Wie Grafi, Contrast und Haxan aus Rock und Rap eins machen // Feature

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Es ist Corona-Zeit, Anfang April. Die Realität ist ein Schatten ihrer selbst und Reportagen lassen sich anstatt mit Face-to-Face-Interviews, Treffen oder Konzertbesuchen lediglich nur noch aus Gesprächen über Skype oder Zoom zusammenbauen. Dennoch tut sich etwas in Deutschrap. Irgendwo, ganz tief unten, weit, weit weg von der Oberfläche und noch längst nicht für die Casual-Playlisten-Hörer*innen vernehmbar, und doch ist die Entwicklung laut, spannend und radikal.

Da ist Grafi, der sich seit 2017 mit seinem von Rap und skandinavischem Metal geprägten Soundentwurf im Deutschrap-Untergrund ein Standing erspielt hat. Mit »Neptun« schickt Grafi Ende März die erste Single seines Albums »Ektoplasma« ins Netz. Stilsichere Rapparts treffen auf kehlige Shouts, trappige Drum-Patterns auf metallene Gitarrenflächen.

Zeitgleich veröffentlicht Haxan seine »WAR«-EP, auf der ebenfalls gerappt und geshoutet wird, auf der sich der Sänger der progessiven Metal-Core-Band Kora Winter lyrisch und technisch austobt und die Grenzen zwischen Rap und Metal gekonnt bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

Währenddessen landen die ersten Demos von Contrast im JUICE-Mail-Postfach, wenig später feiert dessen Track »Frostschutz« Premiere auf unserem Youtube-Kanal. Contrasts Sound ist minimalistischer. Drums, eine klare, beißende Gitarre, Lyrics und sehr viel Haltung und Atmosphäre.

Drei Künstler, drei ganz eigene Interpretationen der eigenen musikalischen Sozialisationen und sehr viel Mut, zwei vermeintlich verschiedene Welten zu fusionieren. Natürlich, der Ansatz ist nicht neu. Ruffiction, Kex Kuhl oder Tamas vermischten auch schon Rap und Rock zu ganz eigenen Soundentwürfen.

Dennoch: Grafi, Haxan und Contrast sind es wert, sich genauer mit ihnen zu beschäftigen. Zu interessant ist ihr Sound, der irgendwo auf dem Fundament der zuvor genannten Künstler aufbaut, der sicherlich auch von der Groundwork von Artists wie Lil Peep, Ghostemane oder auch den Suicideboys profitiert, aber doch noch einmal anders, weitergedacht und, bei jedem der drei Künstler für sich, extrem eigen ist. Zu spannend sind auch ihre Perspektiven auf ihr eigenes musikalisches Schaffen und den Gesamtkontext, in dem ihre Musik stattfindet. Einen Kontext, in dem die elendige und bremsende Frage, was Rap nun darf oder nicht, zurecht keinen Platz mehr hat.

Culture Clash

Klar ist aber auch, dass das Zusammenführen zwei so »stolzer« Musikkulturen nicht jedem gefallen kann. Grafi machte sich das 2018 zu Nutze. Mit der Betreffzeile »Black Metal vs. Trap Music« schrieb er das Portal metalsucks.com an, im Gepäck das Video zu seinem Track »Stratokumuli«. »Ich habe quasi angefragt, ob wir nicht zusammen einen Shitstorm kreieren wollen«, erzählt Grafi. Gesagt, getan. »Da ging es wirklich ab. Allein bei Facebook gab es 130 Kommentare, fast nur schlechte. So Sachen wie ‚Lösch das oder ‚wir werden Deutschland wieder bombadieren‘, ‚gayer than aids‘ und solche Sachen. Die waren richtig angepisst.«

