»Die Leute sind satt von diesem HipHop-Ding« // Too Strong im Interview

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Dortmund, Ruhrpott. Im Atelier von Atom One aka Der Lange warten Leinwände und Sprühdosen auf ihren Einsatz. Doch der Hausherr hat angesichts des Wetters beschlossen, dass gegrillt werden soll. Fleisch, Kartoffelsalat, Wein und Bier werden ­aufgetischt. Eine gute Idee: Sicher wird man hungrig, wenn man versucht, zumindest einen Teil der ­20-­jährigen Bandgeschichte von Too Strong abzuarbeiten. Anlass für die Zusammenkunft ist das sechste Album “Rap Music Is Life Music”, der Nachfolger zum unerwartet erfolgreichen ­Reunion-Album “Dreamachine” von 2005. In Dortmund spielt der CD-Player nur Scheiben von Bob ­Marley und den Fugees – andere könne er nicht auslesen, heißt es zur Erklärung. Im Gespräch wird schnell klar, dass man es hier jedoch nicht mit verbohrten, selbstgerechten Rap-Ignoranten zu tun hat, sondern mit echten HipHop-Legenden, die nach wie vor ihre Berechtigung und ihren ­Status genießen, gleichzeitig aber durchaus noch am Puls der Zeit agieren.

“Wir hätten niemals gedacht, dass wir nach ­‘Greatest Hits’ noch mal eine Platte machen würden. ­Deshalb haben wir sie ja auch so genannt”, sagt Der Lange heute über das erste Too Strong-Album von 1994. Fünf Jahre zuvor hatten Pure Doze und DJ Zonic die Crew gegründet, die fortan deutsche Rap-Geschichte schreiben sollte. Mit der EP “Rabenschwarze Nacht” hatten sie schon 1993 für Furore gesorgt, mit “Intercity Funk” (1996), “Die 3 Vonne Funkstelle” (1999), “Royal TS” (2001), “Dreamachine” (2005) und mehreren Soloalben haben sie sich ihren unverrückbaren Status in der hiesigen HipHop-Geschichte erarbeitet. Fast alle wichtigen Stationen, Trends und Irrwege im HipHop haben sie hautnah miterlebt, darüber aber nie das Lebensgefühl HipHop verloren. Pure Doze und Der Lange sind mit Rap ­älter geworden. Und sie werden auch noch alt damit. Rapmusik ist eben der Soundtrack zu den Film, den sie ihr Leben nennen.

Bei euch wird ja immer schnell von einem Comeback gesprochen. Aber eigentlich wart ihr nie so richtig weg, oder?
Der Lange: Na ja, uns gibt es jetzt 20 Jahre. Zugegeben mit einer kleinen Auszeit. 2001, nach dem vierten Album “Royal TS”, haben wir uns getrennt und hatten ein paar Jahre nichts miteinander zu tun – erst 2005 folgte “Dreamachine”. Danach haben wir beide wieder Soloalben gemacht, und bei mir nimmt Graffiti auch einige Zeit in Anspruch. Also dauerte es wieder knapp vier Jahre bis zu einem neuen Album.

Zwischen 2001 und 2005 herrschte also wirklich absolute Funkstille?
Der Lange: Ja, wir hatten vier Jahre absolut keinen Kontakt. Ich habe alles verpasst. Doze hat geheiratet, ich habe nichts davon mitbekommen.
Pure Doze: Irgendwann hat uns Brocke wieder zusammen gebracht, wir sind mal auf ein Bierchen weggegangen und haben geredet.
Der Lange: Ich habe ja auf einem Album gesagt: “Irgendwer muss den Job erledigen.” Also haben wir uns zusammengesetzt. Und für mich war dann eigentlich auch sofort wieder das Verständnis da. Klar gab es am Anfang auch Misstrauen, gerade von Doze, der die Gruppe während der Aufnahmen zu “Royal TS” verlassen hatte. Also mussten wir uns erst mal wieder sammeln.
Pure Doze: Alles war wieder auf null. Noch mal Jugendzentren spielen, noch mal Leute überzeugen. Weil wir nicht übers Major gehen wollten, haben wir die Platte über ein eigenes Label rausgebracht.
Der Lange: Aber wir haben mit Rapmusik zehn Jahre gut gelebt, waren unser eigener Chef und konnten machen, worauf wir Bock hatten. Die beste Zeit meines Lebens. Heute machen wir keine Musik mehr, um Geld zu verdienen, sondern einfach, weil wir immer noch Spaß dran haben. Ich würde es heute vielleicht anders machen. Wir haben in den vier Jahren Pause viel Zeit verschwendet. Ich habe viel getrunken, Scheiße gebaut und Graffiti gesprüht. Ich hing lieber mit meinen Graffiti-Boys als im Studio ab.

