»Ich höre mir fröhliche Musik nicht gerne an« // Ein Gespräch mit Argonautiks

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Die Argonautiks machen Untergrund-Rap. Doch was ist das 2018 eigentlich: Untergrund? Mit schlechter Tonqualität oder fehlendem Label hat es nichts (mehr) zu tun, also muss es etwas anderes sein. Es muss etwas mit Ästhetik zu tun haben, mit einem Gefühl, mit lokalen Subkulturen oder mit tagelangen Sessions in einem Keller. Denn ohne einen solchen Keller würden die Argonautiks heute nicht ihr Album »Gaffa« über Hazes Label Alte Schule veröffentlichen.

Juli 2017. Die Argonautiks, also Paul Uschta und Timmy Tales, sitzen in einem Park in Berlin, der diese Bezeichnung nicht verdient hat. Der Rasen ist so fleckig wie Pauls Sneaker, die irgendwann mal weiß gewesen sein müssen. Die Luft ist stickig. Beide teilen sich Bier und sind gut gelaunt. Gleich wird an diesem Fleck Dreck eine Übergabe stattfinden. Eine SD-Karte wird den Besitzer wechseln. Darauf gespeichert: Das Musikvideo zum Song »Wie«. Paul und Timmy wollten es lieber direkt übergeben als es zu verschicken. Darum sind sie mit der S-Bahn nach Kreuzberg gefahren. Von schlechtem Internet war die Rede und ohnehin: Das ist Untergrund! Wenig später wird »Wie« auf dem JUICE-Youtube-Channel erscheinen. Ein rougher Battlerapsong mit Savas-Sample ist das, dessen Sound minimalistisch bleibt, dessen Samples bedröppelt neben den Basslines plätschern, dessen Inhalt beklemmend wirkt. Fröhlich ist an der Argonautiks-Musik gar nichts. Fröhlich ist auch ihr am selben Tag erschienenes Album »Aus dem Leben« nicht. Es klingt resigniert und dystopisch – und gerade deswegen so gut.

Etwas mehr als ein Jahr später. Haze ist längst auf das Video zu »Wie« aufmerksam geworden, hat die Argonautiks daraufhin bei Alter Schule unter Vertrag genommen, und Paul sagt: »Wenn ich gut gelaunt bin, dann mache ich keine Musik. Solche Momente teile ich mit meinen Freunden oder mit meiner Freundin. In der Musik kotze ich mich aus.« Und Timmy fügt hinzu, dass ihm gerade wirklich so gar kein fröhliches Rapalbum einfallen würde, das er gut findet. »Ich höre mir fröhliche Musik nicht gerne an«, sagt er und klingt dabei ziemlich zufrieden.

Eine solche Einstellung prägt den harten, aber klugen Battlerap der ­Argonautiks schon seit knapp zehn Jahren. Am Anfang trafen sich ein paar von Schule, Alltagstrott und ihrer trostlosen Heimat gelangweilte Teenager in einem Teltower Keller, um Musik zu machen. Viel mehr als zwischen den Plattenbauten und Einfamilienhäusern des Berliner Vororts abzuhängen, blieb ihnen ohnehin nicht übrig. »Teltow ist eine Trabantenstadt. Du wohnst dort nur zum Schlafen und zum Einkaufen«, sagt Timmy. Seit 2005 verbindet zwar eine S-Bahn-Line Teltow mit der Hauptstadt, aber Berlin habe sie damals einfach nicht interessiert.

Damals, um 2010 war das, waren die Argonautiks noch zu viert. Paul und Timmy rappten, zwei Produzenten Namens Modus und Asket produzierten Beats. Gerade hatten sie im Keller eines Freundes ihren eigenen Battlerap-Funpark installiert, bestehend aus einer MPC, einem 1210er Plattenspieler zum Samplen und einem Mikrofon. Die Wände waren mit Eierpappen abgedichtet. Die Fenster blieben geschlossen. Damals erschienen neben einigen Soloreleases und einem Beat-Tape auch die ersten beiden Argonautiks-EPs »Glasige Augen« und »Tag 3«. Man merkte den Tracks an, dass Paul und Timmy viel Battlerap aus Westberlin gehört und ihn nach Teltow transferiert hatten. »Sitzen im Keller ohne Tageslicht/Ich werde wahnsinnig/Durch eine kleine Luke seh ich, wie die Sonne scheint/Die Mische liegt bereit«, rappten sie auf einem Song, und das trifft es ganz gut. »Wenn wir nicht gerade in der Schule oder auf Arbeit waren, haben wir im Keller Musik gemacht. Irgendwann haben auch unsere ganzen Freunde dort rumgehangen.«

Vorsicht! Es folgt eine Anleitung zur Produktion eines Untergrund-Rap-Releases. Paul sagt: »Wir haben uns Essen für ein paar Tage mit in den Keller genommen, die kleinen Fensterluken zugeklebt, die Tür abgeschlossen, das Internet aus- und unsere Uhren umgestellt. Dann haben wir Musik gemacht.« Dann landeten die Releases auf Bandcamp. Dann gab es die erste Aufmerksamkeit. Dann waren die Argonautiks verschwunden.
Wahrscheinlich war dieses Verschwinden das Beste, was ihnen hatte passieren können. Paul arbeitete in dieser Zeit in »der Industrie«, wie er sagt, und sog Geschichten auf. »Ich habe viel mitbekommen. Ein Mann ist nach sechzig Jahren Arbeit in Rente gegangen und hat kurz vorher Gicht bekommen, einem anderen wurde das Gehalt gekürzt, während der Chef sich einen Porsche geholt hat.« Auch Timmy, der in der Zwischenzeit Tischler geworden ist, erzählt von unschönen Erfahrungen.

Gleichzeitig verlor sich Paul in Technoclubs, machte kaum noch Musik, während Timmy sich mit einer anderen Crew in Potsdam rumtrieb. Beide hatten wenig Kontakt in dieser Zeit, bis sich Paul irgendwann fragte, was er da eigentlich die ganze Nacht macht, in den Clubs, in denen es rummst und rummst. »Irgendwann kam das böse Erwachen«, sagt Paul und will nicht näher darauf eingehen. Kurz darauf traf er wieder auf Timmy. Die Harmonie stimmte, neue Musik entstand.

Den Songs auf »Gaffa« hört man die Erfahrungen der letzten Jahre an. Untergrund, das bedeutet im Falle der Argonautiks mittlerweile auch, sich mit den Menschen von »Unten« zu solidarisieren. Neben Wack-MCs richtet sich ihr Battlerap jetzt auch gegen ungerechte Verteilung und Ausbeutung. Subtil verpackte Gesellschaftskritik ist das, die von hochästhetischen Musikvideos und neuen Sounds getragen wird. Modus und Asket sind kein Teil der Argonautiks mehr. Ein Produzent Namens Donnie Bombay, über den nicht gesprochen werden darf, produziert Beats, die britische Bassmusik genauso in sich tragen wie die Lo-Fi-Ästhetik der Westberliner Battlerap-Schule und den melancholischen Vibe von Frank Ocean. Untergrund-Rap entsteht durch Beobachtungen, eine Offenheit für Sounds, eine geografische Isoliertheit und durch eine kompromisslose Haltung. Die Argonautiks vereinen alles. Die Argonautiks sind Untergrund!

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