Sookee: »Es stellt sich die Frage, warum Deutschrap so wenig zugetraut wird« // Interview

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Mehr Rap als Verstand scheint das Motto einiger Deutschrapper zu sein. Aber Sookee macht da nicht mit. Ihr neues Album »Mortem & Makeup« ist textlich zwar zugänglicher geworden, radikale Statements zur aktuellen gesellschaftlichen Lage stehen aber weiterhin im Fokus. Gerade in Zeiten, in denen sich ein immer größer werdender Bevölkerungsteil unsicher fühlt und in Thesen der AfD wiederfindet, ist das auch bitter nötig.

Du bist Vollzeitaktivistin und Rapperin. Steht der Aktivismus über dem musikalischen Output?
Mir ist beides wichtig. Musik ist aber definierter und als Beruf anerkannter. Aktivismus hat zu viele Facetten und ist nicht kalkulierbar. Als Meinungsmensch durchs Land zu ziehen und Gesellschaft zu diagnostizieren, ist ein diffuses Feld. Manchmal steht auf einem Flyer Rapmusikerin/Akti­vis­tin, eine Woche später ist es umgekehrt. Ich finde aber nicht, dass sich das beißt.

Trump ist Präsident, obwohl der Pop geschlossen dagegen stand. Jetzt wird behauptet, Künstler hätten an Einfluss verloren. Besteht bei dir die Gefahr, nur Gleichgesinnte zu erreichen und sonst unterzugehen?
Das ist eine große Unterstellung. Natürlich hat es die US-Pop-Elite nicht geschafft, Trump zu verhindern, aber das ist eine graduelle Sache. Zu meinen Konzerten kamen vor einigen Jahren gerade mal zwanzig Leute, plötzlich waren es 200. Irgendwoher müssen die ja kommen. Musik und ihre Themen beeinflussen Menschen über Jahre hinweg. Letztens hatte ich ein Gespräch mit einer 21-Jährigen, die einen acht Jahre alten Song von mir zitiert hat. Jetzt sitze ich mit ihr in einem Seminar zu Philosophie und HipHop und bin geflasht von dem, was sie zu sagen hat. Natürlich ist Politrap manchmal Lifestyle. Es gibt Momente, in denen sich Leute ein Fan-Shirt überziehen und sich für bessere Menschen halten. Aber das ist nicht alles. Musik ist der Soundtrack für politische Strömungen und oft die andere Seite eines Dialogs.

Alben von Frank Ocean und Kendrick Lamar haben Diskussionen angeregt und waren gleichzeitig musikalisch ­innovativ. In Deutschland passiert so was selten. Warum?
HipHop hat in den USA ein anderes Selbstverständnis. Die Entstehungsgeschichte dort ist klar politisch gefärbt. In Deutschland sind viele dagegen frühestens bei Fanta 4, wenn alles gut läuft bei Advanced Chemis­try, eingestiegen. Es gibt die Erfahrung von Rassismus als Teil der Geschichte von HipHop hier nicht so stark. Das war eher ein Jugendzentrumding als ein Aufbegehren gegen Ausgrenzung. Der Spaßfaktor war und ist in Deutschland wichtiger als die Frage, was mit Rap noch zu vermitteln ist. Ohnehin sind politische Kultur und der Kunstbegriff bei uns total von Hochkultur eingenommen. Goethe und Schiller oder, wenn man Glück hat, Brecht und die Dadaisten sind da wichtig – Rap nicht.

Vor allem auf die Jugend hat Rap aber einen größeren Impact als etwa Literatur oder bildende Kunst. Das wird mittlerweile auch akzeptiert, sogar gewürdigt.
Aber das ist eine relativ neue Entwicklung. Es wird immer noch behauptet, dass Rap nichts zu sagen hat. Popkultur hat einen großen Einfluss, aber keine Tradition von politischer Aussagekraft. Eher: Partysongs, Lovesongs, Selbstdarstellung. Hochkultur widmet sich in den Augen vieler den großen Themen, also Politik und Philosophie. Diese thematische Agenda hat HipHop lange gefehlt. Jetzt durchmischt sich alles. Durch die digitalisierte Welt und das Zusammenwachsen von Referenzen und politischen ­Themen werden mehr Leute erreicht, Popkultur wird ernster genommen. Gerade deswegen stellt sich die Frage, warum Deutschrap so wenig zugetraut wird.

