Christoph Kautz ist der Nerd hinter Klapse Mane und Rocco Vice // Portrait

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Es ist kalt, verregnet und eklig in Berlin, als Klapse Mane 2017 eine Frage in Form eines Musikvideos ins Netz wirft. »Worum geht’s?« ist das erste Signal des Hutmacher-Entertainment-Schützlings, das breite Wellen schlägt und sich dank einer einzigartigen Sound- und Bildästhetik Gehör verschafft. Dieser langhaarige Schlacks aus West-Berlin erreicht sein Ziel auf Anhieb: Er eckt an, ist anders, ungemütlich und gossig.

Tauben werden von fahrenden Zügen zermalmt, verlorene Kneipenseelen kurz portraitiert und Pfandflaschensammler bei ihrem täglichen Hustle eingefangen. Das Bild von Wild-West-Berlin, das Klapse Mane zeichnet, steht im heftigen Kontrast zu den Hochglanzfotos und vermeintlichen Insider-Wochenendtrip-Tipps von Lonely Planet oder Trip Advisor. Klapse Mane zeigt das Berlin, das für viele Beobachter versteckt bleibt, weil es Kreisen zugesichert ist, in die sie nicht reinkommen. Das Berlin, das sich hinter den Fassaden der Gentrifizierung und rasenden Veränderung der Stadt immer treu geblieben ist. Wo es Schultheiß statt Fancy-Drinks gibt, Atzentalk statt Diskussionspanels und der Umgangston keiner stetigen Überprüfung im Zeichen der politischen Korrektheit unterliegt. Das ist nicht immer schön, eher selten sogar, und natürlich auch überspitzt – in seiner Tristheit und in seinem Trott aber auch schonungslos echt. »Ein Leben auf Droge« heißt das dazugehörige Album. Der Sumpf ist tief.

»Das Video sollte ganz bewusst diesen Gossen-Modus einfangen. Das hat auch perfekt zu dem VHS-Stil gepasst. Ich bin darin total aufgegangen, das hat mir mega viel Spaß gemacht. Ich konnte mich in dem Video ganz anders darstellen, einen ganz anderen Style fahren«, erzählt Christoph Kautz im Februar 2020, auch dieser Mittwoch ist verregnet, grau und nichts.

»Ich bin durch das frühe Drogennehmen lange auf meinem Teenager-Level stagniert«

Christoph Kautz

Wir sitzen in seiner Wohnung in Berlin-Moabit. Hört und liest man solche Aussagen, wird schnell deutlich, was die kompromisslose Stringenz in den Songs und Videos von Klapse Mane bereits hat erahnen lassen: Der Typ hinter der Musik ist in erster Linie ein Vollblutkünstler, der sich Gedanken macht, der ackert, der weiß, was er wie und wann will. Ein Typ, der erzählt, was war und ist (»Bei Klapse Mane ist leider nur sehr wenig Kunstfigur dabei. Der Titel »Ein Leben auf Droge« ist schon ein Spiegel der letzten fünf Jahre meines Lebens«), aber auch reflektieren kann (»Ich bin durch das frühe Drogennehmen lange auf meinem Teenager-Level stagniert. Im Kopf war ich lange 16, das habe ich rückblickend klar feststellen können«). Und ein Typ, der die Musik studiert hat und sie gerade deswegen so facettenreich lieben und produzieren lernte wie kaum ein anderer Künstler im hiesigen Rap-Kosmos.

Denn Christoph Kautz ist nicht nur Klapse Mane, sondern auch der 80’s Pop-Schlager-Sänger und Pils-Romantiker Rocco Vice sowie der Untergrund-Techno Produzent Heinz Kauz. Aber von vorn.

