Vor zwanzig Jahren verändert sich Rap in Berlin für immer. Mit der Gründung eines Labels, das nie so wirklich eins war, wird der Weg geebnet für einen unabhängigen Untergrund, der sich eigene Wege bahnt und für Konventionen nur dicke hauptstädtische Fickfinger übrig hat. Wenn man die Geschichte von Bassboxxx erzählen will, muss man mit einer ganzen Menge Leute sprechen, um sie auch nur in Ansätzen umreißen zu können. Selbst bei den Mitgliedern sind einige Erinnerungen verblasst, andere dafür umso präsenter, weil immer noch ungeklärt. Zwanzig Jahre Bassboxxx – ein Lehrstück für Innovation und Rebellion; und dafür, wie Geld alles kaputtmachen kann.
»Solchen Rap gab es noch nicht. Es gab damals vor allem Heile-Welt-Rap. Bassboxxx war aber kein Heile-Welt-Produkt«, gibt Atzenkeeper MC Bogy höchstpersönlich zu Protokoll und hat damit nicht unrecht. Trotzdem stehen auf dem geschichtlichen Berliner Rap-Olymp mit dem Royal Bunker und Aggro Berlin zwei andere Namen in Stein gemeißelt. Dabei kann man insbesondere Letzteren nicht nennen, ohne gleichzeitig auch Credits an die heute zu Unrecht nicht im selben Atemzug genannte Gruppe mit den drei X zu verteilen. Wenn die große Geschichte des deutschen Rap irgendwann in vollem Umfang erzählt wird, dann bleibt Bassboxxx keine Randnotiz. Bassboxxx ist einer der wichtigsten Untergrundvorreiter für harten Selfmade-Rap aus dem Herzen der Hauptstadt.
Wer A sagt, muss auch BC sagen
Um die Geschichte von Bassboxxx zu erzählen, muss man allerdings mindestens ein Jahr vor der Namensgebung anfangen. 1997 gründet sich die berühmt-berüchtigte Writer-Crew Berlin Crime, kurz: BC. Eine Gruppe, die MC Bogy »einen bunten Haufen aus Writern, Breakern und Bangern« nennt. Essenzieller Bestandteil dieser Künstler und Vandalen, für die sich Leute aus der Crew CNF mit Leuten aus Wedding und Lankwitz zusammentun: Frauenarzt und Manny Marc. Mitte der Neunziger nimmt Frauenarzt noch bei sich zu Hause mit einem Doppel-Tapedeck, Mixer und Plattenspieler auf, bevor er Ende ’97 erste Beats auf einem E-Mu-Emax-Sampler produziert und mit Mr. Long in verschiedenen Kreuzberger Studios aufnimmt. Damals stehen die beiden bei DeDe Records unter Vertrag, die auch mit den Pionieren von Islamic Force arbeiten. In dieser Zeit etabliert sich die Tape-Szene im Berliner Untergrund. Taktlo$$ bringt als erster »BRP1« raus, darauf folgt Westberlin Maskulin. Der Royal Bunker ist noch das Café mit Hinterraum, Anlage und kleiner Bühne, und MOR, Die Sekte und BC treffen quasi wöchentlich aufeinander.
Parallel produziert Arzt aber schon experimentelle Beats, die in Richtung Miami Bass gehen. Damals legt er sich in einem Schnapsideemoment das bis heute verbliebene Pseudonym Frauenarzt zu und nimmt mit Manny Marc zusammen »Nuttenjagd« unter dem Label Wet Pussy Digital auf, um BC noch mehr Fame zu bescheren. Erst danach kommt es zur ikonischen Namensgebung. Aus Arzts erster Namensidee Basssonic macht Manny Marc Bassbox, das dann um zwei X erweitert wird. Im Logo wird das O zu einer Box, das XXX soll an die X-rated-Platten der Achtziger erinnern – eine direkte Hommage an Künstler wie Blowfly und die 2 Live Crew. Das passt zum sexuell aufgeladenen Frühwerk der Berliner.
Nach und nach wächst die Crew. Bogy, der zudem den jungen BC-Ableger TMR gründet, ist ebenfalls von Anfang an bei Bassboxxx dabei. Tony D wird später bei Aggro Berlin bekannter, ist aber genauso Teil von TMR wie von BBX. MC Basstard wird aufgrund seiner vielen Anzeigen von Frauenarzt gefragt, ob er statt Scheiße zu bauen nicht lieber rappen möchte. Orgi ist anfangs auch Teil der Crew, veröffentlicht seine Alben »Sex König« und »Es gibt kein Battle«, und sogar Bushido, Bass Sultan Hengzt und Taktlo$$ sind im erweiterten Dunstkreis, auch wenn sie nie unter dem Label Bassboxxx hausieren gehen.
Alles auf der Spur
Die äußeren Umstände sind verbesserungswürdig, Arzt schaut sich nach anderen Möglichkeiten um und wird über Jope fündig. Eben jener – und zeitweise auch sein Partner Poem – sind schon zu Beginn die alten Hasen der Crew und zwei der ältesten Rapper in Berlin. Irgendwann erwähnt Jope eine neue Option: »Da ist so ein Typ in Kreuzberg, der hat ein Achtspurgerät«, lässt er Arzt wissen. Kurze Zeit später steht der Kontakt zu Mach One, der kurz vorher mit Akte One selbst beschlossen hatte, sich etwas mehr auf Rap zu konzentrieren und mit ihm zusammen das Duo Die Lätzten bildet. Über die beiden stoßen auch noch Darn und Vork zur Crew, die kurze Zeit später noch um den jungen Kreuzberger Isar ergänzt wird, den Mach auf einer Jam kennenlernt. Das ist die Essenz von Bassboxxx: Akte, Darn, Mach, Manny Marc, Frauenarzt, Isar, Jope und Poem, Basstard, Bogy, Vork, Tony D, DJ Korx (der neben vielen Produktionen die »Hauptgrafikzentrale« für Cover, Poster und Flyer bildet), Porno Ulli (der Gründungsmitglied von BC ist und lange vor Social-Media-Kanälen für das Bassboxxx-Forum sowie die Website verantwortlich zeichnet und einige Unkosten übernimmt) und – mit Abstrichen – Orgi, der sich frühzeitig anderweitig als Unternehmer verdingt.
