»Ich bin ungefähr acht verschiedene Typen zur selben Zeit« // Snoopzilla & Dam-Funk im Interview

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Das wichtigste zuerst: Snoop Lion heißt jetzt Snoopzilla. Unter diesem Moniker hat Calvin Broadus mit der modernen Funk-Koryphäe Dam-Funk eine kurze, aber sehr gute Platte namens »7 Days Of Funk« aufgenommen. Der letzte, dem die Ehre zuteil wurde, ein komplettes Album des großen Snoop zu produzieren, war damals, vor einer halben Ewigkeit war das, ein gewisser Dr. Dre. Heißt: Dieses Projekt hier ist etwas Besonderes und mutmaßlich mehr als eine Randnotiz in der langen Karriere einer der größten Ikonen der HipHop-Welt. Das weiß man auch bei Stones Throw, der zuständigen Plattenfirma, die die ungleichen, aber immerhin gleichaltrigen Brüder im Geiste dazu verdonnert hat, einen Tag lang mit europäischen Journalisten zu sprechen. Es folgt eine Audienz bei den selbsternannten Rettern des Funk.

Möchte man den großen Snoop treffen, muss man zunächst einmal warten. Das gehört sich so. Ohne Mühe kein Verdienst, und so sitze ich vier Stunden lang in einem schummrigen Studio/Privat-Club, irgendwo am Rande der Innenstadt von Amsterdam, esse Erdnüsse und trinke belgisches Bier. Aus dem Saal, in dem die Interviews stattfinden, strömt der obligatorische Geruch von Gras. Vier Stunden lang. Genug Zeit, um mir einzureden, dass bei diesem Interview eh nichts Handfestes herauskommen wird. »Bis ich dran bin (als letzter), sind die eh schon total breit. Bestimmt haben sie gar keinen Bock mehr, mit mir zu reden.« Soweit meine pessimistischen Gedanken. Dann, eine gefühlte Ewigkeit später, holt mich der zuständige Mitarbeiter der europäischen Dependance von Stones Throw Records endlich ab. Die Flügeltür zu einem großen Saal geht auf, in dessen Zentrum hocken Snoop(zilla) und Dam-Funk auf einer Couch. Drumherum sitzen und stehen beinahe zehn Menschen, ein junger Kerl aus der Entourage richtet seine Kamera auf mich. Und dann stolpere ich in ein Gespräch, an dessen Ende ich mir nicht mehr sicher bin, wer hier jetzt eigentlich wen interviewt hat.

Snoop (zu seinen Begleitern): Besorgt uns endlich echtes Gras! Das Zeug schmeckt wie toter Hund, kauft das nie wieder.

Seid ihr nicht zufrieden mit dem lokalen Marihuana?
Snoop: Zur Hölle, nein. Euer Zeug hier drüben ist total überbewerteter Müll.

Ich komme aus Deutschland, mit Amsterdamer Gras habe ich nichts zu tun. Aber erklär mir: Warum ist kalifornisches Gras besser?
Snoop: Weil wir unser Gras anders behandeln. Ihr mögt ganz gutes Marihuana haben. Glaub mir, wir waren schon an Orten, da schmeckte das Weed grauenvoll. Aber nur wir haben das herausragende Zeug.

Hast du mal selbst angebaut?
Snoop: Natürlich. Aber nur im kleinen Rahmen. Wenn das Zeug fertig war, haben wir es immer direkt selbst weggeraucht. Ein guter Händler hätte ich nie werden können, weil ich immer selbst mein bester Kunde war. Ich hätte quasi mit mir selbst verhandeln müssen! So nach dem Motto (spricht mit verstellter Stimme): »Ey, was schulde ich dir?« »Nigga, ich bin es doch!« »Was möchtest du dieses Mal probieren, dawg?« (alle lachen)

Ich sehe gerade deine Grillz, sind die neu?
Snoop: Meine Zähne? Ja, ich werde alt (lacht). Ich brauchte ein neues Gebiss. Viele Typen bekommen im Alter billigen Scheiß, mit dem man dann nicht mehr richtig sprechen kann. Ich wollte etwas Besseres, was zudem noch glitzert. Gefallen die dir?

Auf jeden Fall. Leider würden mir solche Grillz wohl kaum stehen.
Snoop: Das glaube ich nicht. Grillz sind ein Fashion-Statement. Du musst wissen, wie du das Beste aus deinem Style herausholst. Und wenn du es richtig machst: warum nicht? Deine unten hochgerollten Jeans sind schließlich auch ein Statement.
Dam-Funk: Ja, ein Fashion-Statement. Das bist du, und deswegen passt es zu dir. Stil bedeutet auch: Jedem das seine.
Snoop: … und du hast definitiv Style. Dieses Beanie, das du trägst, passt farblich zu deinen Sneakern, und dann schaut da noch ein Büschel Haare heraus. Das ist originell. Und wir lieben Originalität. Do you!

