Wu-Tang Clan – Enter the Wu-Tang (36 Chambers) // Re-Issue der Ausgabe

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(RCA)

Ende 1993 konnte so ziemlich alles passieren, also raptechnisch jetzt. Es ahnte nur niemand. Das Spiel wurde vom künstlerischen wie kommerziellen Zenit des G-Funk dominiert, während New York sich auf die afrozentrisch-­feingeistige Perfektionierung des Native-Tongue-­Ansatzes zurückgezogen und sonst erstaunlich wenig zu bieten hatte. 36 Gründe, warum »Enter The Wu-Tang (36 Chambers)« – erschienen am selben Tag wie »Midnight Marauders«, das perfekteste der perfekten Tribe-Alben – nicht hätte funktionieren dürfen? Eher ein Platzproblem als ein inhaltliches. Eine in Staten Island gegründete Supergroup aus neun (!) weitestgehend unbekannten MCs, eine vermuffte Soundästhetik, die schon Jahre zuvor eher Demo-Charakter gehabt hätte, und ein philosophisches Kuddelmuddel aus verdünnter Five-Percenter-Ideologie, dick aufgetragener Kung-Fu-Mystik und aggressiven Slangs. Aber es funktionierte. Und wie. Das Album brachte der Welt tief empfundenen, aufrührerischen Inner-City-Soul zurück, als erfolgreicher Rap sich in Sauberkeit zu verrennen drohte. Aber nicht nur das. Plötzlich ging boygroupige Rollenverteilung auch in straßenkompatibel, und der vermarkterische wie produktionstechnische Geniestreich von RZA etablierte einige der profiliertesten MCs des letzten Vierteljahrhunderts: Raekwon mit seinem slicken Mafia-Talk, den übersmarten Weedhead Method Man, den emotionalsten Geschichtenerzähler Ghostface und das größte Weirdo-Rap-Genie von allen – ODB. »Enter The Wu-Tang« konnte aber nur so groß werden, weil es in sich so klaustrophobisch klein ist, weil man einerseits physisch spürt, wie intensiv und wettbewerblich die Sessions waren, aber auch tief in das Mindset der Vergessenen eintaucht, die als Kids den Moloch NY von seiner schlechtesten Seite erlebt hatten. Wenn »Illmatic« ein paar Monate später die New Yorker Renaissance ikonisierte, war das die plattentektonische Bewegung aus dem Untergrund, die den Status quo zur Trümmerwüste zerlegte – und »C.R.E.A.M.« der ehrlichste urbane Blues-Song unserer Zeitrechnung.


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