“Dreamachine” ist recht hoch in die Charts ­eingestiegen. Habt ihr 2005 damit gerechnet?
Pure Doze: Man muss ja ein bisschen den Comeback-Bonus einrechnen. Aber das hat uns auf jeden Fall schon überrascht. Wir waren, glaube ich, auf Platz 42 in den Charts.
Der Lange: Wir rechnen jetzt wie immer mit gar nichts. Wenn die Erstauflage weg ist, sind wir ­glücklich. Wir verdienen nichts damit. Wir haben unser Auftrittsgeld genommen, um den Leuten gute Qualität bieten zu können.

2008 hat DJ Funky Chris die Band ­verlassen. Waren es die üblichen musikalischen ­Differenzen, die dazu geführt haben?
Pure Doze: Ja. Er war immer das Nesthäkchen in unserer Band, weil er viel jünger ist als wir. Irgendwann kam der Zeitpunkt, dass die Wege in unterschiedliche Richtungen gingen, auch privat. Und dann muss man eben die Eier haben und darüber sprechen. Das ist natürlich ein langer Prozess, in dem man darüber nachdenkt und irgendwann feststellt, woran es liegt. Als wir das Thema ansprachen, sagte er, dass er eigentlich ganz froh darüber ist und auch so denkt. Dann lief das ganz unkompliziert.

In einem Interview habt ihr 2005 gesagt, dass ihr HipHop und keine Rapmusik macht. Euer neues Album heißt “Rap Music Is Life Music”.
Der Lange: Was soll ich sagen? Jetzt haste mich, ne! (lacht) Nein, Quatsch. Wir versuchen, in ­unserer Musik immer die Wurzeln zu integrieren. Das ­bedeutet: Wir haben immer einen Electro-Track auf unseren Alben, um den Breakern Respekt zu zollen, wir hatten meistens einen Graffiti-Song drauf und immer ein DJ-Instrumental. Für uns gehört das eben immer noch alles zusammen.
Pure Doze: Für uns ist Rap Music Life Music, weil es unser ganzes Leben so gewesen ist.
Der Lange: Du musst heute auch strikte Grenzen ziehen. Rap ist für mich Bushido und sido, das ist Unterhaltungsmusik. Wir versuchen, mit unseren Alben immer Storys zu erzählen, um gerade den jungen Leuten zu erklären, wo das alles herkommt. Ich bringe da immer ein total bescheuertes Beispiel: Wenn du Automechaniker werden willst und nicht mal weißt, was eine Zündkerze ist, dann hast du den Beruf verfehlt. Darum geht’s.

Ihr thematisiert das Gefühl und den Lebensstil von damals in dem Song “Bring The Beat Back”. Gehören Rap und HipHop heute überhaupt noch untrennbar zusammen?
Pure Doze: Nein, das hat sich alles aufgespalten.
Der Lange: Vielen Sprühern ist es wichtig zu betonen, dass man keine Rapmusik mehr hört. Oder man lacht sich eben kurz kaputt, wenn man im Auto eine CD reinwirft. Früher hat man das Tape eingelegt und sich in Stimmung gebracht, um die Aktion zu machen. Genau das ist das Gefühl, das wir den Leuten immer geben wollten. Wenn wir einen Graffiti-Track machen, wollen wir, dass der Hörer Lust bekommt, rauszugehen und was zu malen. Von Electro-Tracks sollen sie Bock bekommen zu tanzen. Das war immer der Hintergedanke. Ich glaube aber, dass HipHop zurückkommt. Die Leute sind einfach satt von diesem Gangster-Ding. Ich sehe das bei Konzerten: Da wird noch nicht mal mehr die Hand gehoben, und dann kommen die alten Hasen wie Creutzfeld & Jakob, die komplett die Bude abreißen. Das beweist das Prinzip vom Kreislauf des Lebens, dass alles sich dreht und wieder zurück kommt. Nicht in dem Sinne, dass jetzt keine Schimpfwörter mehr benutzt werden, sondern dass die Leute wieder Inhalte hören wollen. Die Gangster erzählen ja auch Storys, aber es ist letztlich immer dieselbe Geschichte.

