Wer irgendwann völlig übermüdet und fertig ist, muss nachts auch nicht zwangsläufig nach Hause fahren, sondern kann einfach dableiben. Vork, der diese Möglichkeit oft in Anspruch nimmt, erzählt von einer Matratze, die auf der Booth liegt. In diesem Mikrokosmos entsteht Musik, die nach und nach mehr Leute interessiert, sich von Kreuzberg aus erst über den Rest Berlins, dann über ganz Deutschland verteilt. Kommerzieller Erfolg spielt dabei keine Rolle, damals geht es nicht ums Geld. Die Vertriebswege wachsen trotzdem mit der Zeit.
Hustle hard
»Arzt hatte immer ein Megafon dabei und hat Promo auf der Straße gemacht«, befeuert Bogy die Bilder im Kopf von den ersten Tapes, die noch vor der Jahrtausendwende entstehen. Was heute charmant wirkt, ist eher aus der Not geboren, gibt Marktschreier Frauenarzt zu: »Wir hatten nicht das Geld für eine Plattenproduktion. Ich hab damals Haschisch verkauft und davon die Kassetten finanziert. Ich hab mich auch ziemlich hoch verschuldet, als ich ausgezogen bin. Und ich war zu stolz, meine Eltern zu fragen, weil die auch nicht so viel hatten. Ich wollte mich da selbst rausboxen. Und dann haben wir gemerkt, dass das mit den Tapes geht. Fünfzig Kassetten à zehn Mark? Bombe. Voll geil!« Die Auflagen steigen von fünfzig auf hundert. Doch auch die gehen schnell weg, werden zu 500 bis 1.000 Kassetten, die in der Herstellung gerade mal zwei, drei Mark kosten und je nach Länge und Booklet sogar noch günstiger ausfallen können. Doch an Liebe mangelt es Bassboxxx nicht. Schon den ersten Tapes liegen aufwändige, auch explizite Bilder bei.
Das Megafon braucht es irgendwann nicht mehr. Im Writer-Store Downstairs, der neben Dosen und anderem Graffiti-Stuff auch Klamotten führt und später zu Aggro Berlin werden soll, verkauft ein gewisser Halil Efe Berliner Tapes wie die von Bassboxxx. Per Quittung kauft er die im Cassetten Copier Service vervielfältigten Releases ein und stellt sie in einer Vitrine aus. In Ostdeutschland verbreiten sich die Tapes besonders schnell. Im Laden stehen Bassboxxx-Tapes neben denen von Westberlin Maskulin, der Beatfabrik und der Sekte. »Und die Vitrine wurde immer größer. Es war ein richtiger Kassettenhype«, sagen Manny Marc und Arzt selbst heute noch ein bisschen ungläubig. Das mittlerweile leider eingestampfte Magazin Wicked nimmt die Kassetten ebenfalls ins Programm auf. Per Mailorder kann man die Tapes bestellen und sich so in die ganze Bundesrepublik schicken lassen. Bassboxxx-Tapes können jetzt in allen Winkeln Deutschlands gehört werden – eine enorme Leistung für den chaotischen Haufen, der das alles schafft, während das Internet sich noch in den Kinderschuhen befindet. »Bassboxxx war nie ein angemeldetes Label. Es war ein Kassettenlabel. Wir hatten ein Patent auf den Namen und das Logo, aber wir haben keine GbR gegründet. Jeder war sein eigener Chef. Wir haben das nie bei der GEMA angemeldet, und wenn Manny Marc ein Tape gemacht hat, dann war das sein Tape und der gesamte Gewinn ging an ihn. Wir haben die aus dem Kofferraum heraus verkauft. Das mit dem Mailorder hat sich einfach entwickelt, das war in der Form nicht abzusehen«, kommentiert Arzt die Entwicklung nachträglich.
»Damals wurde alles indiziert. Ein falsches Wort, schon gab es eine Hausdurchsuchung« (Manny Marc)
Der nächste große Schritt ist der vom Tape zur CD. 2001 gründet sich mit Distributionz in Osnabrück ein Vertrieb, der von Anfang an mit Bassboxxx zusammenarbeitet. Jonas »Jayo« Okunorobo gibt deutschen Untergrund-Rappern eine Möglichkeit, ihr Game upzusteppen und erarbeitet sich in den nächsten knapp 15 Jahren ebenfalls einen Legendenstatus für nonkonformen HipHop in Deutschland. Auch heute existiert das Unternehmen noch – unter dem verkürzten Namen distri. Nach ersten Fünfziger-Auflagen aus dem Cassetten Copier Service in der Bülowstraße wechselt Bassboxxx zu handle with care, um die Silberlinge herzustellen. Zu Bestzeiten verkauft sich »Obscuritas Eterna«, das zweite Soloalbum von MC Basstard aus dem Jahr 2002 und Nummer BBX011 im Bassboxxx-Katalog, knapp 5.000 Mal. Eine Einheitenmenge, die in einer schwachen Woche heutzutage durchaus Platz eins in den Charts bedeuten kann – und das, obwohl es damals einen Bootleg des Releases gibt. In der JUICE Special-Issue »Rap in D« vom März/April 2005 spricht Jayo vom »immer noch erfolgreichsten Produkt« von Distributionz. Die Wahrnehmung von außen bleibt aber nicht unumstritten.
