Xatar: »Es gibt Rapper, die rauchen noch mehr Shisha als alle anderen.«

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Xatar-Original

Du warst während deiner Zeit als ­Freigänger sehr darauf bedacht, dass dein Name möglichst nirgendwo auftaucht.
Ich habe bewusst gewartet. Mein Plan sah vor, so viel wie möglich vorzubereiten, die Platten von Kalim und Ewa zu releasen und undercover zu bleiben. Ich wollte nichts von mir preisgeben, um den Hype um meine Person nicht zu früh loszutreten. Es hätte mir nichts gebracht, wenn die Leute checken, dass ich draußen bin, aber nur Beats mache.

Hast du dir viele Gedanken darüber gemacht, deine Entlassung zu inszenieren?
Sohail hat das halt mitgefilmt. Nach kurzem Überlegen haben wir uns dazu entschlossen, das Video zu veröffentlichen. Wenn jemand Berühmtes aus’m Knast entlassen wird, denkt man doch automatisch, dass man seine Entlassung dokumentieren muss. Meine Jungs haben immer zu mir gesagt: »Lass uns das richtig fett aufnehmen, mit Limousine und Hoes.« Da habe ich schon immer gesagt: »Slow down, Alter! Ich sag euch noch nicht mal, wann ich rauskomm’.« Aber die Entlassung an sich ist natürlich ein Feeling, das man sich herbeisehnt. Und das muss festgehalten werden, Bruder.

Wegen dieses Tages kratzt man schließlich die Striche an die Wand. In der Doku, die VICE über dein Leben im Knast gedreht hat, konnte man auch den Wandkalender in deiner Zelle sehen, auf dem du jeden verstrichenen Tag markiert hast. Hast du das in Freiheit beibehalten?
Nein, Alter, ich hab mir das endlich abgewöhnt. Gott sei Dank. Jetzt bin ich wieder verpeilt. Ich weiß nicht mal, was für ein Tag heute ist. (lacht) Im Knast macht man jeden Tag dasselbe und verliert deswegen sein Zeitgefühl. Da tut es gut, sich bildlich vor Augen zu führen, wie viele Monate eines Jahres man hinter sich hat. Jetzt brauche ich das nicht mehr, weil ich Google Calendar benutze – Bombending! Ich bekomme meine Termine einfach aufs Handy und weiß, was ich machen muss. Geiles Leben, Alter!

Wie hat sich denn dein Leben seit ­Dezember entwickelt?
Seitdem ist nur noch Stress. Als ich im Sommer in den offenen Vollzug kam, fand ich’s schon anstrengend, aber wegen des Albums ist jetzt richtig mies Stress. Die Erwartungen sind sehr hoch, daran bin ich selbst schuld. Ich habe hoch geschissen, sag ich mal. Den AON-Standard nochmals zu überbieten, wird immer schwerer. Dann noch die Single-Problematik – ein extremer Kopffick. Eine Single muss auf einer ganz anderen Ebene funktionieren als ein Albumtrack. Wir haben die Reihenfolge der ersten beiden Singles gefühlt 250 Mal getauscht. Ich hab da auch so viel umgeschrieben. Die erste Single musste einfach gewisse Infos enthalten.

Eine Zeitlang hieß es, dass dein ­nächstes Album »Reasozialisiert« heißen soll. Wieso hast du dich letztlich dagegen ­entschieden?
Zum einen ist das phonetisch nicht cool. Da klingt »Baba aller Babas« wesentlich besser. Zum andern will ich klarstellen, was ich von mir selbst im Vergleich zur Konkurrenz halte.

 
Nach dem »Ich trage Mantel«-Video dachte ich, das Album würde auch so heißen.
Das dachten viele. (lacht) Aber das wäre zu vorhersehbar gewesen. Ich bin bei so was zu abgewichst. Das war ein Trend, und ein Trend geht vorbei. In drei Jahren schämt man sich dann dafür. Also darf man kein Album nach irgendwelchen Trendwörtern benennen, wenn man will, dass daraus ein Klassiker wird.

