verstehen, dass man, obwohl es sich nicht um ein Date handelte, trotzdem die Chance nutzen möchte, die talentierteste und definitiv best aussehendste Lady Of HipHop zu treffen, um zumindest einen wenn nicht schon bleibenden, dann dennoch guten Eindruck zu machen.

Schall und Rauch des vorangegangenen Abends sind Geschichte, denn nun befinde ich mich in der Interviewsuite des Hyatt Hotels in Köln und warte zusammen mit Minh Kai und Götz Bühler, begleitet von etlichen Kameraleuten, Beleuchtern, Betreuern und natürlich Leuten der Plattenfirma, die nicht fehlen dürfen, um einem vor dem Interview tausend Fragen zu stellen, die nichts mit dem eigentlichen Grund deines Kommens zu tun haben, auf den Star. Wie jeder Künstler kommt Lauryn Hill, ab jetzt werde ich sie liebevoll nur noch Laury nennen, natürlich zu spät. Ein Fakt, den ihr seltsamerweise keiner übel nimmt, als sie lächelnd in annähernd engelhafter Gestalt den Raum betritt. Spirituell erfahrene Leute dürfte es ein Begriff sein, wenn ich von ungewöhnlich positiver Aura, die alle negativen Gedanken verschwinden lässt und sogar die zuvor herrschende Anspannung in diesem Raum auflöst, spreche (28/10 oder 37/10). Ich bin, wie immer, als Letzter an der Reihe und habe daher die Gelegenheit, mir anzusehen, wie Laury den Monitor so einrichtet, daß sie sicher sein kann, daß alle Kamerabilder so optimal wie möglich werden. Minh Kai und Götz, der sich etwas ungeschickt benimmt, aber dennoch Coolness bewahrt, sind fertig. Laury verläßt den Raum um sich umzuziehen und wirft mir ein unwiderstehliches Lächeln zu, als ich bemerke, sie müsse sich nicht extra wegen mir umziehen. Ich freue mich sehr darüber, fühle mich aber gleichzeitig wie ein kleiner Junge und beschließe, mich nun wirklich auf meine Aufgabe, nämlich ein Interview zu führen, zu konzentrieren. Laury kommt zurück, wir setzen uns, und bevor die Kamera läuft, erzähle ich ihr, dass ich bereits ein Interview mit Wyclef und Pras gemacht habe, wobei ich letzteren für erstens untalentiert, zweitens arrogant und drittens langweilig halte. Laury gibt mir zwar darauf keine Antwort, lacht aber laut, als wäre es nicht das erste mal gewesen, dass sie so etwas hört.

»Die Entscheidung ein Kind zu haben, war die erste Entscheidung, die ich nur für mich und nicht für andere getroffen habe. Deshalb ist sie so wichtig«

Der Dreh beginnt und meine erste Frage, die mich einige Überwindung kostet, ist, wie sie es schafft, trotz all dem Stress so schön zu bleiben. ONO und ich waren uns sicher, daß diese Frage, wenn richtig gestellt, das eventuell vorhandene Eis brechen sollte. Verlegen sucht sie nach einer Antwort, fragt ihre Eltern, die neben vier anderen Leuten als Begleiter dabei waren, ob sie diese gute Frage gehört hätten, und antwortet, immer noch etwas verlegen, dass ihre gesunde Ernährung ausschlaggebend dafür sei. Ich frage Laury über Frauen im Musikbusiness und sie erzählt mir, dass es natürlich immer noch schwer sei, aber dass Leute wie sie selbst, Mary J Blige, Missy Elliot und noch etliche andere beweisen würden, dass Frauen genauso gut, wenn nicht sogar besser Musik machen könnten, was sich auf die Performance als auch auf das Produzieren beziehen würde. Laury fügt hinzu, dass harte Arbeit und gerade die Tatsache, dass man als Frau immer noch etwas härter arbeiten müsse, um erfolgreich zu sein, für sie positiv sind. Harte Arbeit, wenn kreativ, habe schließlich noch keinem geschadet.

