Beatbox – Panorama auf die deutsche Beat-Szene // Kolumne

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Oft erleben ewiggestrige Holzköpfe den Vorwurf, HipHop und überhaupt elektronisch programmierte Musik würde per Knopfdruck ohne kreatives Zutun der Erschaffer entstehen. Nun braucht man nicht unbedingt gleich das folgenschwere Gegenargument herauszukramen, dass auch angeblich »richtige« Musiker (also die mit Instrumenten im Proberaum oder auf der Bühne) längst technische Hilfsmittel wie Loop-Stations oder Pre-Sets in ihre Songs einbauen, um Zeit zu sparen und effizienter zu werden. Man muss sich nur mal in der aktuellen Beat-Landschaft umsehen, um zu bemerken, dass die Produktion eines HipHop-Beats dann doch mehr ist, als nur eine vorgefertigte Drum-Abfolge mit einem herausgeschnittenen Melodieabsatz zusammenzubringen. So einfach ist es nämlich nicht.

Von derlei Vorbehalten dürfte duan wasi ein sprichwörtliches Lied singen können. Als Gründungsmitglied der legendären Kolchose streut der Stuttgarter seit Mitte der Neunziger Soundschnipsel über Drumbreaks und hat neben Alben seiner Band Massive Töne auch Instrumentals auf Afrobs Klassiker »Rolle mit HipHop« oder bei den Spezializtz platziert. Wie schon 2016 bei »Lost Beats Instrumentals« kramte Wasilicious für seinen zweiten Beat-Release »Loop Routines« nun abermals in seinen Archiven und hat als Konzept um eine Autofahrt eine musikalische Rundreise kompiliert. Samtweiche Jazz-Pianos, schlaksige Funk-Gitarren und meditative Synthesizer stapeln sich im Mixdown aus Maschinen wie der EMU SP1200 auf unaufgeregtes Drumplay, das Showbiz mehr schuldet als Metro Boomin. Mit der Kick und Snare in der Golden Era verliert sich das detailreiche Arrangement allerdings nicht in überzogener Loop-Nostalgie oder beiläufigem Kaffeefahrt-Soul, sondern installiert sich als eigener Ansatz zum, nun ja, »Cruisen«. Es gibt keine Epochen, nur Stile.

Ähnlich reduziert hält es Alchemist, der einst erklärte, die Magie eines Beats liege nicht im Aufwand der Produktion, sondern in der Musikalität. Seine »Bread EP« jubelt daher rudimentären Percussion-Pattern teilweise derart ignorant und raw Elemente aus Soul, Blues-, oder Prog-Rock unter, dass dem ungeschulten Gehör die Eigenleistung dieser Montagetechnik nicht direkt ins Auge springt. Doch gerade weil sich ALC von derartigen Vorstellungen freimacht und auch Kumpels wie Roc Marciano, Black Thought und Earl Sweatshirt über seine No-Drum-Loops philosophieren lässt, destilliert sich binnen der 25-minütigen Spielzeit ein höchstkreativer Ritt durch die DNA der Beat-Produktion heraus. Da bleibt ein Loop auch mal unbearbeitet – denn der Zauber liegt eben manchmal nicht im Effektgerät, sondern im Mantra der Schleife.

Vielleicht nicht konträr, aber durchaus breiter instrumentiert stellen sich Joe Corfield & Slim auf »KO-OP 2« vor die Musikmaschinen. Auch hier regiert der Loop die Grundstimmung, gerade auf der A-Seite, die Joe dafür nutzt, klassizistische Drum-Arrangements um zahlreiche Melodieimpulse zu dirigieren. Seine relaxten Fusion-Fundamente werden Takt für Takt um fast Herbie Hancock’sche Synthie- oder Soli-Exkurse ergänzt, dass sich jede Anspielstation zu einem mehrköpfigen Kanon zusammenloopt. Da bricht eine sensitiv übersteuerte Bassline das zuckersüße Pianomotiv, wenn nicht gerade eine behutsame Akustikgitarre um sphärische Elektroflöten geschnallt wird. Irgendwo zwischen Dilla’esker Leichtigkeit, Q-Tip’scher Universalität und Pete Rock’scher Jazzyness siedelt sich der Brite im Zwischenraum der Dekaden an. Kollege Slim, ebenfalls aus dem Vereinigten Königreich, durchstreift seine erbauten Riddim-Strukturen auf der zweiten Seite sogar noch gemächlicher. Crescendo-artig schieben sich melancholische Blues-Sonetten oder spirituelles Freigeistgezupfe unter bauchiges Holzhammer-Bumm­tschack, das immer wieder von träumerischen oder gar psychedelischen Streich- oder Bläsersätzen entführt wird. Ein Orchester aus der Maschine.

Neben seinen eigenen Ergüssen tritt Alphamob auch weiterhin als Multiplikator in Erscheinung. Für seinen Tape-Release »Screwed Oceans 2« rief er abermals ganze 21 Producer zusammen, die jenem Memphis-beeinflusstem Produktionsstil huldigen, der seit einigen Jahren als »Phonk« durchs www geistert. Da werden schmalzige Neunziger-R’n’B-Flips, käsiger Eighties-Pop, aber auch klassische Soul-Crates auf brachiale Drumcomputer-Sets gejagt, die sich ästhetisch mehr an »Mystik Stylez« oder »Mysterious Phonk« orientieren, als den nächstbesten Ronny-J-Rip-Off anzustreben. Oft bewusst dilettantisch in Ton und Aufbau, bestechen die Beats von Leuten wie DJ Smokey 666, Babylon Mayne Roland Jones oder Donvtello durch eine charismatische Lo-Fi-Sexyness, die gleichsam als Erinnerung herhalten kann, HipHop als Sampling-Kultur zu verstehen, aber auch genau jenen Vorwürfen angeblich »richtiger« Musiker mit einem Mittelfinger auf dem Triggerpad entgegenzuschlagen. Anarchie ist die Mutter des Breaks.

Diese Kolumne erschein erstmals in JUICE #190. Back-Issues können versandkostenfrei im Shop nachbestellt werden.

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