Sofiane: »Ich bin ein guter Vermittler zwischen der Straße und dem Rest der Gesellschaft« // Interview

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Sofiane ist ein Star. Er ist ganz oben. Dennoch ist er noch tief verwachsen mit den ­Straßen von Paris. Es ist der 30. September, sein jüngstes Werk »Bandit Saleté« hat allein physisch sich bereits über 50.000 Mal verkauft. JUICE traf den Rapper mit den kabylischen Wurzeln (algerischer Berberdialekt) zu einem seiner seltenen Interviews.

Du bist mittlerweile seit zehn Jahren am Start. In Sachen Rap aus Frankreich führt heute kein Weg mehr an dir vorbei.
Darauf bin ich stolz, zumal ich nicht mehr nur als Rapper aus dem Viertel, sondern als Künstler wahrgenommen werde. Ich habe aber immer gewusst, dass ich es schaffen werde.

Im Zuge der Veröffentlichung deines Albums »#JesuispasséchezSo« bist du durch ganz Frankreich getourt, von berüchtigten sozialen Brennpunkten bis hin zu weniger bekannten Regionen des Landes, und hast überall Videos gedreht. Warum?
Mir war es wichtig, wieder in Kontakt zu meinem Publikum zu kommen – und irgendwann wollte ich dann mindestens fünf Millionen Klicks auf jedes einzelne Video haben, um einen guten Vertrag aushandeln zu können. (grinst) Es war auch nicht immer leicht. In Mureaux [ein für seine Gefährlichkeit bekanntes Problemviertel im Pariser Großraum; Anm. d. Verf.] war die Situation anfangs bedrohlich. Aber wir konnten uns behaupten und unseren Clip drehen. Die Videos haben auf jeden Fall alle ordentlich Furore gemacht. Alle sagten: »Sofiane wird es nie schaffen, all seine Clips an den sozialen Brennpunkten Frankreichs zu drehen, da wird’s drunter und drüber gehen.« Aber von ein paar kleinen Zusammenstößen mal abgesehen, hatte ich nie Probleme. Im Grunde ist es mir schon immer leichtgefallen, mich unters Volk zu mischen – ganz gleich, ob in den Banlieues, in der Provinz, auf dem Markt oder im Milieu [Bandenwesen; Anm. d. Verf.]. Ich bin ein guter Vermittler, insbesondere zwischen der Straße und dem Rest der Gesellschaft. Ich bin nicht immer einer Meinung mit den US-amerikanischen Rappern, aber schau dir Rick Ross an: Der verteilt zu Neujahr Essen an benachteiligte Kinder in seinem Viertel in Florida. Ich finde das sehr lobenswert, aber mich sozial zu engagieren, ist nicht mein Ding. Ich mag es aber, mit den Menschen zu connecten und ihnen über meine Musik eine Message mitzugeben.

»In meinen Texten finden sich viele gut versteckte Hinweise auf französische Dichter wie Apollinaire, Ronsard oder Rousseau, manchmal sogar direkte Zitate. Ich habe schon oft Brassens, Ronsard, Rousseau, Apollinaire oder Marcel Pagnol zitiert, aber nur sehr wenige Leute haben den Scheiß verstanden.«

Wie gehst du damit um, nun medial überall präsent zu sein? Nervt dich das?
Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich geschmeichelt. Früher wurde ich nur von ein paar wenigen in den Banlieues gehört, die sich immer wieder anhören mussten, dass ich nichts kann. Die haben mich aber immer verteidigt und gesagt: »Ihr werdet schon sehen!« Und es ist eine Genugtuung für mich zu sehen, dass meine Fans der ersten Stunde recht behalten haben. Ich finde es großartig, dass sich nun so viele Medien für mich interessieren. Wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, dass ich mal bei »7 à 8« auf TF1 im Fernsehen zu sehen sein würde [großes Nachrichtenmagazin im öffentlich-rechtlichen TV-Sender TF1, vergleichbar mit der Tagesschau; Anm. d. Verf.], hätte ich ihm gesagt: »Du verscheißerst mich. Unmöglich. Das wird nie passieren.«