Spanische Gitarre und schwänzen: Die Anfänge

»Ich kam als Kind sehr früh mit Musik in Kontakt«, erzählt Christoph. Über die musikalische Früherziehung ging es schnell zur spanischen Gitarre. Sieben Jahre lang hat er gespielt, wöchentlich mit Musikunterricht. »Der Lehrer war ein übelster Flamengo-Gott. Deswegen haben wir ganz viel spanische Klassik und Romantik aus dem 17. Und 18. Jahrhundert gespielt. So hat sich ein Klangbild entwickelt, das im Kopf geblieben ist«, sagt Christoph. Danach, »mit 12 oder 13«, kam der Bruch: »Ich habe nur noch so getan, als ob ich zum Unterricht fahren würde, habe angefangen zu kiffen, die ersten Picaldi-Hosen gekauft und Airforce und Airmax getragen. So hat es auch mit diesem Rap-Ding angefangen, das ging Hand in Hand«.

Auf die ersten Gehversuche in Sachen Producing und Recording folgte die erste Crewbildung, zu der damals schon, vor bald zehn Jahren, der heutige HME-Hausproduzent Al Majeed und große Teile der HME-Crew Saftboys gehörten. Man kennt sich, lange schon. Christoph war da noch primär als Kauz unterwegs. »Das war schon klassisch, aber nicht wirklich Boom-Bap, auch weil wir nie diesen Vinyl- oder MPC-Sound hinbekommen haben«, erzählt er rückblickend. Zusammen mit Nordin gründete er die Futschis, gemeinsam releasten sie zwei Alben, »Beats & Bratpfanne« und »Futschifilm«, beide gelten heute als Berliner Auskenner-Classics. Erstmals hätte dabei ein echtes Konzept hinter einem Release gesteckt.

Schlager-Pop und die Jagd eines Sounds: Rocco Vice

Während dieser Zeit probierte sich Christoph bereits am Produzieren von elektronischer Musik aus und versank immer mehr in der Clubszene Berlins: »Das war für mich eigentlich der viel größere Kosmos als dieses Rap-Ding.« Generell habe er immer viel 80s, Rock und auch Disco gehört. »Darin bin ich fast noch mehr aufgegangen«. Still und heimlich befüllte Christoph einen privaten Soundcloud-Account mit den ersten Non-Rap-Produktionen, irgendwann kamen die Texte dazu. Das Rocco-Vice-Projekt nahm Formen, Christoph schlüpfte in seine erste Kunstfigur. »Ich habe mir einfach nie einen Kopf darüber gemacht, in welcher Sparte ich unterwegs sein will«, sagt er.

Foto: Janina Wagner

Als die ersten Skizzen standen, zeigte er sie Nordin. Der gab sie an, so klein ist die Rap-Welt, seinen Kommilitonen Doz9 und Hans von Beste weiter. Für ihre Uni-Abschlussarbeit bauten die drei Roccos Image gemeinsam weiter aus, erdachten Promo-Vlogs und stellten zusammen die ersten fünf, sechs Tracks sowie das komplette Artwork für das »Rocco Vice«-Album fertig. Da trifft die Achtziger-Sozialisation auf Schlager-Pop und eine deutlich assoziativere Sprachwelt. Auch hier findet Christoph Möglichkeiten, sich anders zu kleiden, anders zu bewegen, andere Themen zu bearbeiten. Aus dem Gossen-Rumtreiber wird dann der gewiefte Kneipencharmeur, der das urige Berliner Nachtleben aus einer ganz anderen, wärmeren und schonenderen Perspektive beleuchtet.

Der stetige Wandel, sich zu verändern und nicht einzuschränken, Christoph liebt das, er braucht das: »Ich bin schon so ein kleiner Schauspieler, würde ich mal frech behaupten.« Ausgeartet sei der Drang des Ausdrucks eines Sommers am und im Berliner Hauptbahnhof: »Wir haben dort an der Spree gechillt und nach drei Bier meinte ich: ‚Ey Jungs, wisst ihr was? Ich renn‘ jetzt mal nackt durch den Hauptbahnhof.‘ Dann bin ich mit Flexfit, Airmax und Tennissocken und sonst komplett nackt dadurch gesprintet.« Sicherlich habe er diesbezüglich auch ein »Aufmerksamkeitsproblem«: »Jeder, der sowas macht, braucht die Aufmerksamkeit. Das war bei mir immer so«, sagt Christoph.