Ist der Mikrokosmos HipHop nicht ohnehin nur ein Spiegel der Gesellschaft als Ganzes?
Pure Doze: Definitiv. Das merkst du an den Inhalten. Die Leute rappen darüber, was sie ­beschäftigt. Jetzt sind das Themen wie Wirtschaftskrise, ­Bildungsmisere, Arbeits- und Perspektivlosigkeit.

Welche aktuellen Platten feiert ihr denn?
Der Lange: Eigentlich höre ich keine Rapmusik.Tone, Azad, Yassir, Olli Banjo & Jonesmann habe ich in letzter Zeit gehört. Das interessiert mich dann schon. Ich finde gut, was die machen. Ansonsten höre ich viele Punk-, Rockabilly- und alte New Wave-Sachen.
Pure Doze: Ich höre so viel Musik, nicht nur Rap, deswegen ist es für mich etwas schwierig, das jetzt an Bandnamen aufzuhängen. Ich mag Rammstein und The Prodigy. Ich habe aber auch die neue Single von Rakim gehört – Hammer-Ding. Wenn das Album in diese Richtung geht, dann wird es das erste Rap-Album seit einiger Zeit, das ich mir kaufe. Ich hoffe, es kommt auch auf Vinyl.

Kaufst du dir nur Vinyl?
Pure Doze: Ich downloade bei iTunes die Songs, die mir gefallen, aber ansonsten kaufe ich nur Vinyls.

Im Titelsong gibt es ein ganz schönes Zitat: “Es heißt nicht, dass ich gekränkt bin, aber ich mach mir Sorgen / deshalb rede ich gern von gestern mit dem Blick nach vorn / deshalb red ich gern von HipHop, dafür wurde ich geboren.”
Pure Doze: Es geht darum, zurückzublicken und nicht zu vergessen, wo wir herkommen. Das ist auch der Grund, warum wir immer auf dem Teppich geblieben sind. Wir wollen aber nicht nur in der Vergangenheit leben und versuchen auch, nach vorne zu schauen. Der Ältere sollte den Kindern nicht mit erhobenem Zeigefinger vorschreiben, dass sie Breakdance oder Graffiti kennen müssen, wenn sie Rapmusik mögen. Das ist nicht Sinn und Zweck des Ganzen. Es geht nur darum, dass man auch versteht, woher das alles kommt. Ich finde, man sollte schon mal darauf hinweisen, aber es muss kein Dauer-Thema sein. Wir finden es wichtig, und deshalb bezeichnen wir uns auch als HipHop-Band, weil wir diese Inhalte in unseren Texten immer mal wieder verarbeiten.

Wenn man so viele Stadien von HipHop mitbekommen hat wie ihr, wie behält man die Lust und das Durchhaltevermögen, weiterzumachen?
Pure Doze: Das frage ich mich auch. (lacht) ­Natürlich hat man immer mal Tiefpunkte, sei es in finanzieller Hinsicht oder zum Beispiel auch mit Frauen, die das irgendwann nicht mehr mitmachen. Oder wenn du eine Zeitlang mal nichts zu fressen hast, dann fragste dich auch: Warum mach ich den ganzen Scheiß eigentlich? Aber irgendwie geht es immer weiter und nach jedem Ab kommt wieder ein Auf. Ich kann nichts anderes. Auch wenn ich mal was anderes gelernt habe, ist meine Berufung das, was ich seit 1989 mache – rappen.