»Allein bei Facebook gab es 130 Kommentare, fast nur schlechte.«

Grafi

Generell haben sowohl Grafi als auch Haxan und Contrast das Gefühl, dass die HipHop-Szene gegenüber ihren musikalischen Experimenten offener eingestellt ist, als die Rock- und Metal-Welt. »Ich nenne sie mal die Realkeeper- und Oldschool-Metal-Bubble. Da herrscht, glaube ich, eine strengere Gatekeeper-Mentalität. Da gibt es weniger das Empfinden einer Community, in der es Austausch gibt. Was wiederum auch Kultur ist. Kultur ist Bewegung, Austausch, das Aufzeigen von verschiedenen Lebensrealitäten in dieser Kunst. Deswegen werden zum Beispiel Leute wie Haftbefehl ernst genommen und nicht ausgelacht, weil es echt ist. Das gibt es im Metal weniger«, sagt Haxan. »Ich liebe diese Lockerheit und Freiheit und mich mit den Leuten aus der Rap-Bubble zu unterhalten. Dieses Community-Gefühl ist für mich dort viel stärker, das fühle ich für mich im Metal gar nicht mehr.« Natürlich, erzählen Haxan und Grafi, habe es bei Support-Shows für Errdeka, Haiyti und Dazzle ob der Shouts, harten Gitarrenriffs und eigenwilligen Arrangements auch irritierte Gesichter gesehen. Das positive Feedback habe aber klar überwogen.

Foto: Basti Grim

Grafi fand trotz seines außergewöhnlichen Soundansatzes schnell Anschluss und Anklang im deutschen Rap-Untergrund, von Leuten wie Tamas über Young Krillin oder Donvtello. »Tamas habe ich beim ‚Rappening‘ im Prince Charles kennengelernt. Er war total offen, durch die Connection zu ihm habe ich dann immer mehr Leute kennengelernt«, sagt Grafi. »Gefühlstechnisch war das super krass für mich, in dieser Szene mehr und mehr anzukommen.«

Mit seinem dritten Soloalbum »Ektoplasma« will Grafi wachsen und seinen Sound, ohne auch nur einen Funken Härte und Identität zu verlieren, zugänglicher machen. Dabei gelang ihm ein extrem spannendes Album, das unter anderem mit »Dolch Saga« einen der eigenwilligsten Battle-Rap-Songs ever bereithält. Die Black- und Scandinavian-Metal-Einflüsse mit den Trap-Anleihen noch organischer zu vereinen, noch geschmeidiger für das Ohr zu machen, war für Grafi die große Aufgabe auf diesem Release. Dementsprechend viel Aufwand steckt im Mixing und Mastering: »Der Prozess hat ewig gedauert. Ich drehe mit meinen Soundvorstellung auch immer etwas durch. Das war schon ein ziemlicher Aufriss«, erzählt Grafi. Der Producer KCVS produzierte das Album komplett, und tatsächlich klingt »Ektoplasma« so harmonisch, wie ein Mix aus diesen Genres eben harmonisch klingen kann. Auch dank den Live-Gitarren von Grafis Freund Nikita Kamprad von der Band Der Weg einer Freiheit. »Er hat mit Rap eigentlich nichts zu tun, das interessiert ihn gar nicht. Aber er macht genau den Sound, den ich bei Gitarren so mag: Atmosphäre, brachial, Fläche. Diese echten Gitarren machen alles noch etwas gefühlvoller und dynamischer. Da ist mehr Gänsehaut drin«, sagt Grafi.

Neue Freiräume

Er wuchs dabei, so wie Contrast und Haxan auch, mit einer breitgefächerten musikalischen Sozialisation auf. Rap spielte dabei genauso eine Rolle wie eben Metal oder Hardcore. Alle drei spielten schon in Bands, Haxan tut es immer noch. Auch Contrast war Vokalist in mehreren Bands, genauso schraubte er aber schon früh an Rap-Rap-Sachen. Die musikalische Welt, die der Sauerländer sich nun geschaffen hat, erlaubt es ihm, andere Themen anzusprechen und die eigene Wortwahl assoziativer und, wenn man so will, dramatischer zu gestalten: »Ich konnte mich mit diesem Sound persönlich total frei machen. Ich konnte den coolen Rapper, den ich zuvor vielleicht oft mimen wollte, ablegen. Ich nehme kein Blatt vor den Mund, ich rede offen über meine Gefühle. Das habe ich zuvor nicht gemacht«, sagt Contrast.

Foto: NZ6

Zuvor habe er sich selbst einen gewissen Rahmen abgesteckt, in dem er sich lyrisch bewegen könnte. »Mir wurde aber auch viel vorgegeben, wie ich Themen zu behandeln habe. Halt so typisch HipHop-mäßig«, sagt Contrast. »Davon hatte ich schnell die Schnauze voll. Ich habe mich nie darauf eingelassen. Ich hätte gefühlt immer gute Laune haben sollen. Aber die habe ich nicht immer, so bin ich einfach nicht«, sagt Contrast, der von einem Außenseitertum erzählt, von Dorgenexzessen und Krisen.

