Warum traut sich kein Rapper den Bra zu dissen? Vielleicht, weil der Bra mit den »Knastversionen« auf seinem Album »Nr. 415« den authentischsten Moment lieferte, seit Straßengeschichten auch auf Deutsch gerappt werden. Als Xatar damals die prekäre Aufnahmesituation im Knast hörbar machte, eröffnete er Tracks gerne mit einem »So wie der Song ungefähr sein soll«. Drei Jahre später ist der Bra wieder dort, wo es anstelle von Thunfisch aus der Dose leckeren Hummus gibt – und plötzlich sind die Songs nicht mehr nur ungefähr so, wie sie sein sollten. Dass Xatar hinter schwedischen Gardinen nicht nur Eisen gestemmt, sondern auch mit Wörtern hantiert hat, wird spätestens nach dem Intro klar, wenn sich das AON-Oberhaupt mit Protegé SSIO in »Pääh« die Lines zuspielt und sich beide mit ihrer Delivery gegenseitig tunneln. Und wenn es darin heißt, »meine Jungs hängen ab auf Pokerturnieren/Achtzig Prozent der Spieler sind Großfahndungsziele/Stinken nach Knoblauch und Zwiebeln«, ist in etwa der Rahmen gesteckt für die bildreiche Erzählung, mit der sich Xatar auf »Baba aller Babas« durch sein neues altes Leben manövriert. Zugegeben, wenn der frisch entlassene Bra die hiesige Rapwelt mit ihren »knuffigen kleinen Shisha-Rappern« nicht so recht verstehen will, ahnt man, wie furchtbar schief das hier hätte gehen können. Zum Glück klingt »Baba aller Babas« aber zu keinem Zeitpunkt verbittert oder resigniert. Ganz im Gegenteil. Denn Xatar versteht es, seinen Unmut in die Rolle des Don im Mantel umzumünzen, der eh über allem schwebt, wenn er D’Angelo im Jeep pumpt. Gut, vielleicht ist dem daraus resultierenden Hochmut der eine oder andere Track geschuldet, an dessen Stelle gerne auch eine so erschreckend treffsichere Systemanalyse wie »Hazaks 2« hätte stehen können. Und ja, wenn Releases zwischen Bad Boy und Death Row hörbar als Sound-Vorlage dienen, dann ist das vielleicht aus der Zeit gefallen. Doch bislang hat kaum einer das Gangsta-Bummtschack der Mittneunziger so konsequent in die Gegenwart überführt wie das Produzentengespann aus den Enginearz, AON-Hausproduzent Reaf und The Breed – nicht mal in Übersee. Dass Xatar beim Sound selbst seine Finger im Spiel hatte, zeigt einmal mehr, wie sehr sich dieser Mann dem Game verschrieben hat. Wer’s bezweifelt, möge versuchen, den Bra zu dissen.
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