Apropos Trendwörter: Von der ­Wortschöpfung »Shisha-Rapper« fühlen sich ja so einige angesprochen.
(lacht) Egal, mir gefällt das. Ich lass das so weiterlaufen. Und ich sage dieses Wort, während ich Shisha rauche. Die psychologische Komponente dahinter ist geil: Alle rauchen Shisha, aber lang nicht alle fühlen sich davon angesprochen. Es gibt Rapper, die rauchen noch mehr Shisha als alle anderen. Mit denen hab ich jeden Tag Kontakt, und von denen hat keiner was gesagt.

Nervt dich der angesprochene Stress?
An diesem Stress sind wir bei AON doch selbst schuld. Wir sind übertrieben perfektionistisch. Wir ändern etwas fünfhundert Mal und nehmen es am Ende doch nicht. Selbst mit einem Jahr Zeit schaffen wir es, die Masterabgabe zu verpennen. Ewas Album war unser erstes Release im Labelkatalog, das nicht verschoben wurde. Mit meinem Album wollte ich erst richtig anfangen, wenn ich ein freier Mann bin. Drinnen schiebt man Hass aufs System, auf die Welt. Das fuckt einen ab. »Baba aller Babas« ist ein Album in Freiheit, das will ich zelebrieren. Dieses Feeling hätte ich drinnen nicht hingekriegt.

Also sind alle Texte nach deiner Entlassung entstanden?
Nein. Ich habe drinnen hunderte Texte geschrieben. Davon sind ein paar übrig geblieben. »Justizia« ist noch in Haft entstanden. »Meine große Liebe« habe ich schon vor zwei, drei Jahren angefangen, und dann erst nach der Entlassung fertiggeschrieben. Aber die Singles und Tracks, die einen eher positiven Vibe haben, sind draußen entstanden.

Hattest du drinnen mit Schreibblockaden zu kämpfen?
Ich war die ersten zwei Jahre in U-Haft, da geht nichts. Auch keine Kommunikation mit der Außenwelt und so. Ich war damals auf einer Viermann-Zelle. Jeden Abend haben meine Zellengenossen zwischen sechs und acht Fernsehen geguckt, »Berlin – Tag & Nacht« und so ne Scheiße. Da hab ich mich konsequent in die Ecke verzogen, mit Ghettoblaster und Kopfhörern, und wirklich jeden Tag nen Sechzehner geschrieben.

Der Knast hat dich also zu einem besseren Rapper gemacht?
Ja, zu hundert Prozent. Ich hab mich unglaublich viel mit Rap beschäftigt, man konnte da drinnen ja CDs bestellen. Man hat als Rapfan immer eine Auswahl an Alben, die man unbedingt mal hören will. Das habe ich jahrelang durchgezogen und viel aufgearbeitet. Gerade Alben, die von Rap-Experten als Klassiker bezeichnet werden. Ich habe versucht, nachzuvollziehen, was daran besonders ist. Manchmal hab ich das gefunden, manchmal nicht. (lacht)

Bei wem denn zum Beispiel?
A Tribe Called Quest, da hab ich’s irgendwann gepeilt. Aber The Pharcyde: Deren erstes Album wird viel krasser bewertet als »Labcabincalifornia«, was ich nicht nachvollziehen kann. Das ist mir zu unmusikalisch. Ich hatte so viel Zeit wie niemand da draußen, um Rap zu hören. Das hat mir gut getan und mich angespornt, an meinen Lines zu arbeiten. Das ist die wirklich hohe Kunst, keine Lückenfüller mehr im Text zu haben. Auch in Sachen Reimtechnik hab ich zugelegt. Ich könnte richtig reinscheißen, mein Wortschatz ist groß. Aber ich will meinen Style jetzt nicht komplett ändern.