Wo wir schon beim Thema ­Generationskonflikt sind: War der Kampf zwischen Zulu Nation und Silo Nation nicht vielleicht auch so ein ganz normaler Streit zwischen zwei HipHop-Generationen über die Auslegung der Kultur?
Pure Doze: Nein, war es nicht, weil wir alle aus einer Generation kamen. Und es ging nicht um die Zulu Nation, die von Afrika Bambaataa ins Leben gerufen wurde, sondern ausschließlich um die Universal Zulu Nation Germany, die damals von Torch und Advanced Chemistry propagiert wurde. Da gab es eben diverse Geschichten, die im Umlauf waren, dass die Typen sich ­total aufregen, wenn jemand Zigaretten raucht oder Bier trinkt und so etwas gesagt hätten wie: “Packt die Rucksäcke weg, die Typen aus Dortmund kommen!” Das ging nicht in unsere Köpfe. Vielleicht hat das nie einer von der Zulu Germany gesagt, aber die Gerüchte gab es eben. Also kamen wir auf das Wortspiel Zulu vs. Silo – Silos sind ja die Teile, wo das Getreide reinkommt: viel Aufnahmebereitschaft und Speicherkapazität. Wir wollten damit sagen, dass wir offen für jeden Menschen sind, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Religion, egal ob Alkoholiker, Junkie oder Kiffer – Hauptsache, die Chemie stimmt. Das war die Gründungsthese der Silo Nation.
Der Lange: Wir haben das auf einer Geburtstagsparty gemacht, wo sehr viele Menschen waren, und innerhalb von einer Woche wusste es ganz Deutschland. Wir haben dann immer “Silo Nation” bei Auftritten geschrien, und schließlich verselbständigte sich das. Die Leute haben nach T-Shirts gefragt, also haben wir ein paar Shirts gemacht.
Pure Doze: Es war einfach ein Zusammenschluss von Musikern und Writern, der immer größer wurde. Ähnlich wie später die Kolchose in Stuttgart. Ich habe sogar Anfragen bekommen, wie man Mitglied werden kann (lacht). Ich habe denen erklärt, dass es keine Anmeldeformulare gibt. Wenn ihr Mitglied sein wollt, dann seid ihr es einfach. Erzählt es herum und fertig.

Letztes Jahr habt ihr in Dortmund 15 Jahre Silo Nation gefeiert. Großes Highlight war, dass Torch gekommen ist.
Der Lange: Ja, Torch hat uns in den Arm genommen und meinte: “Geil! Hätte uns das einer vor 15 Jahren erzählt, dass wir hier mit euch den Silo-Geburtstag feiern, hätte ich es ihm niemals geglaubt.”
Pure Doze: Es war ja eine richtige Jam, organisiertes Chaos sozusagen. Das Motto für den Gig war: HipHop verbindet, egal wo man sich im Moment befindet. Die Leute kamen von überall her, und das hat funktioniert.

Zurück in die Gegenwart: Inwiefern hat sich der Sound auf dem neuen Album verändert?
Pure Doze: Wir arbeiten jetzt mit einer Band zusammen, was für uns ein ganz neuer Schritt ist. Hättest du mir das vor 15 Jahren vorgeschlagen, hätte ich nur gefragt, ob du einen Knall hast. HipHop kam für mich von Platte. So HipHop-Polizei-mäßig, weißt du? Aber das ändert sich auch im Laufe der Jahre.

Dieses Liveband-Ding wird ja immer beliebter: Peter Fox, Clueso, Jan Delay, Curse, Samy. Muss man mehr bieten als “two turntables and a mic”, wenn man heute gebucht werden will?
Der Lange: Also, ich kucke mir auch lieber eine Band an, wo der Drummer richtig geil ist und der Gitarrist noch zusätzlich überzeugen kann. Ich glaube, das catcht die Leute mehr, als drei Typen mit Hüten und Sonnenbrillen auf der Rheinkultur, von denen der Hauptrapper nach zwei Worten keine Luft mehr hat und die anderen beiden nur ins Mikro schreien. Sich dann noch hinzustellen und im Internet zu behaupten, man hätte voll die geile Show abgerissen – ey, keiner hat’s gefeiert!

