Childish Gambino: »Ich werde besser darin, ich selbst zu sein« // Interview

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Donald Glover ist einer dieser Typen, denen alles zuzufliegen scheint. Kurz nachdem ihm 2009 der »Writers Guild of America«-Award für seine Arbeit als Drehbuchautor bei »30 Rock« verliehen wird, schmeißt er hin. Anstatt sich anschließend auf einen Beruf zu konzentrieren, wandert der mittlerweile 30-Jährige in den vergangenen Jahren zu Zwecken des Broterwerbs konstant auf mehreren Karrierepfaden: Schauspielerei in Hollywood, Stand-up-Comedy in den großen Hallen des Landes und ein nicht minder erfolgreiches Rapper-Dasein als Childish Gambino. Karriereleiter? Glover sieht seinen Lebenslauf als Kletterwand – er selbst ist Spiderman. Sicherung? Kein Bedarf. Fallhöhe? Wen kümmert’s?

Irgendwie ist mir dieser Kerl mit den tausend Talenten unheimlich. Und so nagt das Gefühl an meinem Selbst­bewusstsein, nicht ausreichend auf unser ­bevorstehendes Gespräch vorbereitet zu sein, als ich die Londoner Dependance von Glassnote Records betrete. Sowieso hat Gambino anscheinend wenig Lust: Den Nachtflug aus Übersee lässt er sausen, er und seine Jungs kommen schließlich erst einen halben Tag später in Heathrow an. Somit platzt die Hälfte des Pressetages, ein halbes Dutzend Journalisten, angereist aus ganz Europa, fährt ohne Interview wieder nach Hause. Auch das eigens in der Edelabsteige am Hyde Park gebuchte Zimmer bleibt ungenutzt. Stattdessen stapfe ich durch das Treppenhaus eines wenig glamourösen Bürogebäudes in den sechsten Stock, weil der Lift den Geist aufgegeben hat. Eine gute halbe Stunde später ist es dann soweit: Die Audienz mit Glover beginnt. Eigentlich ein ­stinknormaler Termin anlässlich »Because The ­Internet«, Gambinos zweitem Studioalbum. ­Eigentlich.

Sollen wir direkt anfangen?
Klar. Ich gehe sowieso davon aus, dass das Ding (zeigt auf das Diktiergerät) immer läuft. Wie geht’s dir? Du wirkst nervös.

Ja, ein wenig schon. Interviews mit Rappern sind normalerweise einfach, weil es primär um ihre Musik geht. Du bist aber nicht nur Musiker. Ich erreichte während meiner Recherche nie den Punkt, an dem ich mit meinen Fragen zufrieden war.
Unterhalten wir uns doch einfach. Ich hasse Interviews. Ich glaube, dass die Formel, nach der so etwas in der ­Regel ­stattfindet, sowieso nicht mehr ­funktioniert. Die meisten Interviews leben im Internet bis in alle Ewigkeit weiter. Und das führt im Endeffekt dazu, dass man derselben Person dabei zusieht, wie sie wieder und wieder dasselbe erzählt. Und damit habe ich ein Problem.

Du willst kein Papagei sein, der sich die ganze Zeit wiederholt?
Meiner Meinung nach ist es nie so gut, etwas zu erzählen, wie etwas zu tun. Wenn ich darüber spreche, fühlt sich das eben nur an, als würde ich einen Haufen Worte von mir geben. Ich mag es sehr, ­Menschen aus unterschiedlichen Orten kennenzulernen. Es gibt also keinen Grund, nervös zu sein. Lass uns einfach reden. Ich will einfach nur wissen, was dir gefällt. Das, was du hier machst: Ist es das, was du mit deinem Leben machen wolltest?

Ja (Pause). Das ist eine verdammt schwierige Frage.
Aber eine verdammt wichtige Frage. Eine Frage, die man sich stellen sollte.

Ich bin recht lange einem langweiligen ­Bürojob nachgegangen. Irgendwann hat mich das so genervt, dass ich mein ­Erspartes zusammengekratzt und ein Praktikum bei dem Magazin angefangen habe, für das ich jetzt schreibe.
Verstehe. Und wieso hast du dich für diesen Job entschieden?

Weil ich HipHop liebe.
Was sind ein paar deiner Lieblingsalben?