Tatsächlich hat Laury einen Großteil ihres Albums selbst produziert, was zur Folge hat, dass es zwar nicht bis ins letzte Detail ausproduziert, dafür aber so gefühlvoll ist, dass man tatsächlich das ganze Album an einem Stück hören kann, und man ihr dabei jeden Song, egal ob brilliant gerappt oder ausdrucksstark gesungen, glaubt. Man kann sich sogar, soweit gefühlsmäßig in der Lage, hineinversetzen, sodass sich die eigene Stimmung beim Hören von Song zu Song ändert. Manche Stücke auf denen gesungen wird, klingen beinahe improvisiert, und Lauryn gibt zu, daß es ihr bei der Produktion des Albums in erster Linie um Emotionen ging. Ein Grund dafür ist sicherlich Lauryns erste Schwangerschaft, die von der Produktion ihres Albums begleitet wurde. Wir plaudern darüber, wie viel Druck Lauryn sowohl von der Öffentlichkeit als auch von Freunden bekam, als bekannt wurde, dass sie mitten in ihrer Karriere schwanger wurde, sind uns jedoch einig darüber, dass ihre Mutterschaft ihrem kreativen Schaffen nicht im Wege steht. »Die Entscheidung ein Kind zu haben, war die erste Entscheidung, die ich nur für mich und nicht für andere getroffen habe. Deshalb ist sie so wichtig«, sagt Lauryn, und ich stimme ihr zu. Ich bin immer noch bestrebt, einen guten Eindruck zu machen und frage sie, welche Farbe sie dem Album geben würde, müsste sie ihre Musik einem Taubstummen anhand von Farbtönen nahe bringen. Laury ist sichtlich über diese etwas andere Frage erfreut, und auch ich freue mich darüber, eine Person die sicherlich schon mehr Interviews gegeben hat, als man sich vorstellen kann, zum Nachdenken gebracht zu haben. Inspiriert von der Farbe ihrer Bluse antwortet Laury mit weinrot, revidiert beziehungsweise modifiziert ihre Aussage jedoch und kommt nach einer etwas längeren Denkpause zu weiß und schließlich zusätzlich auf orange. Ich freue mich, Lauryn freut sich und Maurice, der mich zu dem Interview begleitet, freut sich auch, was mir allerdings nicht auffällt, da ich außer Laury niemanden wahrnehme.

Spiritualität, Religion und Liebe

Sie erzählt mir, dass D’Angelo, Mary J Blige und sogar Santana auf ihrem Album mit dabei sind, jedoch scheint der technische beziehungsweise tonträgerbezogene Informationsfluss viel unwichtiger zu sein als die Tendenz, das Gespräch auf einer leicht spirituellen Wellenlänge zu halten. Lauryn erzählt mir, dass ihr Glaube ein großer Grund für ihren Erfolg sei, und dass sie all ihre positive Energie und natürlich auch ihre Inspiration aus dem Glauben an Gott nehmen würde. Ich nutze die Chance, ein kleines Spiel mit Laury durchzuführen, bei dem sie die Aufgabe hat, mir ihre Lieblingsfarbe, als auch ihre vier Gründe dafür, warum es ihre Lieblingsfarbe ist, zu nennen. Weiß ist die Antwort. Gründe sind, dass sie weiß wunderschön findet und zugibt, dass sie der Meinung ist, es stünde ihr hervorragend. Ein weiterer Grund für weiß ist, dass ihr Opa wohl Pfarrer ist, und Lauryn dadurch weiß mit Kirche, in diesem Fall passender Religion und Glauben, als Ganzes verbindet. Als ich ihr sage, dass die Lieblingsfarbe eines Menschen etwas über die Weise, wie man sich selbst sieht, aussagt, und ich ihr außerdem noch Parallelen zu ihrem eigenen Aussagen zu ihrem Album, bezüglich der Farbzuordnung für Taubstumme, aufzählen kann, ist es soweit: Ich kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass es mir gelungen ist, bei niemand geringerem als Lauryn Hill Eindruck zu schinden. Mission accomplished! Als ich mir das Interview einige Zeit später bei mir zu Hause ansehe, muß ich jedoch feststellen, dass einige Passagen hart an der Grenze, ja fast schon kitschig wirken, und dass ein Gespräch solcher Art sicherlich eher zu Kerzenlicht und französischem Rotwein passen würde als in eine HipHop-Sendung. Doch obwohl mich die Realität eingeholt hat und ich mich zum Glück darauf berufen kann, dass Geschmäcker ach so verschieden sind, lebt in meinem Kopf die Fantasie weiter, doch ein Date mit Lauryn Hill gehabt zu haben, welches auf jeden Fall positive Vibrationen freigesetzt hat, und von dem ich auch noch einige Zeit mit einem sehr zufriedenem Lächeln auf dem Gesicht träumen werde.

Text: Tyron Ricketts

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #006 (November/Dezember 1998).

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