Gutmensch ist zum Schimpfwort verkommen. 2016 brüllten wütende Mobs in Deutschland ihren Hass auf alle heraus, die etwas vorantreiben wollten und sich nicht damit abfanden, ihren Trott zu konservieren. Chima Ede ist das komplette Gegenteil zu dieser Entwicklung. Sein Ansatz: Die Welt verändern. Was blauäugig klingt, ist auf seinen letzten EPs realer geworden. Chima entzieht sich weitgehend dem feierwütigen Club der neuen Rapgeneration, in dem er natürlich trotzdem immer wieder abstürzt, und thematisiert Probleme so eindringlich wie kaum einer sonst. Flow-Abfahrten auf Neo-Boombap und gesungene Turn-up-Hymnen reichen sich in seiner Musik die Hand. Synthetiktrips verwachsen mit staubtrockenen Drums zum Sound der Zukunft.
Wahrscheinlich ist Chima der einzige Gutmensch im Deutschrap. »Ihr seid nicht das Volk, nein, wir sind das Volk«, ist sein erster Satz, der 2016 im kleinen Stil viral geht. Veröffentlicht wurde er, kurz nachdem im sächsischen Clausnitz eine Gruppe keifender Rechter einen Bus mit Geflüchteten angriff. Auf »Wir sind das Volk« nimmt er ihre von den Anti-Mauer-Protesten der DDR geklaute Parole auf und schmettert mit hörbarer Wut dem Rechtsruck in Deutschland ein deutliches Statement entgegen. Das unterscheidet ihn von den meisten Rappern seiner Generation. Wenn Scheiße passiert, wird sie im Rap-Kosmos oft einfach ignoriert. Auf der hedonistischen Wolke gegen Missstände anzufeiern, ist natürlich auch ein Weg, damit umzugehen. Geschichten aus der Ich-Perspektive, die den Alltag der Problemviertel mit Koks-Baggies und gewetzten Messern skizzieren, genauso. Lösungsansätze bleiben jedoch aus, und Chima sucht eben genau nach diesen. Er ist der einzige wirklich politische Rapper in unserer Runde, auch wenn er sich selbst nie so bezeichnen würde. Seine Kritik verpackt er nicht in analytische Schachtelsätze, sondern versucht durch Emotionen zu vermitteln. Denn die versteht jeder.
Kurz vor dem Interview wurde Chima selbst mit voller Wucht von der Emotion eines Idols getroffen. Mick Jenkins tritt in Berlin auf, predigt »Freedom for all people«. Chima sagt dort sichtlich beeindruckt: »Er ist gerade mein größter Einfluss.« Tatsächlich lassen sich Parallelen zu den melodiösen, von Gospel und Soul beeinflussten Rappern aus Chicago ziehen, die ihre Heimat nicht verrotten lassen wollen. Genau wie Jenkins oder Chance The Rapper arbeitet Chima mit der Varianz seiner Stimme. Manchmal brummen tiefe Basstöne aus seiner Kehle, verdichten sich zu einem wütenden Knurren, wenig später dreht sich die Stimmung um 180 Grad, und weicher Gesang erzeugt Wärme. »Mir ist einfach eine Dramaturgie in meiner Musik wichtig«, sagt er einige Tage später.
Wir treffen uns im Berliner Bezirk Wedding. Dort wohnt Chima derzeit noch mit seinem Vater und dessen Freundin in einer kleinen Wohnung. Es regnet in Strömen, und fast meint man, den melancholischen Gesang Chimas durch den Dunst zu hören. Denn der ist wie gemacht für solche Tage, an denen das Grau alles verschluckt und man zum Nachdenken kommt, weil es sich nicht lohnt, das Zimmer zu verlassen. »Ich finde, wir kümmern uns zu wenig um unsere Mitmenschen«, ist so ein Gedankengang, den Chima laut äußert, als wir schließlich in einer türkischen Bäckerei Unterschlupf finden. »Ich möchte mit meiner Musik inspirieren und einen Mehrwert für die Menschen schaffen. Jede andere Herangehensweise hat mich nur unzufrieden gemacht.«
Diese Einstellung musste sich erst entwickeln. Um 2011 machte Chima als Teil einer Gruppe namens CandySoundEntertainment noch Musik auf Englisch. Die klang wie eine aus der Zeit gefallene Form dessen, was in den Stripclubs zwischen Atlanta und New Orleans einige Jahre zuvor noch angesagt war. Simple Melodien, oft plumpe Reime: Gut war das nicht. »Ich wollte eine Zeitlang immer im Mittelpunkt stehen, irgendwann hat mich das angekotzt«, sagt Chima rückblickend. Doch schon damals kristallisierte sich heraus, dass gefühlvolle Songs seine Stärke sind. »24. November (Mama hörst du mich?)«, ebenfalls 2012 erschienen, widmete er seiner Mutter, die an Lungenkrebs starb, als er 14 Jahre alt war. »Ich schäme mich für all die Schachteln, weil nur sie der Grund sind, warum du tot bist«, ist eine der Lines, die die wichtigsten Motive in Chimas Musik auf den Punkt bringt: Verlust, Alleinsein, Reflexion.
