Dave: »Viele Leute schauen nur zu, wenn es bergab geht« // Interview

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Wenn man zuhört, wie Dave auf »Question Time« sieben Minuten lang scharfe Kritik an britischen Politikern äußert, fällt es schwer zu glauben, dass man es hier mit einem 20-Jährigen zu tun hat. Dass der Südlondoner in der dortigen Szene als einer der vielversprechendsten Nachwuchsrapper gehandelt wird, liegt aber auch daran, dass er sich in seinen Texten ungewohnt ehrlich, verletzlich und reflektiert zeigt. Auf zwei EPs folgte Ende des Jahres Daves erste Europatour – Grund genug für ein Gespräch über seine Jugend, die britische Politik und seinen Bezug zu Grime.

Der erste Track, mit dem du an die Oberfläche gedrungen bist, war der »Black Box Freestyle«. Du hast darin über ziemlich heftige Themen geredet, besonders für dein damaliges Alter.
Ich wollte beim Rappen immer ausdrücken, was ich fühle. Ich hatte schon sehr lange gerappt und ein paar Versuche gestartet, bevor ich den Freestyle gemacht habe. Die Themen, über die ich sprach, stellten einfach das dar, was bei mir abging. Meine Jugend war ziemlich düster, dementsprechend fühlte ich mich. ­Jeder hat Probleme, die er verarbeiten muss, und das war meine Art, das zu tun. Rap machte es viel einfacher, über alles zu sprechen.

Deine beiden Brüder mussten während deiner Jugend ins Gefängnis. Wie bist du damit umgegangen?
Es war hart. Aber dadurch habe ich gelernt, mich auf mich selbst zu konzentrieren und mich mit mir selbst zu beschäftigen. Irgendwann habe ich mich gefragt: Wie kann ich die Situation besser machen? Wie kann ich es allen erleichtern? Also versuchte ich mich darauf zu konzentrieren statt auf das Negative.

»Aber so sind Politiker halt: Sie treten einfach zurück, wenn es schwer wird.«

Nach allem, was mit deinen Brüdern passiert ist, standest du einen Großteil deiner Jugend unter Hausarrest. Wie hat das deine Arbeit als Musiker beeinflusst?
Ich wurde durch die ganze Zeit, die ich alleine verbrachte, sehr schnell erwachsen. Ironischerweise hatte ich als Jugendlicher nicht die Freiheit, rauszugehen und die Dinge zu tun, die andere in meinem Alter taten. Da ich mich nicht um Partys und solche Dinge kümmern konnte, musste ich mich also anderen Sachen widmen. Das Ganze hatte dann sogar einen positiven Einfluss auf meine Musik, weil ich mich durch den Hausarrest aufs Rappen konzentrieren konnte.

»Wanna Know« von deiner ersten EP wurde von Drake geremixt, als du gerade mal 18 Jahre alt warst. Wie hat sich das angefühlt?
Surreal, als wäre es ein Traum gewesen. Es fühlt sich immer noch wie ein Traum an, und ich schätze, es wird sich nie real anfühlen. Ich habe ihn danach in Amsterdam getroffen, was auch ziemlich cool war.

In »Question Time« kritisierst du Politiker wie Premierministerin Theresa May und ihren Vorgänger David Cameron. Was war deine Intention dahinter?
Ich wollte, dass Menschen in ein paar Jahren – wenn nicht sogar Jahrzehnten – auf den Song zurückblicken und verstehen, was zu der Zeit passierte. Ich wollte ausdrücken, wie wir uns fühlen, und für die Menschen sprechen, die keine Stimme haben. Ich bin zwar nicht überdurchschnittlich politisch interessiert, aber ich bin mir der Macht bewusst, die wir über unsere eigene Zukunft haben. Viele Leute schauen nur zu, wenn es bergab geht, aber man sollte auch daran arbeiten, die Geschehnisse aufzuhalten.

Was hältst du davon, wie es aktuell in Großbritannien läuft? Das offizielle Brex­it-Datum wurde auf Ende März gelegt.
Es ist alles ziemlich chaotisch und keiner versteht, was hier gerade abgeht. Ich weiß selbst nicht, was ich vom Brexit halten soll. Aber würde man mich fragen, ob ich aus der EU austreten möchte, würde ich definitiv mit Nein antworten. Mein Leben wird sich dadurch wahrscheinlich sehr verlangsamen, und ich erwarte nicht viel Positives von dem EU-Austritt – zumindest wird es nicht gerade der unabhängige Austritt, den die Regierung zuerst proklamierte. Viele der Politiker, die zu der Zeit der Brexit-Verhandlungen am Hebel saßen, haben mittlerweile sogar die Politik verlassen. Aber so sind Politiker halt: Sie treten einfach zurück, wenn es schwer wird.

Seit »Game Over« hast du die Tracks »Hangman« und »Funky Friday« gedroppt. Letzterer ist einer deiner wenigen Songs, die sich entspannten Themen widmen und in die Party-Richtung gehen.
Tatsächlich mache ich solche Tracks hier und da mal, normalerweise einmal im Jahr und ungefähr im gleichen Zeitraum. Das war also dieses Jahr mein Song, der ein bisschen schneller und lockerer sein sollte. Und jedes Mal, wenn ich mit einem anderen Künstler arbeite, werde ich von ihm und er von mir inspiriert. Das war bei »Funky Friday« auch so.

»Funky Friday« ist ein gutes Beispiel für einen Track, den viele als Grime bezeichnen würden.
Ich würde das verneinen. Es ist ziemlich einfach, Grime zu erkennen. Schon der Rhythmus ist sehr speziell, aber der einfachste Weg, Grime zu erkennen – besonders für Leute, die nicht britisch sind – ist das Tempo. Wenn ein Song bei 140 BPM ist, ist das Grime-Tempo. Das macht es zwar nicht gezwungenermaßen zu Grime, ist aber eine Voraussetzung.

Hat Grime deine Musik trotzdem beeinflusst?
Ich habe viel Grime gehört, als ich jung war, also ja. Ansonsten höre ich aber auch viel Musik von Lana Del Rey, Drake und Kendrick Lamar. Das sind alles sehr krasse Künstler, die mich stark beeinflusst haben.

Du hast dieses Jahr zwei Freetracks ohne eine Albumankündigung gedroppt. Ist ein neues Projekt in Arbeit?
Nächstes Jahr werde ich endlich das Album releasen, an dem ich in den letzten Monaten saß – und ich freue mich sehr darauf. Wann genau, kann ich noch nicht sagen, aber es wird auf jeden Fall im Frühjahr erscheinen. Kollaborationen habe ich auch noch keine geplant, aber ich habe Ideen für Künstler, mit denen ich gerne arbeiten würde. Ich muss es nur noch in die Tat umsetzen.

Text: Lena Mändlen
Foto: Caroline International

Dieses Interview erschien erstmals in JUICE #190 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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