Vom Planeten Mars

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In der aktuellen Ausgabe JUICE #148 widmet sich die »Kings of HipHop«-Rubrik das erste Mal einem europäischen HipHop-Künstler. Es geht um die französische Band IAM. Kaum ein anderer Act hat französischen Rap über die letzten 20 Jahre so geprägt wie die Gruppe aus Marseille. Sie haben eines der meistverkauften europäischen HipHop-Alben gemacht. Sie haben europäischem HipHop maßgebliche Impulse gegeben und für ihre Heimatstadt Marseille kulturell mehr getan, als jedes Tourismusministerium es jemals geschafft hätte. Wer IAM verstehen möchte, muss Marseille verstehen, die Metropole am südlichsten Ende des Hexagons Frankreich. Daniel Tödt hat ein Buch über die Heimatstadt IAMs und das Verhältnis von Urbanität und lokalem Rap am Beispiel von IAM geschrieben. » Vom Planeten Mars: Rap in Marseille und das Imaginäre der Stadt« ist ein akademisches Buch, jedoch voller Verständnis für die Subkultur und deren Einfluss auf das Bild einer Stadt, die einen ganz eigenen Stand in Frankreich hat.

Marseille ist die älteste Stadt Frankreichs, ein Scharnier zwischen Orient und Okzident und blickt auf eine 2.600 Jahre alte Geschichte als Hafen- und Einwanderungsstadt zurück. Marseille ist ein Melting Pot, ein Spiegel Frankreichs langer Kolonialgeschichte. Eine Stadt mit ruhmreicher Vergangenheit und einer Tradition der vermischten Ethnien und Nationalitäten, eine bunte Spielwiese unterschiedlichster Kulturen. Aber eben auch ein ökonomisches Sorgenkind, ein Moloch aus Korruption und Kriminalität. Für IAM war ihre Herkunft immer zentral. Ohne Marseille kein IAM. Das klingt auf den ersten Blick logisch, aber in diesem Fall geht es viel weiter als die simple, dem HipHop immanente »Dis wo ich herkomm«-Argumentation.

Für »Vom Planeten Mars« hat Daniel Tödt seine Magister-Arbeit, die er an der Humboldt-Universität Berlin geschrieben hat, überarbeitet. Er erklärt darin das Verhältnis von Musik und Urbanität. Die Arbeit »zielt […] auf zweierlei: den Rap in Marseille und das Marseille im Rap.« Die Gruppe IAM, als »wichtigste lokale Rap-Gruppe« fungiert als erstes Forschungsobjekt für seine Thesen und Argumente. Als Quellen benutzt er das musikalische Werk IAMs sowie Videoclips, Cover und eine große Menge medialer Berichterstattung. Neben einer detailreichen Aufarbeitung der Biografie IAMs geht Tödt auf die »Marseiller Topografie« sowie die »Städtebeziehung im Marseiller Rap« ein. Stets behält der Autor den Blick auf die Eigenheiten von US-Rap und vergleicht Rap aus Marseille mit Rap aus Paris. »Vom Planeten Mars« erklärt mit großem Verständnis für die lokalen Eigenheiten der Stadt, wie wichtig IAM für die Metropole ist und wie sich IAM »zu einem wichtigen Sprachrohr des neuen Marseiller Selbstbewusstsein« aufgeschwungen hat. Das Buch kommt ohne unnötiges akademisches Geschwurbel aus und stammt ganz offensichtlich aus der Feder eines HipHop-Fans mit umfassender Kenntnis der Musik und spezifischen Codes.

Leider wurde im deutschsprachigen Raum in der Vergangenheit sehr wenig über französischen HipHop im Allgemeinen und IAM im Speziellen geschrieben. Obwohl die deutsche HipHop-Szene ganz offensichtlich vom Rap des Nachbarlandes stark beeinflusst wurde. Zu Zeiten des Deutschrap-Hypes Ende der Neunziger, als französischer HipHop musikalisch und auch wirtschaftlich maßgebliche Impulse setzte und in den Hochzeiten des deutschen Straßenraps, als jeder zweite Rapper wie eine Kopie von Booba klang. Vielleicht lag es am fehlenden Sprach-Verständnis oder am bewussten Versuch, sich von der Nachbar-Szene abzugrenzen. Mit »Vom Planeten Mars« hat Tödt – wenn auch akademisch – einen wichtigen Schritt entgegen dieser Realität geleistet. Auf der offiziellen Facebook-Seite gibt es interessante News über das Thema und alle Informationen über das Buch.

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