Andere Dispute sind bis heute noch nicht beigelegt. 2015 schafft es Isar, die alte Crew für das Video »Bassboxxx Clique 8« zu einem gemeinsamen Dreh zu bewegen, allerdings gibt es für das Greenscreen-Video vom »Streifzug«-Album zwei Drehtage. Das Projekt erfordert Fingerspitzengefühl, manche Beteiligte können oder wollen nicht gemeinsam in einem Raum sein. Der feuchte Traum des Rap-Revivals bleibt in weiter Ferne, auch wenn man den Protagonisten in den Gesprächen anmerkt, dass die meisten zwanzig Jahre nach der Gründung das Projekt Bassboxxx immer noch nicht ganz aufgegeben haben. Angesprochen auf ein mögliches Comeback, muss Mach lachen: »Wir haben uns mal bei einer K.I.Z-Goldverleihung getroffen. Da war die Energie wieder spürbar, und wir haben wie kleine Kinder Nummern ausgetauscht: Tony D, Manny Marc, Basstard, Vork. Da sind wir sogar schon zu Staiger gegangen und haben gesagt, dass er das machen muss! Ich glaube, eine Chance gibt es immer noch, wenn über alle Missverständnisse mal geredet worden ist.« Davon, dass Bassboxxx tot sein soll, will jedenfalls keines der Mitglieder etwas wissen.
Totgesagte leben länger
Was der sich momentan in einem komatösen Zustand befindenden Bassboxxx heute keiner mehr nehmen kann, ist das virtuose Spiel mit den eigenen Figuren. »Wir waren die Vorreiter für die Art von Deutschrap, wie er danach gekommen ist. Wir hatten Charaktere. Basstard ist geschminkt auf die Bühne gegangen, hat seine Rolle perfektioniert und Horrorcore krass gemacht. Wir waren wie Superhelden. Orgi war der Sexkönig, der Zuhälter mit Sonnenbrille und gegelten Haaren. Ich war Frauenarzt, der verrückte Durchgeknallte. Manny Marc war der Sunnyboy-DJ und hat einen Strohhut getragen, MC Bogy war der lyrische Hooligan in Unterhemd mit Glatze. Die Vapeilas waren zwei schlaksige Typen mit langen Haaren, die auch wirklich so verpeilt waren, wie ihr Name besagt hat. Ich denke, dass Aggro sich davon bei ihren Künstlern teilweise hat inspirieren lassen. Jeder von uns hatte sein Markenzeichen, und das gab es vorher so nicht«, ordnet Arzt die Bedeutung von Bassboxxx ein. Bogy geht sogar einen Schritt weiter und erhebt das Label zum Lebensretter: »Bassboxxx hat viele von uns aus der Scheiße rausgeholt. Wenn es das Label nicht gegeben hätte, würden wir jetzt vielleicht im Knast sitzen. Oder wären hoch verschuldet. Oder tot.«
»Die Egos wurden zu groß. Neid und VErrat haben Bassboxxx gespalten« (MC Bogy)
Wenn man die Berliner Wegbereiter nach einem Höhepunkt der gemeinsamen Geschichte fragt, reden sie größtenteils von der Zeit als Ganzem; von den Stunden, Tagen, Wochen und Monaten im Lätzten Loch; den Sessions, den Partys. Doch eine der krassesten Geschichten wird mehrfach erzählt: 2004 gibt es einen der wenigen Auftritte, bei denen fast alle Mitglieder dabei sind. Bobby, der damals Basstards Management macht, bucht Bassboxxx in eine riesige Lagerhalle in Schweinfurt. Die Verrückten lassen sich nicht lang bitten, reisen mit knapp fünfzig Leuten aus Berlin an. In die Halle in Schweinfurt sollen knapp 1.000 Leute passen, am Ende sind Schätzungen zufolge 1.600 Leute vor Ort. Vor der Location wird nach Polizeiaufmarsch ein Auto in den Graben gefahren, einer der Rapper schüttet aus Trotz Cola über die gesamte Technik. Gleichzeitig werden Flaschen durchs Treppenhaus geschmissen und auch Fäkalien kommen in den Erzählungen vor. Fast jeder, der dabei war, hat eine Story zu Schweinfurt zu erzählen. Mach kommt aus dem Lachen kaum noch raus: »Wir haben Backstage-Pässe bekommen, mit denen man an der Bar alles holen konnte. Am Anfang haben wir nach einem Wodka-Red-Bull gefragt. Beim nächsten Mal nach einer Flasche Wodka und einer Palette Red Bull. Und am Ende wollten wir einfach eine Kiste Wodka«, erzählt er. »Mein Bruder hatte nach Schweinfurt jedenfalls eine eigene Bar in seiner Wohnung.«
Basstard nennt Schweinfurt sogar das »Woodstock von Bassboxxx« und Isar kann es bis heute noch nicht richtig glauben: »Der Schweinfurt-Abend war einfach nur hängengeblieben. Wir haben halb gerappt und halb Radau gemacht. Es war nur ein einziger Abend, aber mit den Geschichten aus Schweinfurt kannst du eine Woche füllen.«
Schweinfurt bringt auf fantastische und bildliche Weise Bassboxxx und seine Probleme auf den Punkt. Im Optimalfall ist jeder BBX-Abend eine grenzenlose Party eines kreativen Kollektivs, das sich keine Grenzen aufzeigen lässt. In den schlechtesten Momenten ist es Chaos pur und so destruktiv, dass es nur in Pöbeleien und Streit aufgeht. Doch eins ist sicher: Totzukriegen sind die Bassboxxx und ihre Legenden bis heute nicht. Die prägenden Gesichter dieses Kapitels deutscher Rapgeschichte sind immer noch am Start, arbeiten mittlerweile professionell und kriegen längst den Respekt, den sie sich über zwanzig Jahre Einsatz für die Kultur verdient haben. Bogy bringt den Geist des Labels in einem Satz auf den Punkt. »Wir wollten unzensierten Rap machen, es sollte auffallen und schockieren.« Und darin, daran besteht kein Zweifel, waren Bassboxxx Meister ihres Fachs.
Text: Arne Lehrke
Foto: Frauenarzt (Archiv)
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