»Reasonable Doubt« und »Enter The Wu-Tang (36 Chambers)« zum Beispiel. Wir sind gleich alt, ich gehe mal davon aus, dass du damals auch dieselben Sachen gehört hast.

Es folgt ein kleiner Ausflug in unsere gemeinsame musikalische Sozialisation. Gambino scheint sich wirklich dafür zu interessieren, welche Rap-Alben Mitte der Neunziger in Europa ankamen. Promo für sein Album zu machen, kommt ihm jedoch nicht in den Sinn. Über unsere Liebe zu Wu-Tang kommen wir auf seinen Namen zu sprechen. Ich erkläre, dass ich mir seine Musik anfangs nicht angehört habe, davon ausgehend, dass es sich bei ihm um einen langweiligen Wu-Affiliate handle, der aus unerfindlichen Gründen Publicity bekomme. Er lacht, gesteht aber gleichzeitig, dass es ihm heute Angst macht, wie viele Leute ihn als Childish Gambino kennen. Der Name wäre schließlich ein Versehen.

Du hast ja inzwischen auch Tracks mit RZA und Ghostface gemacht. Was haben die beiden zu deinem Namen gesagt?
RZA wusste, dass er aus einem Namensgenerator stammt. Er meinte: »Das passt perfekt zu dir. Du hast etwas Kindisches an dir, aber du kannst auch ernst sein. Der Computer hatte anscheinend ein Hirn.« Und Ghostface kannte mich schon. Wieso und woher, das weiß ich nicht. Er meinte einfach nur: »I see you, kid.« Aber ich ­hatte das Gefühl, dass keiner der beiden dem Namen besonders viel Bedeutung beimisst oder nicht darauf klarkäme.

Du bist vor kurzem 30 geworden. Fühlst du dich langsam erwachsen?
Ich werde besser darin, ich selbst zu sein. Keine Ahnung, ob ich mich erwachsen fühle. Ich habe keinerlei Verantwortung. Abgesehen davon, dass ich mich der Erde und der Menschheit gegenüber ver­antwortlich fühle. Aber das ist ja seit jeher so. Ich habe keine Ahnung, was einen Erwachsenen ausmacht. Weißt du das?

Nein, keine Ahnung. Aber was hast du in deinen Zwanzigern gelernt?
(lacht) Ich weiß nicht, ob ich irgendwas ­gelernt habe. Ich wurde einfach nur in ­vielen Dingen besser. Ich wurde ­besser darin, zu verstehen, dass ich nichts verstehe. Mein Vater meinte zu mir, dass seine Ehe ab dem Zeitpunkt wesentlich einfacher wurde, an dem er wusste, wie man loslässt. Im Leben geht es primär darum, das Loszulassen zu lernen.

Das kommt mir aber ein bisschen komisch vor. Du hast in allen Bereichen deiner Karriere bisher große Erfolge gefeiert. Und ich gehe davon aus, dass du dafür sehr hart gearbeitet hast. Wie lässt sich das mit dem Konzept des Loslassens vereinbaren?
Loszulassen bedeutet ja nicht, dass ich faul bin. Ich liebe es zu arbeiten und etwas zu erschaffen. Aber ich möchte nicht für jemand anderen arbeiten. Wenn man ­etwas Eigenes erschafft, ist das etwas sehr Persönliches, ein Abbild seiner selbst. Und das bedeutet automatisch, dass man das Bestmögliche rausholen will. Man muss aber auch zum richtigen Zeitpunkt aufhören. Zu lange am selben Projekt zu arbeiten, macht einen verrückt. Und wenn ich vom Loslassen spreche, dann beziehe ich mich nicht nur auf Projekte, sondern auch auf Beziehungen oder Ideen, die man bezüglich der eigenen Zukunft hatte. Man sollte sich von seinen großen Plänen lösen und die Zukunft einfach auf sich ­zukommen lassen.

Jetzt komme ich mir blöd vor, wenn ich einfach die nächste aufgeschriebene Frage stelle, wo wir über so deepes Zeug reden.
Ist das deep? Solche Gedanken zu haben ist mittlerweile erlaubt. Das sind keine neuen Gedanken. Es gab schon Menschen vor uns, die sich das überlegt haben. Aber wir haben heute mehr Zeit, also können wir das machen. So etwas zu ergründen, sollte zum Leben dazugehören. Man sollte nicht einfach nur zur Arbeit gehen. Es gibt Möglichkeiten, seine Zeit sinnvoll zu nutzen und nicht nur einfach aufs Sterben zu warten.