Wie hat sich die Arbeit mit der Band konkret auf das neue Album ausgewirkt?
Pure Doze: Es ist rockiger, und die Songs sind auch teilweise darauf gestrickt, dass man sie live umsetzen kann. Die Band besteht aus dem Gitarristen Clitko, unserem Drummer Brenna, dem Keyboarder Spenser von P&S Tunes und DJ Rocksta. Musikalisch ist es die härtere Schiene, was sich vor allem durch Gitarren-Samples auswirkt.
Der Lange: Aber die Texte sind nicht härter geworden. Wir haben eine ­Listening-Session gemacht, da haben es viele Leute sehr gut aufgenommen. Natürlich gibt es auch immer die ­Typen, die meinten: Das könnt ihr doch nicht bringen. Aber das ist mir egal. Wir haben schon immer nur das gemacht, was wir wollen.
Pure Doze: Dazu kann ich nur sagen: Wir machen nicht zweimal das gleiche Album. Das ist doch totaler Quatsch. Dann würden wir uns ja komplett darin widersprechen, was wir immer gesagt haben. Dass HipHop auch Revolution ist und sich immer wieder neu erfindet. Das ist doch das Geile an HipHop! Wenn mir einer sagt, dass wir “Greatest Hits 2” machen sollen, dann sage ich: Nein, sorry, mache ich nicht mehr.
Der Lange: Es gibt halt diese Typen, die komplett auf dem Neunziger-Film hängen geblieben sind. Wären das Writer, würde ich die so beschreiben: Typen, die mit Superstars, Fat Laces, Carhartt-Jacke und Rucksack an die Wand gehen und dann nicht mal einen Schriftzug hinmalen, sondern nur eine Figur. Und das machen sie dann ihr Leben lang. Und wenn du dann mal einen Stencil an die Wand sprühst, sagen die: Alter! Jetzt macht der Typ Streetart! (lacht)

Im Rap ist es oft nicht anders.
Der Lange: Die ziehen mit ihren Kopfhörern durch die Straße, sind überhaupt nicht mehr offen, kriegen nichts mehr mit und fahren dann ihren Neunziger-Film. Wir hatten zwei DJs, die so drauf waren. Da waren Doze und ich in unserem Denken auch noch eingeschränkt.
Pure Doze: Wir waren ja eine Band und haben ­deren Meinung natürlich auch respektiert. Und ­irgendwann gab es halt den großen Knall.
Der Lange: Du wirst ja auch geimpft, wenn du acht Stunden im Auto sitzt und die ganze Zeit nur dieser Sound läuft. Als ich diesen Vorfall mit der Messerstecherei hatte und etwas über mein Leben nachgedacht habe, haben wir das dann auch geändert. Da ist es musikalisch auch mit Funky Chris auseinander gegangen, dafür sind so Vögel wie Brenna oder Skor neu dazugekommen, die uns natürlich auch beeinflusst und neue Vorschläge gemacht haben, dass wir dieses oder jenes mal ausprobieren sollten.
Pure Doze: Durch ein komplett anderes Umfeld und einen anderen Freundeskreis haben wir dann auch anderen Sound gehört. Die Handschrift von Too Strong, Atom oder Doze bleibt ja trotzdem bestehen. Auch wenn ich heute ganz anders arbeite, hört man immer noch einen typischen Doze-Beat heraus.

Ich würde gerne konkret auf ein paar Tracks vom neuen Album eingehen, allen voran das Nosliw-Cover “Musik”…
Der Lange: Es ist eine Hommage an die Musik.Wenn ich einen Song über das gleiche Thema gemacht hätte, hätte ich es nicht so wunderschön hinbekommen wie Nosliw und seine Band, deshalb wollten wir den Song interpretieren, mit ihren Worten, denn sie sprechen unsere Sprache. Als wir sie anfragten, dachten die erst, dass wir sie verarschen wollen. Sie meinten dann, dass sie uns das freigeben, aber eben nur, wenn wir das auch ernst meinen.

