Wer das Rapgame in den USA die nächsten Jahre dominieren wird, weiß die Redaktion des größten US-amerikanischen HipHop-Magazins XXL. Seit 2007 küren sie die Freshman Class, bringen die besten und die am meisten polarisierenden Rapper zusammen. Auch wenn die Auswahl jedes Jahr aufs Neue hochumstritten ist, der Erfolg gibt XXL recht. Zu den Freshman-Alumni zählen unter anderem Kid Cudi (2009), J. Cole (2010), Kendrick Lamar (2011) und Travi$ Scott (2013) – also die Besten zurzeit. Im letzten Jahr wurden in der Klasse vor allem die Haare gestylt und laut gemurmelt. Mumble-Rap war 2016 und ist 2017 noch immer Istzustand. Aber wer steckt eigentlich hinter den Pseudonymen Playboi Carti, XXXTentacion, Ugly God und Madeintyo? Wir haben die 2017er Freshman Class für euch vorgestellt.
Playboi Carti
Vermurmelter Adlib-Rap, Avantgarde-Mode und Savage-Attitüde: Playboi Carti steht für Rap in Zwosiebzehn. Und der besteht nicht selten aus selbstreferentiellem Gebrabbel auf wummernden Beats – so auch beim 20-Jährigen aus Atlanta. Doch so richtig will Playboi Carti dem Prototyp des goldbehangenen Mumbler nicht entsprechen. Während seine juvenilen Schaffenskollegen der Generation Soundcloud haufenweise Releases rausballern, macht sich das ATLien rar. Lediglich zwei Tapes und eine Handvoll Songs schwebten bis vor Kurzem auf der Soundwolke.
Carti, damals noch im Weirdo-Umfeld von Awful Records zu verorten, verschrieb sich irgendwann gänzlich der Ästhetik. Sowohl im Soundbild, als auch in Social Media. Dort gibt es statt der Ausbeutung der eigenen Privatsphäre höchstens mal ein Selfie im Raf-Simons-Outfit oder ein Bild mit Fashionrap-Buddy A$AP Rocky zu sehen. Im April kam dann das selbstbetitelte Debüt, zwei Monate später das Freshman-Cover. Und irgendwo auf der Welt werden gerade Supreme-Artikel über die Ladentheke gezogen, begleitet von Cartis verzerrten Adlibs.
XXXTentacion
XXXTentación ist das Letzte-Reihe-Kid der ’17er Freshman Class. Der Typ, der die Pausen rauchend auf dem Schulklo verbringt, das Essengeld aus den Hosentaschen der Siebtklässler schüttelt und vom Rest der Bagage gleichermaßen gefürchtet wie angehimmelt wird. Selbst wer seine Mucke bis dato ignoriert hat, weiß zumindest ansatzweise um Xs kriminellen Zeitvertreib: Vor sechs Jahren bereits Stammgast im Jugendknast, Anklagen wegen bewaffneten Raubes und zuletzt häuslicher Gewalt an seiner angeblich schwangeren (und schwer drogenabhängigen) Freundin. Die Liste ist lang, Jahseh Onfroy keine zwanzig.
Auch was Output und Reichweite angeht, bewegt sich X in überdimensionalen Kreisen. Mehrere Millionen Streams auf Soundcloud sprechen für sich. Vielleicht fasziniert XXXTentación gerade aufgrund seiner abwechselnd aggressiv-suizidalen Attitüde mit Distortion-Exzess (»Numb«- und »Alone«), und den einfließenden Singer-Songwriter-Nuancen. Diese Vielfalt ist Rechtfertigung genug, ihn zu den diesjährigen XXL Freshmen zu zählen. In die zehnte Klasse wurde er übrigens nicht von der Redaktion ausgewählt, sondern von seinen devoten Fans. Weil, um es in seinen Worten auszudrücken: »Why do I think they chose me? If y’all didn’t, y’all did’t respect the culture this year.«
Ugly God
»You say I ain’t shit, Bitch I’m Ugly God, I’m well known«. Spätestens seit dem Freshman-Cover mag Ugly God damit Recht haben. So well known, dass sogar der Bayrische Rundfunk kürzlich seine Begeisterung für die unbekümmerte Selbstironie des Houston-Rappers in einem Online-Artikel ausdrückte. Und tatsächlich stößt Ugly God als Anti-Posterboy mit rotzfrecher Attitüde die Fenster im Narzissmus-verhangenen HipHop-Zimmer auf und lässt frischen Wind herein.
Natürlich ärgert der 20-Jährige damit mal wieder die grimmigen Rap-Traditionalisten. Doch am Beispiel von Memerap-Kollege Lil Yachty ist zu erkennen, dass das in 2017 eigentlich niemanden mehr interessiert. Ein 20-jähriger Brillenträger, der vor knapp zwei Jahren anfing über Cartoons, vulgäres Zeug und irgendwie alles, worauf er Lust hat, zu rappen. Einer, der sich selbst beleidigt und über die eigenen Songs sagt: „My music is trash“. Wieso nicht? Es darf und sollte das geben. Auch wenn es nicht jedem zusagen mag: Frisch ist wohl das beste Attribut, das die musikalischen Absurditäten von Ugly God beschreibt.
Madeintyo
Atlanta, Check. Wummernder Trap-Bass, Check. Adlibs en masse, Check. Trotzdem lässt sich Madeintyo (sprich: Made in Tokyo) nicht als der klassische Bando-to-Mansion-Rapper einordnen. Zu anders ist seine Vita, zu divers ist seine Künstlerpersona. Entscheidende Jahre seiner Jugend verbringt Madeintyo in Japan, bis es ihn gemeinsam mit seinem Bruder 24hrs nach Atlanta verschlägt, wo »Uber Everywhere« entsteht – in der Küche des Hauses seiner Mutter.
Ende 2015 erschienen und bei mittlerweile knapp 54 Millionen Youtube-Klicks angekommen, war »Uber Everywhere« der Überhit, der den 25-Jährigen aus Atlanta heraus in andere Sphären katapultierte. Und da fühlt er sich anscheinend ganz wohl, hängt mit Big Sean ab und lässt sich seine Songs von Travis Scott verzieren. Madeintyo reiht sich nahtlos in die Reihe der Weirdos ein, die Atlantas Szene in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Und in die Reihe der XXL-Freshmen. Check.
Hier geht es zu Teil 1 mit Kyle, A Boogie Wit Da Hoodie und Aminé.
Hier geht es zu Teil 3 mit PnB Rock, Kap G, und Kamaiyah.