Man muss sich an dieser Stelle ausnahmsweise mal nicht in Zurückhaltung üben: Gestern vor 22 Jahren erblickte einer der ganz großen Klassiker des Genres das Licht der Welt. »Enter The Wu-Tang (36 Chambers)« war der zu keinem Zeitpunkt vorhersehbare Auftritt einer Supergroup, deren Erscheinungsbild, Duktus und Selbstbewusstsein eine neue HipHop-Zeitrechnung einläuten sollte. Die Komponenten der 36 Kammern: das Zusammenspiel der neun MCs auf den 13 Tracks, die rohe, ausschließlich von Mastermind RZA überwachte Produktion, die zwischen Hood-Pathos, Five-Percenter-Knowledge, Rudebwoy-Talk und Kung-Fu-Referenzen alternierenden Lyrics – all das vermengte man im Firehouse Studio zum neben »Doggystyle« wichtigsten Album der Spielzeit ’93.
Dass »36 Chambers« mit derart viel Wut im Bauch daherkam, lag in erster Linie an RZA und GZA und deren schlechter Erfahrungen mit der Musikindustrie. Beide hatten bereits Deals als Solokünstler gelandet und die Alben »Words From The Genius« (GZA als The Genius) und »Ooh I Love You Rakeem« (RZA als Prince Rakeem) auf Cold Chillin respektive Tommy Boy Records veröffentlicht. Als beide Verträge aufgrund schleppender Albumverkäufe nicht verlängert wurden, zog man sich verärgert nach Staten Island zurück und gründete gemeinsam mit Cousin Ol‘ Dirty Bastard und Method Man, Raekwon, Ghostface Killah, Inspectah Deck, U-God und Masta Killa den Clan.
Bereits 1992 veröffentlichte man »Protect Ya Neck« als erste gemeinsame Single. Durch Auftritte in Radiosendungen wie der »Stretch Armstrong & Bobbito Show« hatte man sich damals innerhalb der Stadtgrenzen bereits einen Namen gemacht, während man als Vorgruppe von Cypress Hill auch andernorts Aufsehen erregte. Der durchschlagende Erfolg sollte jedoch noch auf sich warten lassen. Ein Jahr später ging »Protect Ya Neck« in einer überarbeiteten Version mit der B-Seite »Method Man« erneut an den Start, außerdem unterschrieben Wu-Tang bei Loud Records. Zwar hatten eine ganze Reihe anderer Labels ebenfalls Interesse bekundet, Loud ließ sich jedoch auf eine besondere Forderung ein: den einzelnen Mitgliedern war es vertraglich zugesichert, als Solokünstler über andere Labels Alben zu veröffentlichen.
Der Grundstein der erfolgreichen Solokarrieren von Meth, Ghost, GZA, Raekwon, ODB und Konsorten war also gelegt, die Basis des Erfolges sollte jedoch »36 Chambers« werden. Und auch wenn der Plan später aufgehen sollte und das Kritikerlob auch direkt nach Veröffentlichung durchaus respektable Ausmaße annahm, blieb der wirklich große kommerzielle Erfolg aus. 22 Jahre später hat sich das Album allein in den USA zwar über 2 Millionen Mal verkauft, die höchste Chartposition in den Billboard 200 bleibt jedoch Platz 41. Auch die als Singles veröffentlichten Tracks »Method Man«, »C.R.E.A.M.« und »Can It Be All So Simple« konnten maximal bis Platz 60 vordringen. Aber sei’s drum: Die Tragweite des Albums für HipHop im Ganzen und als identitätsstiftes Moment einer neuen MC-Generation an der amerikanischen Ostküste im Speziellen war ohnehin nicht in Chartplatzierungen oder sonstigen Auszeichnungen aufzuwiegen.
»Für mich ist wirklich jeder einzelne Song auf der LP ein Klassiker, […] vor allem die Tracks, in denen einfach direkt nacheinander weggerappt wurde und irgendwann mal eine Hook kam (oder auch nicht), feier ich bis heute. Jeder MC war einzigartig und vor allem waren alle geil. Das gab es weder davor noch danach«, resümierte Dexter in seiner Review zum Album anlässlich des »Kings Of HipHop: Wu-Tang Clan« in JUICE #140. Dem ist an dieser Stelle nichts mehr hinzuzufügen – mal abgesehen vom offensichtlichen »Wu-Tang Clan Ain’t Nuthing Ta Fuck Wit«.