Ich meinte »deep« in dem Sinne, dass wir jetzt über das Leben an sich sprechen und nicht über dein neues Album oder deine Karriere als Comedian und Schauspieler.
All diese Strukturen sind doch veraltet. Wenn ich die Welt regieren würde, würde ich Leute dazu auffordern, jeden einzelnen Beruf unter die Lupe zu nehmen und auf dessen Notwendigkeit zu überprüfen. Jetzt, wo es das Internet gibt, müssen wir uns fragen, wie das alles funktioniert. Und niemand macht das. Alle kämpfen mit aller Macht dafür, dass alles gleich bleibt. Ich habe seit zehn Jahren kein Geld mehr für ein Album bezahlt. Wieso tun wir noch so, als würden die Menschen Alben kaufen? Menschen kaufen Marken. Die Kids, die Macklemores Album gekauft haben, hätten das nicht tun müssen. Sie besaßen es doch längst – umsonst. Aber sie haben das Album gekauft, weil sie Macklemore mögen und der Meinung sind, dass er sie als Person repräsentiert.

Wenn du das so siehst und in der Lage bist, das bestehende System zu dekonstruieren, wirst du das dann zu deinem Vorteil nutzen?
Ein Stück weit, ja. Aber ich kann nicht alles kontrollieren. Wenn man das zum Beispiel auf meine Plattenfirma bezieht: Die Leute, die dort das Sagen haben, haben eben das Sagen.

Und die sind dann auch in den veralteten Strukturen gefangen.
Genau. Aber manche Leute entschließen sich einfach dazu, etwas Neues, ­Besseres zu machen. Zum Beispiel Blumhouse [Filmproduktionsfirma, Anm. d. Verf.], die machen diese ganzen Horrorfilme mit 3-Millionen-Dollar-Budget. Und so ein Film spielt dann 180 Millionen ein. Ich habe auch in einem dieser Filme mit­gespielt. Deren Struktur funktioniert. Anstatt dass sie 200 Millionen ausgeben, in der Hoffnung, 300 Millionen zu verdienen, ­machen sie es einfach mit wenigen Mitteln. Schlimmstenfalls haben sie drei Millionen in den Sand gesetzt, wenn sich den Film keiner anschaut. Die Veränderung muss von den Leuten ausgehen, die das Sagen haben. Oder diese Leute müssen einfach sterben.

Würdest du sagen, dass die Vermarktungsstrategien, die Jay Z und Kanye dieses Jahr angewandt haben, innovativ waren?
Ja, auf gewisse Weise schon. Beide sind Querdenker, die permanent über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Beide verstehen das Business, vor allem Jay. Er sagt ja, glaube ich (verstellt seine Stimme): »These are the new rules«. Er macht seine Kohle.

Es gehört sicherlich auch dazu, dass er sich nur einmal im Jahr bei Twitter einloggt und dann »#newrules« twittert und jeder ­darüber spricht. Wie nutzt du Social Media?
Ich twittere auch manchmal.

Okay, das ist die einfache Antwort. Gibt es eine Philosophie hinter dem, was du auf Instagram oder Twitter teilst?
Ich will einfach, dass die Leute ein echtes Leben leben. Ich will, dass sie begreifen, was wirklich ist und was nicht. Das ist heute schwer geworden. Dein ganzes Leben wird online kuratiert. Ich will den Leuten durch mein Dasein zeigen, was echtes Leben ist. Online gibt es so viel Fakeness.

Der Albumtitel lautet ja »Because The ­Internet«. So wie ich es verstanden habe, bezieht sich das auch darauf, dass man online dieses falsche Image von sich selbst aufbaut.
Hast du das Album denn schon gehört?

Nein, nur drei Songs. Würde ich es denn verstehen, wenn ich es gehört hätte?
Keine Ahnung. Darum geht es auch nicht. Ich mache keine Alben, auf die es richtige Antworten gibt. Ich will nicht, dass es ­jemanden gibt, der sagt: Es geht um ­dieses und jenes. Außerdem, wieso muss ich das ständig allen erklären? Die Leute wollen immer die Antwort auf alles haben. Es gibt keine Antworten. Es gibt kein richtig.

