»Samples mit politischer Message zu cutten, ist Murks« // Bluestaeb im Interview

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»Der Prozess« ist eine beliebte Künstlervokabel. Schon griechische Philosophen hatten die Vorstellung, dass sich Realität besser durch ein unendliches Werden beschreiben lässt als durch ein statisches Sein. Ein industrialisiertes Kulturprodukt hat jedoch oft einen Abgabetermin. Weil der Prozess aber für den Bezug eines Künstlers zu seinem Werk so viel Bedeutung trägt, wird er manchmal im Produkt reflektiert. Wie bei Bluestaeb.

Der hat sein neues Album »Everything Is Always A Process« getauft. Der ehemalige Figub-Brazlevič-Protegé, der zwischen Berlin, Paris und London zu Hause ist, feiert damit sein drittes Release mit dem Qualitätssiegel Jakarta Records – und seine endgültige Emanzipation vom Beatmaker zum Musikproduzenten.

Wieso ist es dir im Zeitalter von Playlist-Alben und Soundcloud ­wichtig, ein ­stringentes Album zu produzieren und an Tag x zu veröffentlichen?
Das Album ist ein Sammelsurium von Schnappschüssen aus meinem Prozess und im Sound weniger stringent als seine Vorgänger. Stringent ist aber das Konzept, eine Zeitspanne abzubilden. Als ­Produzent ist Stringenz wichtig, um mit Sounds eine Story zu erzählen. So ein Beat-Tape könnte ich jeden Tag im Internet hochladen. Ein Album, dem ich anmerke, dass eine Story dahintersteckt, ist dagegen die Art von Output, die ich mir auch von anderen Produzenten gerne anhöre.

Man könnte widersprüchlich finden, dass der Prozess offengelegt und ausgestellt werden soll, trotzdem aber ein Album entsteht. Über zeitgemäße Release-Strategien sagt man, dass sie besonders unmittelbar und prozesshaft sind, weil zwischen dem künstlerischen Impuls und der Veröffentlichung wenig Zeit liegt.
Wer sich für meine Musik interessiert und auch alte Beats von mir kennt, wird checken, was ich mit »Prozess« meine. Ich schlage musikalisch neue Richtungen ein. Die Reise geht weiter. Der Albumstempel ist daher in der Tat etwas inkonsequent. Aber wenn ich warten würde, bis ich mich am Ende eines Prozesses fühle, wäre die Hälfte der Songs schon wieder weggefallen. Deshalb finde ich es spannender, das jetzt mit der Welt zu teilen.

Kann am Ende einer Albumproduktion jemals etwas stehen, das ein definitives künstlerisches Statement ist und nicht nur ein Schritt auf einer Reise?
Wenn man sich zwei Wochen mit einem anderen Künstler im Studio einschließt und durchzieht, war der Prozess eher, dass man sich dazu überhaupt entschieden hat. Es gibt richtige Alben und andere, die eher eine Reise sind. Ein prozesshaftes Album nach Kanye-Vorbild finde ich aber auch absurd. Man muss nicht einmal Künstler sein, um festzustellen, dass man manche Dinge zwei Wochen später schon anders entschieden hätte.

Auf dem neuen Album finden sich vermehrt Parts, die nach Live-Jam klingen. Hast du viel analog gearbeitet?
Das ist das, was meinen musikalischen Prozess abbildet. Es gibt auch Sample-Beats, unheimlich viel ist aber nicht in meinem Schlafzimmer am Computer entstanden. Für mich ist es deshalb auch kein Beat-Album. Ich habe Sessions veranstaltet, und wir haben zusammen Musik gemacht.

Ist das der Moment, in dem man vom Beatmaker zum Produzenten wird?
Ich will das klassische Beatmaking gar nicht abwerten – ich mache das ja auch noch. In diesen Sessions steckte aber mehr Musikalität als im Choppen eines Samples. Für viele Tracks habe ich die Hi-Hats und Snares live eingespielt, auch wenn man das gar nicht so deutlich hört. Das hat unheimlich Spaß gemacht, weil ich das erste Mal seit langem das Gefühl hatte, richtig aktiv Mucke zu machen. Es war mir wichtig, körperlich an einem Drumset zu sitzen und nicht nur die Maus zu klicken.

Kannst du das Ziel deiner Reise schon beschreiben?
Meine Reise führt wahrscheinlich an einen Punkt, der dem Begriff Multi-Instrumentalist nahekommt. Da ich keinerlei musikalische Grundausbildung habe, könnte das ein langer Prozess werden. Außerdem muss die Drum-Section interessanter werden. Ich habe früher Dabuka gespielt, eine arabische Trommel. Dass ich diesen rhythmischen Hintergrund so lange nicht genutzt habe, nachdem ich zum Beatmaking kam, ist eine Schande. Diese Dilla-sozialisierten Beats swingen zwar, aber die habe ich oft genug gemacht.

Auf deinem letzten Release, dem Kollabo-Album »Lost In Translation« mit Juju Rogers, ging es explizit um rassis­tische und populistische Tendenzen in der Weltpolitik. Seitdem hat sich die Lage noch verschlimmert. Ist es überhaupt möglich, auch ohne einen Rapper und die vielen Silben, die dieser zur Verfügung hat, politische Musik zu machen?
Das Album mit Juju stellte für mich die erste Möglichkeit dar, dieses Bedürfnis auch als Produzent auszuleben. »Everything Is Always A Process« ist bewusst unpoli­tisch, eher ein Feel-Good-Album. Das nochmal zu machen, kann ich mir nur vorstellen, wenn ich es auch mit meinen eigenen Vocals tragen kann. Samples mit politischer Message zu cutten, ist Murks.

»In diesen Sessions steckt mehr Musikalität als im Choppen eines Samples.«(Bluestaeb)

Kann Musik an sich nicht auch ein ­Politikum sein?
Alles, was bei Jakarta erscheint, ist in dem Sinne politisch, dass sich die Künstler dort viele Gedanken über ihre Musik und ihre Position in der Gesellschaft machen. Selbst wenn das auf einem Album nicht explizit ausgedrückt wird: Wir alle ver­suchen, nachhaltige Musik zu machen, und es passiert viel Reflexion, die von aktiven Jakarta-­Followern auch wahrgenommen wird. Manche hören es sicher auch nur für die Mucke. Und das ist auch okay.

Da schließt sich der Kreis: Es ist das ewige Leid des Künstlers, sich über viele Details Gedanken zu machen, die der Rezipient am Ende nicht wahrnehmen wird. Denn dieser sieht ein fertiges Gesamtprodukt, das ihm gefällt oder nicht – aufgrund von Details, die er oft schwer benennen kann und die sich nicht einmal decken müssen mit dem, was der Künstler ganz bewusst eingesetzt hat. Den Prozess hörbar zu machen, ist schwer. Wer bei Bluestaebs neuem Album genau hinhört, kann ihn aber erahnen.

Dieses Feature erschien zu erst in JUICE #187. Back-Issues können versandkostenfrei im Shop nachbestellt werden.

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