Könnt ihr auch etwas zu “Don’t Stop The Rock” mit Rough Dee sagen?
Pure Doze: Der ist die Fortführung einer Reihe von Songs, die sich durch sämtliche Too Strong-­Alben zieht. Mit meinem Zwillingsbruder Rough Dee, der eher Electro-Sound macht. Der geht nie raus, sitzt immer nur zu Hause und macht Sounds und Mixtapes. Bei dem Song gibt es eine Premiere, denn diesmal rappt er sogar auf dem Track, zwar durch einen Vocoder, aber immerhin. (lacht)

Wie unterscheiden sich die Zwillinge Rough Dee und Pure Doze charakteristisch?
Pure Doze: Ich heiße Michael, er Robert mit Vornamen. Wir sind gleich alt und sehen gleich aus – das unterscheidet sich also nicht. Er steht richtig auf Electro, hat keinen Ohrring, dafür aber einen ­dermatologischen Anker, an einer Stelle, die ich jetzt nicht erwähnen möchte. Aber ansonsten sind wir eigentlich relativ gleich, wie das bei Zwillingen so ist, man streitet sich mal, wir sehen uns nicht oft. Er wohnt in Castrop-Rauxel, ich in Dortmund…
Der Lange: Du laberst da schon wieder einen Schwachsinn zusammen. (lacht)

Okay, ich frage anders: Warum musst du diese beiden Identitäten trennen?
Pure Doze: Na ja, wenn man jahrelang Kool Keith gehört hat, dann kommt man irgendwann auf die Idee, dass man auch mal ein Alter Ego braucht. (lacht) Nein, ich wollte das einfach trennen. Ich liebe Electro, aber wollte die Leute nicht verwirren. Wir haben ja auch schon so einen Mist auf der Solotour vom Langen 2005 gemacht. Ich habe mir eine Maske aufgesetzt, mich “MF23” genannt, Shirts gedruckt, das eiskalt die ganze Tour durchgezogen und ihn gebackt. Wäre ich ganz normal aufgetaucht, hätten alle nach den Too Strong-Liedern gebrüllt. Natürlich haben die Fans das gewusst und in Foren heiß diskutiert. Ich habe dann auf Live-Bildern sogar den Ohrring und die Ringe wegretuschiert. (lacht)
Der Lange: Die Leute sind eben nicht so weit im Kopf. Du wirst immer noch in Schubladen gesteckt. Für die machen wir Rap, aber wir wollen einfach Musik machen. Jan Delay macht auch einfach Musik und hat sich Schritt für Schritt dahin bewegt. Aber nein, dann heißt es: Ey, warum macht ihr das? Einfach, weil wir Bock haben! Die Leute müssen einfach verstehen, dass das nach 20 Jahren und elf Rap-Platten auch so sein muss.

Als Feature ist auf dem Album überraschenderweise auch Curse vertreten.
Der Lange: Curse kennen wir schon ewig. Er hat uns 1994 ein Tape mit Songs auf Deutsch und ­Englisch gegeben.
Pure Doze: Ich weiß es noch genau, das war ein schwarz-gelbes Tape. In einem Song hat er immer so krass zwischen Englisch und Deutsch geswitcht, dass du es erst gar nicht gecheckt hast.
Der Lange: Wir haben uns dann etwas aus den ­Augen verloren, weil jeder seine Pferde satteln wollte. Dann hatten wir auch mal Beef, was aber eher von meiner Seite ausging. Reno und Germany hatten Stress mit Rano und ich habe mich damals auf Ranos Seite gestellt. Curse hatte dann wohl das Bild: Der Lange ist ein Asi. Und das stimmte ja irgendwie auch. Ich habe ihm dann geschrieben, dass es mir leid tut. Und als ich ihn mal nach einem Feature fragte, hatte er richtig Bock drauf.