Ich kann mir vorstellen, dass dich viele Leute in deinem Leben vor drastischen Veränderungen gewarnt haben. Auf deinem ersten Album sprichst du zum Beispiel von deiner Mutter, die nicht wollte, dass du als Drehbuchautor bei »30 Rock« aufhörst.
Ach, das ist nur Mom-Shit. Das war kein großes Ding. Mom hat sich nur Sorgen gemacht. Um nichts. Sie will nur, dass es allen gut geht. Jeder braucht einen Job und was zu essen. Aber eigentlich ist das albern, denn im Endeffekt gehen wir alle an denselben Ort. Es ist also töricht zu sagen, wenn ich dies oder jenes tue, dann bewege ich mich langsamer auf diesen Ort zu. Es führt alles zum selben Resultat. Wieso sollte man sich also Sorgen darum machen? Man hat sowieso keine Kontrolle darüber. Hab einfach Spaß.

Bedeutet das also, dass du an Schicksal glaubst?
Nein, ich glaube überhaupt nicht an Schicksal.

Aber wenn du sagst, man hat keine Kontrolle und sollte Dinge einfach passieren lassen, was meinst du dann?
Man kann schon gewisse Dinge ­kontrollieren. Du kannst einen Becher vom Tisch fallen lassen. Vielleicht hat das einen Effekt auf die Dinge, vielleicht nicht. Aber es gibt nichts, was Schicksal ist. Es gibt nichts, was passieren muss. Ich glaube daran, dass Dinge einfach passieren. Es gibt kein: »Er war bestimmt, dies zu tun« oder »Es war Schicksal, dass wir uns getroffen haben«. Nein, das war Glück oder Zufall. Obwohl, Glück? Glück würde man es nur nennen, wenn etwas Gutes dabei ­herauskommt. Wenn das Ergebnis schlecht ist, nennt man es Karma oder so. Dinge passieren einfach.

Hast du viele Philosophen gelesen? Ich ­versuche zu verstehen, woher diese Gedanken kommen.
Ja, ich beschäftige mich gerade in der Tat mit Philosophie. Ich lese Kierkegaard [dänischer Philosoph und Schriftsteller, Anm. d. Verf.]. Der ist wirklich interessant. Aber diese Gedanken, über die wir heute geredet haben, sind in uns allen.

Aber die Gesellschaft hat uns wohl dazu konditioniert, nicht über derartige Themen nachzudenken.
Es ist viel einfacher, Menschen zu ­kontrollieren, wenn sie sich nicht mit ­Dingen auseinander­setzen. Wenn jeder sein Leben so leben ­würde, würde wahr­scheinlich nichts fertig werden. Es sei denn, jemand will wirklich mit etwas fertig werden. Das, was Leute antreibt, ist Leidenschaft. Aktuell ist unsere Gesellschaft um das Geld herum gebaut. Du machst ­deinen Job, um Geld zu verdienen. Obwohl, du hast ja gerade erst einen Job gekündigt.

Genau. Ich mache jetzt diesen Job, weil er mir Spaß macht.
Und deinen vorherigen Job hast du wahrscheinlich auch nicht supergut gemacht, weil es nicht von Herzen kam, dort zu arbeiten. Fam [Childishs ­Manager, Anm. d. Verf.] arbeitet mit mir zusammen, weil er es liebt. Und ich mache genauso einen guten Job wie er, weil auch ich liebe, was ich tue und ihn glücklich machen will. Leute, die etwas aus Überzeugung machen, liefern ­bessere Ergebnisse. Und wir werden in Zukunft nicht mehr so viele Sweatshop-Arbeiter benötigen. ­Diese Jobs ­werden alle von Computern übernommen. Also müssen wir ­anfangen darüber ­nachzudenken, was unsere ­Leidenschaften sind. Das ist die neue Struktur. Die alte Struktur basiert nur darauf, dass man immer mehr liefert. So gewinnt man nichts. Und für viele Leute bedeutet diese Lebensart nur Trauer und Leid.

Wie lange, glaubst du, braucht es, bis die Gesellschaft als Ganzes das verstehen wird?
Das ist wirklich sehr schwer zu ­sagen. Jeder, der Großartiges erschaffen hat, hat versucht, den Leuten das zu ­verdeutlichen.

Fotos: Presse/Autumn de Wilde

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