XXXTentacion – Look At Me! // Video

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Es mag ein Zufall sein, dass das verstörendste Musikvideo des Jahres nur wenige Tage nach dem Hurrikan Irma von Florida aus über die USA (und dann auch den Rest der Rapwelt) hinwegfegt. Es mag Zufall sein, dass der Interpret des Songs zu ebenjenem Musikvideo ebenfalls aus Florida stammt. Was kein Zufall ist: Im absurden Clip zu »Look At Me!« kulminiert vieles, was seit dem kometenhaften Aufstieg von Jahseh Onfroy alias XXXTentacion brodelte – auf SoundCloud, in den News-Spalten der Auskenner-Musikmedien, in der Gefängniszelle, in die XXX bis vor wenigen Monaten eingesperrt war.

Aber der Reihe nach: »Look At Me!« existiert bereits seit Ende 2015 auf SoundCloud – bis der Track sein virales Potenzial vollkommen entfaltet, vergehen Monate, nein, fast ein Jahr. Nicht nur der Hype um XXXTentacion hebelt viele Mechanismen der Musikindustrie aus, auch sein künstlerisches Schaffen und der Kult um seine Person sind ein Paradigmenwechsel im amerikanischen Mainstream-Rap: sein Auftreten ist androgyn, irrational, von offensichtlichem Opiat-Konsum beeinflußt. Die Vorwürfe gegen ihn sind schwerwiegend – ab dem 5. Oktober muss er sich vor Gericht u.a. gegen Vorwürfe der schweren Körperverletzung einer schwangeren Frau und häusliche Gewalt (in Form von Strangulation) verantworten. Sein gerade erschienenes Debüt »17« ist das Testament einer zerrütteten Seele, der 19-Jährige spricht auf dem nur 22 Minuten andauernden Album mehrfach über tiefste Depressionen und die damit einhergehenden Selbstmordgedanken. Zu guter Letzt die musikalische Komponente: die Bässe auf »Look At Me!« übersteuern ganz bewusst hoffnungslos, der auf dem Instrumental zu hörende Trademark-Flow mit dem obligatorischen »Ay!« in jeder Zeile wurde längst von Drake adaptiert, was ihm wütende Biting-Vorwürfe von XXXs Online-Armee einbrachte und den Rapper selbst zu Hasstiraden gegen den kanadischen Superstar anstachelte. Und die eröffnenden Zeilen: »Ayy, I’m like ‚Bitch, who is your mans?’/Ayy, can’t keep my dick in my pants«, gehören wohl längst zu den meist zitierten Bars des Jahres. In den Staaten ist der Track seit wenigen Wochen mit einer Platin-Auszeichnung versehen.

Nun also der Clip: statt billiger Bewegtbild-Performance zum SoundCloud-Hit ist das Split-Video gleichzeitig eine Mischung aus Plädoyer für Nächstenliebe, Kommentar zu institutionellem Rassismus und der Polizeigewalt gegen Schwarze. Nur so viel als Spoiler: in einem Ausschnitt aus einem Theaterstück erhängt XXX vor den Augen eines dunkelhäutigen Grundschulkinds ein gleichaltriges Kind mit weißer Hautfarbe. Der Clip schließt mit einem vom Smartphone abgelesenen Pamphlet, das sich an seine jugendlichen Zuhörer richtet – eine gesellschaftliche Gruppe, die, so XXX, »nie dazu inspiriert werden würden, einen Wandel einzuleiten«. Interpretationsspielraum lässt das Video trotzdem zur Genüge. Dass die Achterbahnfahrt, auf der sich die Karriere von XXXTentacion abspielt, weiterhin unvorhersehbar bleiben wird – das scheint aktuell das einzig Sichere.

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