Für die richtig krassen Reimketten habt ihr ja auch Ssio.
Genau, ich will ja auch nicht, dass die Leute auf einmal behaupten, ich würde Ssio nachmachen. Ich habe weiterhin meinen eigenen Style. Viele haben das auch noch nicht erkannt, aber ich löse den Reim gerne mal an einer unerwarteten Stelle auf. Manch einer denkt da schnell: »Da reimt sich doch nix!«

Das ist ja auch ein gängiger Vorwurf ­gegenüber Haftbefehl.
Das ist behindert, aber auch dieses typisch deutsche Schuldenken, dass Reime nur funktionieren können, wie man das vielleicht mal im Deutschunterricht gelernt hat. Wobei ich das nicht so extrem betreibe wie Aykut [Haftbefehl; Anm. d. Verf]. Bei ihm ist es wirklich so, dass man sich intensiv mit seinen Texten auseinandersetzen muss, um zu kapieren, was er da macht. Auch ich muss das. Und ich kenne seine Reime seit seinen Anfängen. Mir selbst ist die Atmung enorm wichtig. Ich habe das ganze Album so geschrieben, dass ich die Texte live alleine performen kann. Da ist nichts gepanscht.

Auf dem Album gibt es eine Art Interlude, auf dem du einen Flow auspackst, den man so von dir nicht kennt.
Du darfst es ruhig sagen: der Beat ist trappig. Da sind 808-Elemente drin. Ich dachte, du traust dich das nicht zu sagen, weil da das AON-Logo an der Wand prangt. Der Beat kommt von unserem Produzenten Reaf, der wieder extrem in die Arbeit am Album involviert war. Er hat letztes Jahr auch angefangen, Beats in diesem Stil zu machen. Er hat das »Boomtrap« genannt. Dieses Jahr wird’s noch einige Beats in diesem Stil auf Alben anderer Rapper geben, viele haben Interesse an diesen Produktionen gezeigt. Mir ging es darum, damit auch mal eine andere Facette zu zeigen. Wir können vieles, nur waren wir lange zu blöd, das auch zu beweisen. Ssio rappt seit 2000, war 2008 zum ersten Mal bei mir auf nem Album und konnte aber erst 2012 wirklich zeigen, was er auf’m Kasten hat. Jetzt müssen wir noch mehr zeigen, um zu verhindern, dass Gangsta-Rap in Deutschland abflacht. Denn vieles knallt, aber die musikalische Qualität lässt zu wünschen übrig.

Bei deutschem Gangsta-Rap hat man oft das Gefühl, dass die Leute ein Erfolgskonzept finden und das dann auf jedem Album wieder auf’s Neue kopieren.
Ich möchte bei einem Album spüren können, wie viel Mühe da drin steckt. Business hin oder her, das muss Kunst werden. Das ist auf Straßenrap-Alben ganz selten der Fall. Außer bei uns sehe ich das sonst nur noch bei Haftbefehl. Okay, bei den Ratten [Rattos Locos Records; Anm. d. Verf.] fand ich das auch krass. Allein die Skits auf Nates Mixtapes. Und auch die Beat-Auswahl, die Flows, dieses Grime-Ding. Ich habe ja auch einen sehr starken London-Bezug, weil ich eine Weile dort gelebt habe.

 
Wie hast du Grime damals erlebt?
Ich war schon während meiner Jugend oft in London, weil ich dort Verwandte habe. Das war noch zu 2Step- und Garage-Zeiten. Als ich dann 2005 zum Studieren hingezogen bin, hieß es in Bezug auf Garage: »That’s old school, mate!« Die haben dieses Grime-Ding richtig gelebt, das war eine aggressive Zeit. Die haben sich wegen dem Scheiß gegenseitig abgeballert. Irgendwann bin ich mal weiß Gott wo auf einer Party gelandet, die richtig krank war. Die Jungs dort sahen alle aus wie Teenager. Die trugen Jogginghosen, die auch als Schlafanzüge durchgegangen wären. Und die Leute haben ihre Pitbulls auf die Party mitgebracht. Komische Mentalität, Alter. Auf jeden Fall laberte der DJ in seinem Dialekt irgendwas, wovon ich kein Wort verstanden habe. Auf einmal packten die alle ihre Knarren aus. Das waren Kinder, Bruder! Trotzdem sind die musikalisch viel weiter als wir.

