Autorencharts 2015: Gordon Wüllner (freier Autor)

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Kendrick

Lokalpolitik und das Tagesgeschehen im Ruhrgebiet standen bei Gordon Wüllner im vergangenen Jahr hoch im Kurs. Als Volontär bei der Westdeutschen Allgemeinen konnte sich der 23-Jährige seine Themen nicht immer aussuchen. Sein Ventil für textlich kreativeren Output hingegen hieß JUICE. Für uns schrieb er im vergangenen Jahr über Ty Dolla $ign, Fetty Wap und Big Sean und interviewte u.a. Ludacris, die Pimp-C-Biografin Julia Beverly und den Ghanaischen Rap-Superstar Sarkodie. Für unsere Autorencharts erinnert sich der Essener an Cole-Konzerte, Zivilkannibalen-Zynismus und Drizzys Disses.

10. A$AP Rocky – »AT.LONG.LAST. A$AP« (LP)
AtLongLastASAPCover
Irgendwie zog mich A$AP mehr in seinen Bann, als codeingetränkte Blunts und Psychedelika noch nicht zu den Drogen seiner Wahl gehörten. »A.L.L.A.« ist trotzdem ein großartiges Album, das mich auf ewig an meine morgendlichen Schnellbusfahrten zur Arbeit ins wunderhässliche Bottrop erinnern wird. Auch wenn ich mit dem epischen Opener »Holy Ghost« oder dem Überhit »Everyday« nur schwer zu übertrumpfende Highlights des Jahres geboten bekommen habe, das von mir schon seit »Live. Love. A$AP« erwünschte Treffen mit dem posthumen Pimp auf »Wavybone« keine Wünsche offen gelassen hat und mich auch der Vibe von A$APs neuer Seite auf »L$D« voll mitgenommen hat, konnte ich über eine Sache nicht hinwegsehen: »A.L.L.A.« wirkt stellenweise einfach erzwungen artistisch. Genauso wie Kendrick schien A$AP Anspruch vor Hit-Dichte setzen zu wollen – platzierte dabei aber völlig unbeholfene Beat-Switches oder fabrizierte unangenehm verschwurbelte Lieder wie »Back Home«. Abgesehen davon: Über-Platte! Im nächsten Jahr könnte an dieser Stelle ein anderer A$AP stehen – vom Fergenstein erwarte ich im frühen Zwanzig-Sechzehn eine Dynamitenstange von einem Album.


09. Jazz Cartier – »Marauding in Paradise« (LP)
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Jaja, Musikjournalisten faseln mit Künstlern am liebsten stundenlang über die Entstehung ihrer Alben, aber manchmal ist es auch ganz schön, nicht die Lebensgeschichte hinter der Kunst zu recherchieren, sondern wirklich nur die Musik an sich sprechen zu lassen. With that being said: Ich weiß über Jazz Cartier bewusst (fast) nichts – außer, dass er aus Toronto kommt und sein Produzent Lentz die Mucke als »cinematic trap« bezeichnet. Aber letztendlich hat sich kaum ein Album so stabil auf meinem iPod (#1 Rule: Mucke darf nicht ständig von WhatsApp und Anrufen gestört werden) gehalten wie »Marauding in Paradise«. Der Hauptgrund: Mit den Sechs-Kronen-Bangern »Switch«, »New Religion«, »Holy Shit« und »Dead or Alive« habe ich die wirksamste Katharsis des Jahres geliefert bekommen. Mehr Power hatte dieses Jahr nix. Aber es sind nicht nur einzelne Songs, »Marauding in Paradise« fließt auch als Ganzes wunderbar durch. »Cinematic trap« trifft es tatsächlich ganz gut, das Album fühlt sich an wie eine Fahrt im Batmobil durchs nächtliche Gotham.


08. Drake – »If You’re Reading This It’s too Late« (LP)
Drake-Hotline-Bling
Mein Sohn wird sich sicher mit ein paar besonders prächtig vollbeladenen Windeln dafür rächen, dass ich Drakes »Hotline Bling« nicht auf Platz eins gesetzt habe – Drakes Cha-Cha-Interpretation ist sein erster offizieller Lieblingssong und musste bei uns Wochen auf Repeat laufen (seine Tanzmoves dazu würden mindestens genauso gute Memes hergeben wie Drakes Originale). Ich selber dagegen habe »If You’re Reading This It’s Too Late« als besten Drake-Output des Jahres empfunden. Ich kann auch dem weichgespülten Charmeur-Drake etwas abgewinnen, aber der ignorante Streetmusic-Drizzy fabriziert mindestens genauso gute Hits. Wer gegenwärtige Trends aus den Staaten feiert, kam nicht dran vorbei, das Tape zu lieben. Ich habe neulich noch mal in »Thank Me Later« reingehört – da wirkten Drakes Parts noch regelrecht abgelesen. Jetzt klingt er, als wäre sein Kopf frei, als wäre die Booth sein Wohnzimmer. Ich bin dadurch inzwischen ein Drake-Co-Signer geworden, allerdings war sein Hype abseits von dem zu Recht gefeierten Februar-Tape wieder etwas übertrieben. Auch wenn Meek Mills Antwort jämmerlich war: Drakes Disstracks waren längst nicht so legendär wie vom Social Web abgefeiert. Und dem Tape mit Future merkte man an, dass es in sechs Tagen gemacht wurde. Dennoch: Drake sitzt richtig komfortabel auf seinem Thron – und die daraus resultierende Genugtuung hört man seiner Musik an. Ich bin gespannt, ob das über einen längeren Zeitraum entstandene »Views From the 6« wieder verkopfter klingt oder ob er weiter so unbefangen herumstylt.

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