»Ich habe damals Haschisch verkauft und von dem Geld die Tapes finanziert« (Frauenarzt)
Nach einer gemeinsamen Session ist Mach laut Arzt jedenfalls auch Feuer und Flamme. »Ich bin mit meinen Beats zu ihm und wir haben ’BC’, das erste Bassboxxx-Tape bei ihm aufgenommen – stets tatkräftig unterstützt von Manny Marc und anderen Crew-Membern von BC, die man im Hintergrund hört. Ich kann mich noch erinnern, wie geschockt Mach anfangs von den vulgären Texten von Orgi und mir war. Den Spruch ’So was darf man doch nicht rappen, Alter!’ werde ich nie vergessen.« Das Tape mit der Katalognummer BBX001 erscheint 1999 ungefähr zeitgleich mit der ersten Kassette von Sido und B-Tight, die sich damals Royal TS nennen.
Die Aufnahmeorte der nächsten Projekte pendeln zwischen Frauenarzts 25-Quadratmeter-Wohnung, wo Untergrundhits wie »Brennt den Club ab« oder »Vorhang auf« entstehen, und anderen Locations. Auf King Orgasmus‘ Tape »Sex König« sind beispielsweise noch frühere Recordings aus Bushidos damaligem Studio zu hören, da die beiden damals zusammen mit Vader die Crew 030 Squad bilden. Die BBX-Produktionen kommen größtenteils von Arzt, aber ebenso von Mach und Bushido. Zur selben Zeit nimmt bereits MC Bogy seine ersten Songs bei Mach für das Solo-Tape »Proletik Poetik« auf, das nie erscheinen wird, da Bogy mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist. »Bogys Tape wäre BBX003 geworden. Stattdessen wurde das dritte Tape dann aber ’Tanga Tanga’, das in Eigenproduktion komplett in meinem Home-Studio in Tempelhof auf dem Achtspurgerät von Taktlo$$ aufgenommen ist«, erzählt Frauenarzt. Die Tapes »Es gibt kein Battle« (BBX005) von Orgi und »Rap Dämon« (BBX006) von MC Basstard werden ebenfalls zu großen Teilen bei Arzt im Home-Studio aufgenommen, nachdem er ein Vierspurgerät von B-Tight übernimmt. Aber nach Machs Dazustoßen zu Bassboxxx entsteht auch einiges in dessen erster WG in einem Vier-Quadratmeter-Zimmer sowie später in seiner neuen Kreuzberger Butze, die fast kommunenartig das wohnungsgewordene Sinnbild der Bassboxxx-Gruppierung bildet – und das den vielleicht charmantesten Studionamen der Deutschrap-Geschichte erhält: Das Lätzte Loch.
Das Lätzte Loch
Nachdem Mach aus seiner alten WG fliegt, weil er »die ganze Miete in Technik investiert«, bezieht er um die Jahrtausendwende eine Erdgeschosswohnung mit Fenster zur Straße in der Mariannenstraße in Berlin-Kreuzberg, in der ein Zimmer zum Studio wird. Obwohl er dort auch wohnt, hätte eine Drehtür der Bude damals wohl nicht geschadet. Ruhig war es selten. »Es war wie ein Jugendzentrum. Die Leute, die es kannten, sind einfach rumgekommen«, erinnert sich Akte. »Wenn ich schlafengegangen bin, saßen noch Leute im Studio. Und wach geworden bin ich, weil die Ersten schon wieder geklingelt haben«, lacht Mach, der sich damals als geduldiger Gastgeber zeigt, und anfügt: »Wer gerade da war und Bock hatte, der hat spontan an einem Album gearbeitet – manchmal auch gezielt. Wenn jemand anderes da war, hat er auch was dafür geschrieben, wenn es gepasst hat – und manchmal eben auch nicht. Aber klar, wenn Basstard für sein Album aufnehmen wollte, dann war er auch mal alleine da – zumindest kurz.«
»Bassboxxx war Familie für mich« (Mach One)
Später erhält das Studio sogar eine Aufnahmekabine, zum Achtspurgerät gesellen sich irgendwann Mic, Rechner und Vorverstärker. Die DIY-Mentalität bleibt jedoch bestehen. Isar, der als Jüngling später die Bassboxxx ergänzt, ist bei seinem ersten Besuch irritiert: »Ich war geschockt. Es gab einen kleinen Tisch, überall standen Bierflaschen, und es war immer voll. Du kamst rein, und zehn Leute waren da« – eine Situation, die Mach als »chaotisch produktiv« beschreibt, die aber vor allem von den in modernen Businessplänen so oft beschriebenen Synergieeffekten profitiert. »Jeder konnte irgendwas sehr gut. Man war immer abhängig von den anderen, und wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Wir mussten uns alles selbst beibringen. Wir hatten keine Lehrer und mussten erst lernen, was ein Equalizer ist und warum der Bass im Auto nicht knallt. Es gab keine Youtube-Tutorials, keine SAE und ich kannte niemanden, der richtig Ahnung hatte.«