Die Beastie Boys haben es geschafft. Das Raum-Zeit-Kontinuum hat vor der sturen Power der originalen B-Boy Stance ebenso kapituliert wie tödliche Krankheiten und Genregrenzen. Die Post-Postmoderne und ihre Ästhetik haben final obsiegt. Es gibt keine Vergangenheit mehr, Begriffe wie Freshness, Vintage oder Fortschritt sind mit sofortiger Wirkung als wertlos zu betrachten. HipHop ist wieder Pose und die Frage, wie man als Rapper überhaupt würdevoll altert, auf immer und ewig beantwortet: Indem man eben gar nicht altert. Was passiert denn hier? Einmal zurückspulen, bitte.
Draußen scheint offensichtlich die Sonne. Zwei vollständig ergraute Herren im Freizeitlook, der eine kahlrasiert im kurzärmeligen Hemd, der andere, etwas jünger wirkende, unrasiert im grauen Shirt, sitzen vor einem Mischpult und blödeln verlegen in die Kamera. »Ich möchte anmerken, dass mir nicht gesagt wurde, warum ich hier runter kommen soll. Also, das hier ist ein Fake-Bart und mein Fake-Look, ich war eigentlich sehr hübsch angezogen…« »Das ist der Look für deine andere Band, dieses Country-Kenny-Rogers-Ding, da passt der Bart doch gut.« »Ja, ich bin da was am Planen…« »Und das ist das Gute, du hast jetzt die Zeit, dich um so was zu kümmern.« »Stimmt, vielen Dank auch für die Gelegenheit!« Als die Diagnose Ohrspeicheldrüsenkrebs über Adam »MCA« Yauch hereinbricht, handelt er wie jeder aufrecht überforderte Mensch: Er reißt kindische Witze und lädt mit seinem besten Freund ein Video bei YouTube hoch. Die knapp drei Minuten nutzt MCA, um sich persönlich für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, die er seinen Fans und all denen bereitet, die ihre Terminplaner nach der anstehenden Tour ausgerichtet haben. Das ist natürlich absurd und wirkt genau deshalb bei niemandem so authentisch bedrückend wie bei den ewigen Klassenclowns der True School.
Beastie Boys – Make Some Noise von EMI_Music
Nur wenige Wochen, bevor das Video im Sommer 2009 auf der offiziellen Beastie Boys-Website erscheint, sind MCA, Mike D und Ad-Rock überraschend für ein paar Promotermine über den Teich geflogen worden. Irrsinnigerweise hat man sich damals wie heute von Labelseite darauf verständigt, gerade bei dem einen Album, bei dem Überraschungen und Weiterentwicklung schon überhaupt keine Faktoren mehr darstellen, im Vorfeld niemanden so wirklich teilhaben zu lassen. Ähnlich den bewährten Reimstafetten der Beasties bediente man sich promotechnisch bei Methoden des vorigen Jahrhunderts und lud ein paar wenige Auserwählte zum selektiven Vorhören ins Hotelzimmer. Mit den Kollegen von der »Intro« wird noch gemeinsam Schwäbisch gekocht, dann wird es lange still um das Projekt »Hot Sauce Committee Part I«.
Wenn man ehrlich ist, hat man die halbherzige Ankündigung von »Hot Sauce Committee Part I« schon wieder vergessen, als im Frühjahr 2011 die ersten Infos zum tatsächlichen Release durchsickern. Der Albumtitel hat mittlerweile den Appendix »Two« bekommen, das Cover zeigt entweder die Pop-Art-Version eines Rorschachtests oder einen zu bunt geratenen QR-Code – bloß zu hören gibt es wieder nichts. Die Heimlichtuerei mit präparierten MP3-Playern im Hotelzimmer für ein paar wenige Pressevertreter wird erneut durchgezogen, statt neuen Interviewterminen soll die Journaille doch bitte auf das überholte Material aus der 2009er Rutsche oder ein einziges generisches Gespräch aus der Plattenfirmenzentrale zurückgreifen. So ist es abermals ein YouTube-Video, dass für flächendeckendes Hufgescharre von Brooklyn bis Burma sorgt. Der zweiminütige Trailer zum nebulös als »Kurzfilm« angekündigten »Fight For Your Right – Revisited« bündelt so viel Starpower, dass man sich verwundert die Augen reibt. Entweder ist es das jetzt gewesen und von Susan Sarandon bis Will Ferrell hatte jeder lustige New Yorker genau anderthalb Minuten Zeit, sich abfilmen zu lassen, oder aber wir bewegen uns hier auf Kanye West-Level plus X.