Seitdem sind viele weitere Zigarettenschachteln in seinem Kellerstudio in Berlin Moabit verglüht. Dort steht Chima oft allein in einem dunklen Raum mit modrigem Geruch. Orangenes und blaues Neonlicht leiten den Weg, wie er erzählt. Dann macht er Musik. Einfach so, stundenlang und nur für sich, weil andere Menschen ihn ablenken würden. Wenn etwas nicht klappt, dann geht er zum Laptop und drückt erneut auf Record. Einen anderen Weg, Songs entstehen zu lassen, gebe es für ihn nicht. Im Keller wird er zum introvertierten Einzelgänger.
Dort reflektierte er seine Sucht 2015 auf dem Song »Nikotin«. »Weiß, es ist nur die Gewohnheit/Für die mir vermutlich nur früher Tod bleibt«, heißt es da – und das sitzt. Allgemeines Unwohlsein entfaltet sich auch, wenn die weiteren Tracks von Chimas erster richtiger EP mit dem unpassenden Titel »Lebenslust« ertönen. Denn lebensbejahend klingt anders. Trotzdem leitet sie eine euphorische Phase des Aufbruchs ein. Während man »Lebenslust« noch als Zwischenschritt abtun kann, schlagen die in diesem Jahr folgenden EPs »2023« und »Principium« richtige Wellen. Sie definieren den Chima, der er gerne sein möchte.
Während Erstere mit Brecher-Trap-Songs und energetischem Gesang die Clubtür eintritt, fängt letztere, komplett produziert von Ghanaian Stallion, die Grooves der Neunziger und unterschwellig die Rhythmik Westafrikas ein. Da liegen die Wurzeln der beiden. Und obwohl Chima noch nie dort war, scheint ihm Nigeria am Herzen zu liegen. Über sein Bett hat er sich die grün-weiße Nationalflagge gehängt.
Auch mit seinem größten Fürsprecher Megaloh einen ihn die gemeinsamen Wurzeln. Der nahm ihn in diesem Jahr mit auf seine Deutschlandtour und unterstützte ihn, wo es nur ging. Was die beiden außerdem verbindet, ist die Vorliebe für nachhaltige Musik. Während sich 2016 immer mehr audiovisuelle Momentaufnahmen, die von Kokain oder billigen Samsung-Klötzen handeln, zu hyperaktiven Hits verselbstständigen, wollen beide etwas schaffen, das auch abseits von Handylautsprechern auf Schulhöfen funktioniert. Chima ist die Antithese zur allgegenwärtigen Schnelligkeit. »Man sagt immer ‚Lebe im Moment‘, aber wir sind längst übersättigt. Es geht nur um Unterhaltung, Fastfood, bam, bam, bam.« Chima gestikuliert wild, als er das sagt, und schnipst zur Bestätigung mit den Fingern. »Wenn ich dir jetzt ein Michael-Jackson-Album vorspiele, fühlst du es immer noch. So was will ich machen: zeitlose Musik.«
Labels standen Schlange bei Chima, um mit ihm zusammen Musik zu verwirklichen, die nachhallt. Er lehnte dankend ab. Denn als er seinen verdutzten Brüdern eines Abends erklärte, wie viel Prozent man an wen abdrücken muss, folgte der (Kurz-)Schluss: »Wir machen alles selbst.« Seitdem ist Chima Ede ein Familienunternehmen, somit frei von jeglichen Pflichten des Major-Business. »Ich wollte nicht in irgendwelche Schablonen gepresst werden und veralteten Marketingstrukturen folgen«, erklärt Chima. »Allein Plakatwerbung: Wer achtet beim Autofahren heute noch darauf?«
An der fehlenden Plakatierung, so viel ist sicher, wird seine Karriere nicht scheitern. Dafür ist der Hunger zu spürbar, die Musik zu relevant. »Sobald ich alleine bin, brettern Emotionen aus mir heraus. Ich habe noch mindestens fünf Alben in mir«, sagt er wie zur Bestätigung. Dann verabschieden wir uns. In Chimas Hand verglüht eine Zigarette. ◘
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Foto: HEKS Sascha Haubold
Dieser Text erschien als Teil unserer #DeutschrapsZukunft Titelstory in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).