Wenn er von dem Projekt Rocco Vice erzählt, dringt der Nerd in ihm mit Vollgas durch: »Ich habe immer versucht, so nah wie möglich an diesen originalen 80s-Sound ranzukommen. Ich habe mich sehr stark belesen. Welche Pianos oder Synthesizer wurden beim Original benutzt? Dann habe ich nach den dementsprechenden VSTs geguckt.« Das erste Projekt klinge für ihn rückwirkend wie der ungelenke Versuch, diesen Sound zu immitieren. »Ich wollte immer, dass es wie bei Kashif klingt. Das hat anfangs nicht funktioniert und das hat mich so krass frustriert. Ich habe dann immer bis fünf Uhr nachts dagesessen, Joint nach Joint geraucht, und am Rechner rumgespielt.« Die ersten Tracks des neuen Albums, das derzeit in der Mache ist, würden seine Ansprüche erstmals erfüllen. Unter anderem hat Christoph dafür mit dem Pop-Produzenten Sebastian Kirchner gearbeitet. »Der hat schon Sachen für Adel Tawil und diese Riege gemacht. Er hat mich gepusht, auch beim Singen. Dank ihm klingt das nochmal richtig knackig«, sagt Klapse.

»Ich wollte immer, dass es wie bei Kashif klingt. Das hat anfangs nicht funktioniert und das hat mich so krass frustriert«

Christoph

Der unveröffentlichte Song »Kneipengirl« sei der erste, bei dem es »musikalisch keinen Fehler mehr« gäbe. Christoph sagt das ohne den kleinsten Hauch von Arroganz. Seine Überzeugung umgibt eher die Aura des Selbstgemachten, des fast schon besessenen Tüftlers, der sich nach Jahren des Zweifelns und der Selbstkritik endlich mal zugestehen kann, etwas richtig, richtig gut gemacht zu haben.

Straight Edge durch »Ein Leben auf Droge«: Klapse Mane

Und Klapse Mane? Zu dem Projekt habe ihn Big Toe inspiriert. Das »Mane« für den Namen habe er ihm verpasst, soundtechnisch fungierten Al Majeed und Big Toe mit ihren vom Memphis-Sound inspirierten Werken auch Klapse Mane zu dessen Vision des Berliner Straßenraps 2.0. »Das hat sich angefühlt, wie zurück zu den Wurzeln zu kommen. Mit 14 oder 15 habe ich damals angefangen, diesen Sound zu hören. Vor allem viel Three 6 Mafia, weil der Sound auch meine Berliner Helden beeinflusst hat.«

Foto: Paul von Heymann

Die Kompromisslosigkeit in Sachen bildsprachlicher und soundtechnischer Härte habe er im Vergleich zu »Ein Leben auf Droge« bei »Auf Schleife« bereits langsam versucht aufzulockern. »Das erste Album war sehr hart, teilweise auch zu hart. ‚Auf Schleife‘ liebe ich, weil es diesen Mix hat. Wie auf ‚Brot‘ oder ‚Hand in Hand‘ zum Beispiel, wo es wieder etwas nachdenklicher und ernster wurde.« Davon soll es bei zukünfigten Klapse-Projekten mehr geben. Sogar von Annäherungen zum Pop ist die Rede: »In diesem Rap-Ding entwickelt es sich ja eh stark in diese melodische Richtung.« Grenzen und Einschränkungen gibt es in seinem Kopf nicht. Wenn Christoph etwas machen will, dann macht er es. Völlig gleich, was die Fans oder Kritiker davon halten. Um auf deren Meinung einen Fick zu geben, ist ihm die Musik und die damit einhergehende Selbstverwirklichung zu wichtig. Keine Kompromisse.