Vielleicht, weil Rapper wie Kollegah und sogar Haftbefehl in politischen Songs absurde Rothschild- oder Illuminaten-Theorien auftischen. Du machst dich auf »Bilderbücher Konferenz« darüber lustig.
Mit Verschwörungstheorien ist es ähnlich, wie mit Religion: Entweder du glaubst daran oder nicht. Es geht nicht um Wissen. Vielleicht lässt man es diesen Rappern durchgehen, weil immerhin eine politische Ambition herauszuhören ist – die bekommt aber eine Schlagseite, die nicht zuträglich ist, sondern verwirrt. Ich lache darüber und nehme das aufs Korn. Dann kann ich mich wieder wichtigeren Themen widmen: V-Leuten und Verfassungsschutz rund um den NSU-Prozess zum Beispiel. Wie kann es sein, dass Zeuginnen kurz vor ihrer Vernehmung tot sind? Das hat nichts mit Reptiloiden zu tun. Trotzdem bin ich vorsichtig, da das Wort Verschwörung in den Mund zu nehmen, weil ich nicht will, dass die Assoziation in eine falsche Richtung läuft. Die klare Trennung ist wichtig: Das eine ist Aluhut-Idiotie, und auf das andere müssen wir wirklich gucken.

»Wer zieht denn wirklich nach Goa und kifft die nächsten dreißig Jahre? Niemand.«

Die komplizierten Zusammenhänge des NSU-Prozesses und die fünf toten Zeugen könnten eine Hörerschaft verschrecken, die unterhalten werden will.
Aber warum? Wir gucken doch auch Agentenfilme und spielen abgefahrene Computerspiele, in denen man sich komplexen Aufgaben widmet. Warum trauen wir uns das nicht im richtigen Leben zu? Trotzdem ist es natürlich schwer, daraus einen Track zu machen.

Auf deiner Single »Q1« sagst du: ­»Einsame Insel oder Untergrund«. Ist das nicht feige?
Natürlich ist das keine Option, eher eine Fantasie in der Überforderung. Ich würde niemals auf eine Insel oder in den Unter­grund gehen. Wer zieht denn wirklich nach Goa, setzt sich an den Strand, kifft die nächsten dreißig Jahre und entzieht sich ­jedem bürgerlichen Leben? Niemand. Wichtig ist eher, wie es sich dazwischen gut leben lässt. Die Frage ist: Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir?

Und welche hast du?
Meine Fähigkeit ist es, die Fragen zu stellen.

Reicht das?
Es ist immerhin etwas. Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass es wichtige Fragen wären, würde ich sie nicht stellen. Das Feedback auf die Single war ja nicht verkehrt. Außerdem versuche ich seit Jahren durch Solikonzerte, Artikel und auf Podien, Gegenwärtiges zu erfühlen und zu diskutieren. Ich weiß, dass Songs einen Multiplikationseffekt haben. Ich bin wie eine Gastgeberin, die einen Kuchen backt und Räume bereitstellt, in denen sich die Hörer den Themen von da aus weiter widmen können.

Rap ist auch ein Freiraum, in dem sich jeder, unabhängig vom sozialen Background, ohne große Mittel verwirklichen kann. Ist das der Grund, warum du dabeigeblieben bist?
Ja, das fasziniert mich an Rap. Deswegen verteidige ich ihn, wenn Leute von mir hören wollen, er wäre sexistisch und homophob. Rap lässt einen herausfinden, was man zu sagen hat und bringt schnell Anerkennung. Die Erlebbarkeit ist total stark. Wenn jemand die mieseste Punchline droppt, haut mich das einfach um. Ich kann mich gut auf solche Momente konzentrieren und habe da Bock drauf. Ich sehe jetzt auch Leute Shows spielen, die früher im Publikum meiner Konzerte standen. Das ist der Wahnsinn. Da kann ich Fan sein und einen guten Abend haben. Einige wollen das dann in musikindustrielle Strukturen umsetzen, andere haben einen geilen Snapchat-Account und das reicht. Da ist viel möglich. Ich mag die Vervielfältigung von Vielfalt – und am Ende entstehen geile Songs. ◘

Foto: Eylul Aslan

Dieses Interview erschien in JUICE #179 (hier versandkostenfrei bestellen).

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