Deine Familie stammt aus Algerien, du hast kabylische Wurzeln. Haben deine Eltern algerische Musik gehört oder französischen Pop?
Beides! (lacht) Wir wurden sowohl von Slimane Azem, Djurdjura und Djamel Allam in den Schlaf gesungen, als auch von Charles Aznavour, George Brassens, Léo Ferré oder aber Renaud und Piaf. Ich wuchs mit der Liebe zur Musik auf, das war etwas ganz Selbstverständliches. Da gab es keinen Verweis auf diese oder jene Kultur. Für mich war es völlig normal, in einem Moment kabylische Musik zu hören und im nächsten französischen Pop. Ich habe schon immer die Poesie geliebt, und in meinen Texten finden sich viele gut versteckte Hinweise auf französische Dichter wie Apollinaire, Ronsard oder Rousseau, manchmal sogar direkte Zitate. Ich habe schon oft Brassens, Ronsard, Rousseau, Apollinaire oder Marcel Pagnol zitiert, aber nur sehr wenige Leute haben den Scheiß verstanden. Es passiert sehr selten, dass ein Typ im Studio – egal ob Journalist, Rapper oder Tontechniker – das bemerkt. Ich mag die französische Literatur sehr.

Unstimmigkeiten mit der Plattenfirma Believe hätten deiner Karriere fast ein jähes Ende bereitet. Kannst du darüber sprechen?
Es war geplant, eine festgelegte Stückzahl von Tonträgern in die Regale zu bringen. Am Ende waren es aber gerade mal 1.000 Exemplare, weil die nicht an mich geglaubt haben. Die Platten waren aber superschnell weg, die Nachpressung hätte mehrere Tage gedauert, sodass meine Verkaufszahlen im Arsch waren. Da ist viel schiefgelaufen. Solche Labels, die nicht an ihre Künstler glauben, können ganze Karrieren ruinieren.

Du bist in den Problemvierteln genauso bekannt wie auf den Pausenhöfen. Was bedeutet dir das?
Die sozialen Brennpunkte, die Cités, sind in Frankreich eine Art Mythos. Die Leute fantasieren viel über die Banlieue. Aber es ist wesentlich komplexer, wenn wir von Rap sprechen: Um ihr Dope oder Gras zu kaufen, fahren die Kunden an diesen oder jenen Brennpunkt, in dieses oder jenes Viertel. Und weil sie dort Sofiane, Kaaris, AlKapote oder Lacrim hören, haben sie hinterher diesen oder jenen Sound im Ohr und kaufen dann die Musik, weil sie auch so hart sein wollen. Auf dem Schulhof gehört zu werden, bedeutet mir daher viel mehr, weil das echt ist. Wenn ich sehe, dass achtjährige Kids meine Lieder singen und die Texte auswendig können, und wenn meine Kinder [Sofiane ist zweifacher Vater; Anm. d. Verf.] mir sagen: »Papa, auf dem Schulhof singen gerade alle dein Lied in der Pause«, dann macht mich das unglaublich stolz.

Kannst du Jugendlichen mit deiner Musik etwas beibringen?
Ich versuche, den Kindern Grundlagen mitzugeben. Das ist wie beim Fußball: Du solltest zuerst einmal wissen, wer Zinedine Zidane und Didier Drogba sind, bevor du auf die Champions League abgehst und nur über Ronaldo und Messi sprichst. Beim Rap ist es dasselbe: Wenn du nur Maitre Gims hörst, aber Oxmo Puccino nicht kennst, hast du keine Ahnung von den Klassikern. Deshalb mache ich so gerne Features mit Rappern aus unterschiedlichen Generationen. Diese Vermittlung von Grundlagen ist für mich ebenso wichtig wie meine Message.

Text: Fred Hanak
Übersetzung: Juliane Seifert
Foto: Libitum

Dieses Interview erschien erstmals in JUICE #183 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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