Ironischerweise hätten vor allem die Alben »Ein Leben auf Droge« und »Auf Schleife« Christoph dabei geholfen, seinen Konsum ab 2020 in den Griff zu bekommen. Das Aufschreiben dieses Lebensstils hätte enorm geholfen: »Es war nötig, um das zu verarbeiten. Bei mir waren der stetige Selbstzweifel und die Psyche die Dinge, die alles sehr hinderlich gemacht haben. Gerade bei Koks habe ich diese psychische Abhängigkeit gemerkt. Freitagabend, 18 Uhr. Der Magen fängt an zu grummeln, die Hände fangen an zu schwitzen. Und du weißt sofort: Du hast keine Chance. Du hast einfach keine Chance. Irgendwann ging es auch nur noch um den Dopamin-Ausstoß beim Naseziehen an sich. Und nicht mehr um die Draufness. Ich habe mich meistens schlecht gefühlt, wenn ich drauf war.«

Mittlerweile stünde die Musik klar im Vordergrund, der Alltag sei deutlich geregelter: »Man denkt lange, der Konsum würde die Kreativität fördern und umso mehr Angst hat man, dass die völlig verloren geht, wenn man den Konsum einstellt.« Das Gegenteil sei der Fall, erzählt Christoph: »Zum Glück habe ich erkannt, dass es genauso nicht ist, sondern ich noch viel mehr arbeite, mehr schreibe, immer besser werde und mich deutlich besser auf die Musik fokussieren kann. Ich bin ich sehr froh drüber, dass ich den Absprung geschafft habe, so schwierig das auch war und immer noch ist.«

Und dann auch noch Techno: Heinz Kauz

Als ob mit Klapse Mane und Rocco Vice kreativ wie rein vom Arbeitsaufwand nicht bereits genug zu tun wäre, schraubt Christoph als Heinz Kauz mit Patrick Schneider, dem großen Bruder eines guten Freundes, zusammen an Techno-Sachen. Mit »Way To Weekend« steht seit letztem Jahr bereits ein Album mit sieben Tracks auf allen Streamingplattformen zur Verfügung. Die Songs sind durchaus hart und industriell gehalten, arbeiten aber auch immer wieder mit einzelnen Groove- und sogar Funk-Elementen. »Wir haben auch viele Kontakte in die Techno-Szene und zu einzelnen Label-Leuten. Das ist mein drittes Standbein, daran arbeite ich auch wirklich konstant«, erzählt Christoph. Es wirkt so, als wäre das alles für ihn total selbstverständlich. Verschiedene Stile, verschiedene Images, verschiedene Workflows: Die Musik ist für ihn mehr als eine Geldquelle oder ein Vollzeitjob. Sie ist einfach das, was er macht. Jeden Tag, seit Jahren und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch sehr viel mehr Jahre.

Der Altersunterschied innerhalb des Duos spiegele sich auch im Sound wider. Während Patrick immer noch analog produziert, geht Christoph über dessen Skizzen rüber, um ihnen einen modernen Touch zu geben. »Das findet aber gar nicht im Kontext von Klapse Mane oder Rocco Vice statt. Das wollen wir davon klar trennen.«

Trennung oder Verschmelzung? Die Künstlerfiguren

Ob und wie lange sich dagegen Klapse Mane und Rocco Vice noch trennen lassen, oder wie lange er beide Figuren noch trennen will, wird die Zeit zeigen: »Vielleicht fahre ich beides weiter parallel und beides läuft geil. Mit Rocco Vice kann ich live mit einer Band spielen, das kann wirklich Pop werden. Aber genauso mit Klapse.« Die beiden Figuren würden sich eh mehr ähneln, als es auf den ersten Blick durchdringt: »Dieses Verschmitzte, das ist bei Rocco und Klapse ja das gleiche. Ich labere bei beiden ja mitunter die gleiche Scheiße. Auch wenn es bei Rocco bildmalerischer ist, das ist eher deutsche, schöne Lyrik«, erzählt Christoph.

Foto: Paul von Heymann

Derzeit herrscht erstmal Arbeitsteilung. Oftmals arbeitet Christoph sieben Tage die Woche an den verschiedenen Projekten. Zwei gute Freunde kümmern sich nun um die Organisation, Meetings stehen an, der Terminkalender wird gefüllt und gibt die Linie vor. Viel ist zu tun, viel will aber auch getan werden. Schlimm ist das nicht, denn die Ziele sind groß und mittlerweile auch klar: »Wenn man sich visualisiert, wo es im Leben hingehen soll und man merkt, dass etwas bei rumkommt, dann weiß man, dass das auch einfach nötig ist.«

Text: Louis Richter

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