Immer wieder werden Bassboxxx-Alben indiziert, es kommt regelmäßig zu Hausdurchsuchungen. Die Angst vor der Verrohung der Jugend macht Anfang der Nullerjahre die Runde. Ins Zentrum der Debatte werden dabei häufig Künstler wie Sido, Bushido und – allein wegen des Namens – auch BBX-Gründer Frauenarzt gerückt. Sexuelle und gewaltverherrlichende Texte werden nicht überall als Kunst verstanden. »Damals wurde alles indiziert. Heute hält es sich in Grenzen, aber damals gab es bei einem falschen Wort in einem Track gleich eine Hausdurchsuchung mit allem drum und dran«, beschreibt Manny Marc die damalige Atmosphäre. All das bringt Bassboxxx aber nicht ins Wanken. Die Probleme, die das Ende einläuten, sind hausgemacht.
Geld oder Liebe
Schon 2003, also bereits fünf Jahre nach Gründung, kommt es zur (inoffiziellen) Schließung. Obwohl auch danach noch Releases mit dem Logo oder Namen erscheinen, geht es – kurz nachdem der »Bassboxxx Clique Sampler« sich ebenfalls 4.000 Mal verkauft – um das leidige Thema Geld. »Bei Mach in der Wohnung flatterten Anzeigen und Rechnungen rein. Und hast du mal mit 15 oder zwanzig Westberlinern in einer Wohnung gechillt, die alle besoffen, auf LSD, Kokain oder Gras sind? Und spielsüchtig und gewaltabhängig? Eigentlich toll, dass es überhaupt so lange gehalten hat und nicht nach einer Minute bereits in die Luft geflogen ist«, sagt Bogy über das Pulverfass Bassboxxx. »Die Egos wurden zu groß, die Bedürfnisse gingen mehr Richtung Solozeug. Am Ende haben Neid und Verrat Bassboxxx gespalten. Es haben sich halt auch Dinge miteinander vermischt. Da waren Schwerstkriminelle mit irgendwelchen Writern, die dann gemeinsame Dinge durchgezogen haben. So zieht jeder den anderen mit in sein Unheil. Auch das war Bassboxxx.«
Mach One erinnert sich an einen Schlüsselmoment: »Es gab für mich einen entscheidenden Tag, an dem ich alle zusammengerufen und gesagt habe, dass ich seit drei Monaten keine Miete gezahlt habe, weil ich keine Kohle hatte. Und wir waren ja alle jeden Tag da, also meinte ich, dass mir mit zwanzig Euro im Monat von jedem schon sehr geholfen wäre. Ein paar Leute haben mir die Kohle auch gegeben, aber ein paar haben halt auch gesagt, dass sie sich dann lieber was Anderes suchen. Das hat mich sehr enttäuscht. Denn Bassboxxx war Familie für mich.«
Zu allem Übel lässt Mach sich aus Geldmangel dann von einem anderen Rapper zu einer Geschichte hinreißen, bei der er Fahrer für ein krummes Ding sein soll. Und es kommt, wie es kommen musste: Sie werden gebustet, Mach geht für einige Wochen ins Gefängnis. Am Anfang wird nicht über Geld geredet, doch nach und nach zerfrisst es die Crew von innen. Ungefähr zur Zeit des Durchbruchs von »Obscuritas Eterna« wird Geld zum Thema. Arzt und Mach produzieren das Album jeweils ungefähr zur Hälfte. Mach möchte von Basstard laut eigener Aussage zehn Prozent Beteiligung für die Produktion. Basstard sagt heute, er hätte Mach damals 500 Euro für die erste Pressung gegeben und später noch etwas Geld für Anwaltskosten. Heute wüsste er aber auch, dass er mehr hätte geben können. Beide bezeichnen die Sache mittlerweile als geklärt, auch wenn die Farbe der Geschichte noch immer von der jeweiligen Erzähl(er)perspektive entschieden wird. Mit genügend zeitlichem Abstand zeigt Akte heute Verständnis: »Es ist menschlich, dass Leute mit so etwas nicht umgehen können. Natürlich ist das sehr traurig, aber wenn Dinge nicht von Anfang an geregelt sind und das Blatt sich zum Guten wendet und lukrativ wird, dann denken manche Leute halt nur noch an sich.«
Seite 3: »Die Egos wurden zu groß. Neid und Verrat haben Bassboxxx gespalten« (MC Bogy)