Du hast öfter erwähnt, dass du bei dir im Viertel eine Ausnahme warst, weil dir deine Eltern Klavierunterricht bezahlt und eine musikalische Erziehung ermöglicht haben. Zehrst du davon heute noch?
Zu Beginn hat mir mein Vater Klavierunterricht gegeben, aber der spielte eigentlich Klarinette, also hat er mich irgendwann zum Unterricht gebracht. Später, als sich meine Eltern getrennt hatten, hat meine Mutter dann heimlich bei der Pianistin geputzt, damit ich weiter Unterricht bei ihr nehmen konnte. Ich wusste davon nichts. Deswegen ist das für mich auch heute noch enorm wichtig. Und ich habe damals schon gemerkt, dass mir das Klavierspielen sehr viel bringt. Als Kind ist man nicht lange konzentriert, aber der Klavierunterricht hat mir das beigebracht und mir so auch in anderen Bereichen geholfen. Auch meinen Einstieg in Rap hat es erleichtert. Denn als Maestro irgendwann mit Fruity Loops ankam, konnte ich mein Wissen direkt auf die Produktion anwenden. Über die Jahre habe ich dann aber gelernt, diesbezüglich die Verantwortung an andere abzugeben. Was unsere Drums angeht, da gibt’s Sachen, die höre ich selber nicht.

Aber Reaf schon?
Ja, der fickt alles weg. Du hörst ja unsere Drums, Alter. Das kriege ich selbst nicht hin. Da hört es bei mir auf. Aber wenn man die Aufgabenbereiche in einem Team gut zuordnet, ist man unschlagbar.

 
Bist du denn über die Jahre besser darin geworden, Verantwortung abzugeben und Aufgaben zu delegieren?
Auf jeden Fall. Ich bin nicht in einer Umgebung aufgewachsen, in der ich von erfolgreichen Leuten hätte lernen können. Vieles hab ich mir autodidaktisch beigebracht. Bei »Iz da« habe ich vor einem halben Jahr den Beat von Enginearz bekommen. Der bestand nur aus den Strings und den Drums. Ich habe dann eine durchgehende Bassline, die Gitarre und per Talkbox die Melodie hinzugefügt. Anschließend hab ich das Ganze an Reaf weitergereicht, der den Beat dann noch mal pimpt: Er macht die Hi-Hats krasser, werkelt an Snare und Kick und mischt dann die Instrumente neu. Ich bin mit der Qualität der Produktionen sehr glücklich. Wir treiben dieses Soundkonzept auf die Spitze. Beim Ssio-Album, das im Sommer erscheinen soll, wird es noch weiter ausgereizt. Und Kalim ist ebenfalls bereits fleißig.

Apropos Soundkonzept: Wer sind ­eigentlich die Enginearz und The Breed?
Die Enginearz sind ein Produzententeam aus dem Rhein-Main-Gebiet. Mit denen arbeiten wir seit »BB.U.M.SS.N.«. Und wer The Breed ist, kann ich an dieser Stelle ja auflösen: Letztes Jahr, als ich im offenen Vollzug war, durfte ich offiziell nichts machen, musste aber produzieren. Diese Arbeit habe ich mit zwei Tontechnikern gemacht. Als Team haben wir uns aus Spaß The Breed genannt, weil ich die beiden züchte. Im Grunde war dieser Name eine Notlösung dafür, dass auf Ewas Album nicht »produziert von Xatar« steht.

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