Adam »MCA« Yauch 1964-2012 // Nachruf

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Als ich gestern Abend auf meinem Mobiltelefon lesen musste, dass Adam »MCA« Yauch von den Beastie Boys nach dreijährigem Kampf seinem Krebsleiden erlegen war, griff ich zu den üblichen Mitteln, um einen solchen Verlust akut zu verdrängen: Eine Flasche Schnaps, ein Beutel grünes Kraut und ein anschließendes, knapp achtständiges Tiefschlafkoma. Danach ist natürlich nichts besser. Diese Erfahrung hat man ja schon ein paar Mal gemacht, wenn man über 30 ist. Natürlich traf es mich heute morgen, direkt nach dem Aufwachen, gleich wie der berühmte Faustschlag aus der Kaffeewerbung: MCA. Tot. Die Beastie Boys werden nie wieder eine Platte machen. Ich werde die wichtigste Band der Welt nie wieder live sehen. Mit MCA ist ein so wichtiger Teil meiner Jugend gestorben, dass es sich beinahe anfühlt, als hätte ich ihn persönlich gekannt.

Ich will gar nicht von der elementaren Bedeutung anfangen, die die Beastie Boys für das Selbstverständnis europäischer Rap-Fans hatten – dazu hat Oliver »Olski« von Felbert in seinem großartigen »Kings of HipHop«-Artikel für JUICE bereits alles gesagt. Vielleicht an dieser Stelle nur so viel: Wir ALLE haben unseren Lifestyle von den Beasties ausgeborgt. Sie waren es, die uns beibrachten, wie man sich anzog, welche Platten man hören musste, welche Filme und Bücher relevant waren, welche politischen und religiösen Überzeugungen man zumindest mal erwägen sollte (wer hat in den Neunzigern bitte nicht mal kurz mit dem Buddhismus geflirtet?). Ohne die Beastie Boys kein Spike Jonze und kein Glen E. Friedman, kein genuines Interesse an dem Hardcore der Bad Brains und dem Dub-Reggae von Lee Perry, keine Verschränkung von Skateboarding- und Streetwear-Kultur mit echtem HipHop und New Yorker B-Boytum, keine Big Beats in den Charts und kein Turntablism auf Stadionbühnen, kein Funk-45s-Diggin‘ und kein »Jackass«-Humor, keine guten Rap-Liveshows und kein »99 Problems«. Kurzum, die Welt wäre ein ordentliches Stück hässlicher, langweiliger und uninteressanter.

Ein paar hundert »RIP«-Statusmeldungen in meiner Timeline (spricht durchaus für mein soziales Netzwerk), einen starken Text von Questlove auf Okayplayer.com und jeweils einen Durchgang der 2009er Remastered Editions von »Paul’s Boutique«, »Check Your Head«, »Ill Communication« und »Hello Nasty« später: Der Verlust wird immer noch nicht greifbarer. Adam »MCA« Yauch war doch immer das gute Gewissen der Beastie Boys. Ad Rock war der ewig juvenile B-Boy, Mike D der schlaue Sammler, Auskenner und Nerd. Und MCA war der vernünftige große Bruder, der stets das Richtige tat. Der sich für die Freiheit von Tibet einsetzte, coole Basketball-Dokus drehte und überhaupt eine solche Integrität und Geschmackssicherheit besaß, dass sie eine ganze Generation prägte. Dass dieser schier unkorrumpierbare Musiker, Filmemacher, Visionär und Philanthrop mit 47 Jahren diese Erde schon verlassen musste, ist eine unermessliche Enttäuschung. Zum Glück hat er in diesen 47 Jahren so viel erlebt, erreicht und erschaffen, dass es für ein Dutzend Durchschnittsleben reichen würde. Ein schwacher Trost.

Die Platten der Beastie Boys waren der Soundtrack meiner Jugend: Sie waren der Inbegriff von HipHop, aber auch von »Alternative«, sie waren das fehlende Bindeglied zwischen A Tribe Called Quest und den Pixies, zwischen EPMD und Sonic Youth, zwischen Wu-Tang Clan und Folk Implosion, zwischen »Illmatic« und »Odelay«. Wie wichtig diese Band für meine Generation war, wurde mir letztes Jahr einmal mehr klar, als ich mich vor der »Echo«-Verleihung mit einer befreundeten Mitarbeiterin der Beastie-Boys-Plattenfirma EMI traf. Schon nach dem ersten Drink verließen wir den spießigen Abendgarderobenempfang, um auf ihrem Hotelzimmer stattdessen die fünf Songs von »Hot Sauce Committee Part Two«, die sie in ihrer Funktion als Promotionchefin den Journalisten vorspielen durfte, auf Laptop-Boxen anzuhören. Da saßen wir also, beide ein ordentliches Stück jenseits der 30, beide seit vielen Jahren beruflich in der Musikindustrie tätig und lauschten angetrunken diesen absurd gesicherten MP3-Files, die sie lediglich über einen Firmen-Account streamen durfte. So wichtig, so einflussreich war diese Band für uns, dass man sich schlicht und einfach keine Bemerkungen zu möglicher Irrelevanz und etwaigen Anachronismen erlauben durfte. War jetzt alles egal. Eine neue Beastie-Boys-Platte. Santigold sang: »Don’t Play No Game That I Can’t Win.« Die Beasties gewannen immer.

Man wusste um die Krebserkrankung von MCA, man wusste auch, dass das erste Releasedate von »Hot Sauce Committee« verschoben werden musste, weil es ihm einfach zu schlecht ging. Man wusste, dass er alle öffentlichen Auftritte und Interviews abgesagt hatte. MCA selbst nutzte die üblichen Mittel des popkulturell bewanderten Nerds, um mit der Krankheit umzugehen: Blanke Ironie und tiefschwarzen Humor. Als schließlich die vorläufige Entwarnung gegeben wurde, waren wir erleichtert und glücklich. So blieb uns immerhin die Hoffnung, dass MCA sich erholen würde und dass die Freunde vom »Splash«-Festival das wichtigste Trio der HipHop-Geschichte eines Tages doch noch in kompletter Besetzung nach Ferropolis holen würden. Stattdessen konnte er nicht mal mehr der Aufnahme seiner Band, die er 1979 mitgegründet hatte, in die »Rock & Roll Hall Of Fame« beiwohnen. Mike D und Ad Rock verlasen vor wenigen Wochen in seinem Namen die Dankesrede, weil er zu krank war. MCA verlor den Kampf gegen den Krebs gestern, am 4. Mai 2012. Er hinterlässt seine Ehefrau und eine 13-jährige Tochter.

Wir hören »Transitions« auf Repeat und tragen Schwarz, bis es was Dunkleres gibt. Ruhe in Frieden, Adam »MCA« Yauch.

Text: Stephan Szillus

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