Ein Extrabreit-Cover habt ihr auch drauf…
Pure Doze: Brenna hat einen Kollegen, Clitko, der auch bei uns in der Band spielt – das ist der Sohn von dem Gitarristen von Extrabreit.
Der Lange: Nee, du musst da weiter ausholen. Wer hat die Idee zu dem Song gehabt?
Pure Doze: Der Lange. (lacht) Jedenfalls fand ich, dass das eine gute Idee ist. Weil Der Lange das Cover von “Musik” gemacht hat, haben wir uns überlegt, dass ich ein Cover von “Polizisten” machen könnte. Als Achtziger-Fan war ich natürlich Feuer und Flamme. Der Song ist in Anführungszeichen gegen die Polizei, aber nicht so explizit wie Anarchist Academy bei “Fick die Polizei”, sondern eher clever und slick. Das fand ich schon immer geil daran.

Stichwort “alter und neuer Pott”: Was gab es für Unterschiede und Gemeinsamkeiten?
Der Lange: Da können wir ja den neuen Pott fragen.
Brenna: (stößt zur Runde) Als wir damit angefangen haben, hatten wir den Eindruck, dass Rap nur aus Berlin, Hamburg und Stuttgart kam. Da war so ein Gefühl von toter Hose, also haben wir das “Pott Is Back”-Ding gemacht, um zu zeigen, dass wir auch wieder auf der Landkarte sind. Eine Abspaltung vom “alten Pott” war ja gar nicht der Grundgedanke. Auf unserem Mixtape war alter und neuer Pott vertreten. Erst als Snaga & Pillath bekannt wurden, ging das in eine neue Richtung: Dipset, Bling Bling, bunte Jacken und so. Der alte Pott war eher Graffiti und OldSchool.
Pure Doze: Ich fand es gut, dass sie dem Pott ­wieder Aufmerksamkeit gebracht haben. Punkt.
Der Lange: Aber der Pott war ja nie weg. Ich glaube, die Jungs wollten damals eine Generationentrennung haben und zeigen: Da sind die, hier sind wir. Aber wer ist denn übrig geblieben? Snaga & Pillath, Fard, Brenna und Favorite, aber der hat ja nie drauf rumgeritten. Der Hype war da, dann ist es wieder eingeschlafen, aber die Leute, die immer im Pott aktiv waren, machen jetzt zusammen Songs. Und wie gesagt: Die Aktivsten im Pott sind nun mal wir. Das hört sich bescheuert an, wenn ich das sage. Aber Doze und ich sind der Ursprung.

Ihr seid ja nun nicht mehr die Allerjüngsten. Wie kann man eigentlich mit Rap älter werden?
Der Lange: Du musst mir nur ins Gesicht kucken – dann siehst du, was Rap aus dir macht.
Pure Doze: Ja, einen hässlichen, ekelhaften, ­verfalteten Fettsack. (lacht)
Der Lange: Ich habe ja zwei Soloalben gemacht, die nicht so hart geworden sind. Da habe ich auch über persönliche Sachen gerappt, damit mein Sohn sich die Platten guten Gewissens auch irgendwann mal anhören kann. Natürlich denkst du drüber nach, wenn du eine Familie hast, ob das alles Sinn macht und wie es weitergehen soll. Diese Frage haben wir für uns aber schon längst beantwortet, da wir inzwischen beide Jobs haben. Ich meine, ich bin jetzt 36 Jahre alt und könnte locker der Vater von den ganzen 16-jährigen HipHop-Kiddies sein. Und wir haben bei uns im Publikum ja schon ein paar Gleichaltrige, aber es kommen auch viele junge Leute, die uns richtig feiern.
Pure Doze: Da bin ich auch ein bisschen stolz drauf.
Der Lange: Das zeigt uns eben, dass wir doch irgendwas richtig gemacht haben müssen. Für uns bedeutet Too Strong Halt und Familie. Ich habe über die Hälfte meines Lebens mit diesem Scheißtypen hier zusammen verbracht und kann mir keinen besseren Partner als ihn vorstellen. Dann muss der sich eben auch mal MF23 nennen und ’ne Maske aufsetzen. (lacht) Wir haben alles zusammen durchgemacht. Aber wir haben auf unsere alten Tage eben noch viel Spaß.

Text: Sherin Kürten

Fotos: Robert Winter

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