Der große Unterschied zwischen »Runaway« und »FFYRR« liegt wiederum darin, dass hier nicht der schiere Größenwahn, sondern die Freiheit unbegrenzter Möglichkeiten Regie geführt hat. New York hearts Beastie Boys und in die Adressbücher der größten (Comedy-)Filmstars ist nicht nur Ad-Rock (als Sohn des Dramatikers Israel Horovitz) gewissermaßen hineingeboren. Die Story zum Film ist recht schnell erzählt: Seth Rogen, Danny Bride und Elijah Wood verlassen als Mike D, MCA und Ad-Rock die in »Fight For Your Right« zerlegte Party. Im Hausflur treffen sie auf Susan Sarandon und Stanley Tucci, die ihnen erklären, dass sie ihr Appartement tunlichst ohne Tortenflecken vorzufinden wünschen. Man versichert, dass von Torten und Vorschlaghämmern zwar die Rede gewesen sei, aber sicher nicht in einem »Zerschmetterungskontext«. Danach klauen die Lausbuben Bier, bespritzen damit ebenfalls milionenschwer besetzte Statisten, werden überfahren, von Glam-Goth-Chicks abgestochen und treffen schließlich auf ihre Alter Egos aus der Zukunft (Will Ferrell, Jack Black und John C. Reilly) zum »Oldschool-throwdown-dance-contest-from-the-future«, an dessen kathartischem Höhepunkt sich alle Beteiligten gegenseitig anpissen. Und Vorhang.
Beastie Boys – Sabotage von hushhush112
Mehr noch als jeder Song, jedes musikalische Lebenszeichen, untermauert der halbstündige Kindergeburtstag New Yorker A-Klasse-Verdiener dabei den Stellenwert, den die Beastie Boys sich in den letzten 25 Jahren erspielt haben. Da wäre zunächst einmal die Tatsache, dass die wirklich wahren Hipster-Rapper in keinem weiteren Referenzraum mehr außerhalb ihrer selbst stattfinden müssen. Die Beastie Boys sprechen über sich und ihre Karriere, diskutieren mit ihren eigenen Zukunftsparodien über ein Vierteljahrhundert Popkultur, das irgendwie immer wieder zu denselben Wegmarken zurückgefunden hat. Irgendwo dazwischen sind Mike D, MCA und Ad-Rock für New York so ikonisch geworden wie der Naked Cowboy, Woody Allen oder der Madison Square Garden (von dessen Mitte aus das neue Album per Boombox und Live-
Stream exklusiv in den Äther befördert wurde). Und wenn ein schwer kranker Beastie Boy Regie führen möchte, will nicht nur jeder dabei sein, es will auch wirklich jeder instinktiv gut finden. Das Tollste daran: Man darf, uneingeschränkt und ohne Vorbehalt. Film wie Album, unendlicher Spaß.
Ähnliche Reaktionsmuster findet man auch diesseits des Teichs, als nach unvermeidlichem Leak dann doch das gesamte Album auf der Bandseite vorgehört werden kann. Die Beasties sind ein Mainstream-Thema, über das sich von »Spiegel« bis »FAZ« kein Mensch kritisch äußern würde. Das mag daran liegen, dass ein nicht unerheblicher Anteil deutscher Feuilletonisten vermutlich zu »Licensed To Ill« Backspins und Bodenwellen geübt hat, gleichermaßen ist nichts so zeitgemäß wie auf den Punkt gebrachte Nostalgie. »So Whatcha Want« hätte auf »Hot Sauce Committee Part Two« seinen Platz, genauso wie »Sure Shot«, »Tough Guy« oder »B-Boy Boullabaisse«. Die Produktion ist etwas crisper und die Hardcore-Kante bleibt erhalten durch überlaute Breakbeats und Synthie-Geplärre mit stark verzerrtem Rappity-Rap. Überhaupt, die Raps – so sehr man den Schritt zum gediegenen Instru-Muckertum von »The Mix-Up« noch als logisch empfand, so sehr freut man sich wieder über die starren Trademark-Zeilen aus den Kehlen der originalen B-Boys.
»We got a party on the left, a party on the right, we gotta party for our motherfuckin’ right to fight«, so klingt selbstironische Spielfreude, von der sich selbst Nas auf dem schon länger im Netz geisternden »Too Many Rappers« anstecken lässt. Das dubbige Santigold-Feature trägt ebenso zur guten Laune bei, wie die obligatorische Schrammelei von »Lee Majors Come Again«. Überhaupt fühle sich »HSCII« für den Hörer an, so lässt MCA im Vorfeld verlauten, als säße man hinter den Beastie Boys in der Achterbahn und mache im Sturzflug Bekanntschaft mit ihrer Kotze. Man habe aus der Fülle an Tracks nur den »wirklich wirren Scheiß« behalten. Die Erleichterung darüber bringt einer der unzähligen Kommentatoren des Album-Streams auf den Punkt: »This totally makes up for the last two albums.«
Text: Julian Brimmers