»Eine 808 von Ronny J hat für mich Gemeinsamkeiten mit einem Metal-Gitarrenriff«

Contrast

Auch Grafi erkannt bei sich, dass sein Sound andere Lyrics und Herangehensweisen für das Schreiben aus ihm herauskitzelt: »Es wird dann alles sehr schnell epischer. Ich komme dann in die alten Metal-Filme von früher rein, das passt dazu gut. Wenn ich einfach auf Beats rappe, geht es oft um mehr Flex-Kram. Auf dem aktuellen musikalischen Untergrund wird es persönlicher und irgendwie mystischer.«

Der Beginn eines Movements?

Für Haxan dienten seine Solo-Sachen zunächst auch dazu, um im Schreibprozess und für seine Band Kora Winter in Form zu bleiben. Erst nach und nach habe er festgestellt, wie anders er seine Lyrics im Solokontext angeht und welcher Raum sich dort für ihn geöffnet hat: »Ich habe gemerkt, dass es meine Grenzen pusht. Bei der ‚WAR‘-EP habe ich Sachen gemacht, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich sie mal machen würde. Über meine Herkunft zu schreiben, über meine Familie zu reden – das habe ich mich davor nicht getraut. Das habe ich durch die Solo-Sachen gelernt«, erzählt er.

Foto: Robin Deutschbein

Haxan unterstreicht aber auch, dass die Community, die alternativen und experimentelleren Rap verfolgt, genau das deutlich erleichtert: »Man muss sich gar keine Gedanken mehr darüber machen, ob es Leute gibt, die das verstehen. Die gibt es und die haben ein sehr offenes Ohr.«

Keiner der drei Künstler will auf Nachfrage jetzt schon von einer richtigen Szene sprechen, die es für ihre Hip-Rock-Experimente gibt. Dafür sei die Sache noch zu klein. Aber, so sagt Haxan: »Ich glaube, dass das gerade die erste Phase einer Szene oder eines Movements ist. Es gibt ja bereits eine große Akzeptanz für sowas wie die Zombiez oder Ruffiction. Gerade sind die Künstler noch all over the place. Irgendwann müssten diese Teile ineinander fallen. Ob das passiert, weiß ich nicht. Aber das Potenzial ist voll da. Das ist möglich.«

Black Metal und Autotune

Grafi sieht ebenfalls, dass sich derzeit eine kleine Subszene bildet, bemängelt aber gleichzeitig, dass zu viele Künstler ihren amerikanischen Vorbildern in Sachen Sound noch zu nah kommen: »Es gibt noch einige Artists, die wirklich eins zu eins wie Lil Peep klingen. Ohne eigenes Soundbild. Diese eigene Identität, die großflächig entwickelt wird, das fehlt mir noch, um vom Beginn einer Szene zu sprechen.« Contrast sieht in dem Maß an Kreativität und in der Breite der Hörerschaft Chancen, nimmt aber auch sich selbst und die anderen Künstler in die Pflicht: »Es gibt Leute, die das hören wollen. Es liegt, denke ich, nun an uns, was wir daraus machen.«

Auf Dauer soll seltener von dem Mix der beiden Genres, sondern einfach von dem Endprodukt als eigenständiges Stück Musik die Rede sein. Denn, und das ist vielleicht das Geheimnis hinter der Leichtfertigkeit, mit der die drei Künstler die Ansprüche ihrer musikalischen Visionen meistern, die beiden Welten liegen für sie eh nicht so weit auseinander, wie man es leicht annehmen könnte: »Eine 808 von Ronny J hat für mich Gemeinsamkeiten mit einem Metal-Gitarrenriff. Dieses Dröhnen. Da kommen sich die Welten meiner Meinung nach sehr nah«, sagt zum Beispiel Contrast. Und Grafi äußert einen Wunsch, der zum einen auf Grund seiner musikalischen Sozialisation konsequent ist und zum anderen zeigt, wie schrankenlos Musik gedacht sein kann: »Ich wünsche mir eine Black-Metal-Band, die mit Autotune arbeitet. Das würde super funktionieren, weil Black Metal auch sehr flächig und atmosphärisch ist.«

Text: Louis Richter
Fotos Titelbild v.l.n.r: NZ6, Basti Grim, Steve Frenzel

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