Um mal den Versuch zu unternehmen, zum Thema zu kommen …
Snoop: Das Thema? Warum bist du hier? Warum bist du hier heute in Amsterdam aufgetaucht mit deinem … wie war der Name der Tusse mit dem Tagebuch doch gleich? Anne Frank? (alle lachen) Was steht da drin in deinem Anne-Frank-Tagebuch?

Naja, ich habe dir ein Gedicht geschrieben, allerdings auf Deutsch.
Snoop: (lacht) Oh, das würde ich gerne hören. Liest du es mir vor? Ich verstehe Deutsch.

(auf Deutsch) Du verstehst meine Sprache? Das freut mich.
(auf Englisch)

Snoop: Nun, der Grund dafür, dass ich das gemacht habe, ist ganz einfach: Ich habe mich so gefühlt. Ich dachte mir, es wäre gut für meine Karriere (alle lachen, danach wendet Snoop sich an den Promoter). Ihr müsst ihm mehr Zeit geben, wir haben ja bisher nur Scheiße gelabert. (Zu mir) Wir lieben dich, Mann. Wo warst du vorher? Wir haben den ganzen Abend auf dich gewartet!

Warum waren die Interviews vorher weniger spaßig?
Snoop: Weil jeder dieselben Fragen gestellt hat: »Wie war es, als ihr beide euch kennengelernt habt?« Das ist langweilig. Wir wollen einfach nur Spaß haben und auch etwas über dich erfahren. Ich wüsste zum Beispiel gerne, warum du Journalist geworden bist?

Vermutlich aus Wissensdurst.
Snoop: Du wolltest also Dinge für dich selbst erfahren, weil du nicht glaubst, was sie dir erzählen. Du willst dich nicht damit zufrieden geben, was man dir beibringt, oder?

Genau.
Snoop: Als dich HipHop das erste Mal begeisterte, hast du da den Wortlaut verstanden oder war es mehr ein Gefühl?

Das Gefühl. Ich war ja erst 11 oder 12.
Snoop: Du konntest also kein Englisch, aber irgendwie gab dir die Musik das Gefühl, du würdest in denselben Schuhen stecken wie diese Typen. Wie alt bist du eigentlich?

26.
Snoop: Oh, du bist ein Baby. Aber du hast den Geist eines älteren Mannes, oder? So war ich auch, als ich in deinem Alter war. Ich wirkte immer etwas älter als die Leute um mich herum. Wenn du irgendeine Frau für 30 Minuten alleine in einem Raum interviewen könntest, wer wäre das?

Es ist ein Klischee, das als weißer Junge zu sagen, aber vermutlich Scarlett Johansson.
Snoop: Ach, sie ist eine Bad Bitch! Das ist keine White-Boy-Aussage, das ist etwas, was ich sagen würde! Ich habe sie mal getroffen, da war sie mit Leonardo DiCaprio unterwegs. Weil Leo dabei war, konnte ich sie nicht so ansehen, wie ich das gerne getan hätte, aber sie hat es trotzdem gefühlt. Ich habe sie umarmt und ich bin mir sicher, sie hat gespürt, was da unten in mir vor sich ging (alle lachen). Kennst du Nardwuar?

Klar.
Snoop: Mit dem mache ich gerne Interviews. Er versucht nicht, jemand anderes zu sein. Er ist immer derselbe verrückte Motherfucker.

Also wäre es ziemlich whack gewesen, wenn ich dir jetzt ein schniekes Geschenk mitgebracht hätte?
Snoop: Exakt. Zum Glück hast du das nicht gemacht. Ich weiß es zu schätzen, dass du hier bist, deswegen interviewe ich gerade auch dich. Ich möchte herausfinden, was in deinem Kopf vor sich geht.

Wie hättet ihr eigentlich reagiert, wenn ich euch dieselben Fragen gestellt hätte wie alle anderen?
Snoop: Wir hätten zum 100. Mal gesagt: Die Platte kommt im Dezember, wir hatten viel Spaß, ich liebe Dam, er liebt mich, wir sind im selben Jahr zur Welt gekommen, beide über 40 und versuchen einfach, die Menschen zum Lächeln zu bringen.

Wird man als Musiker je richtig alt?
Snoop: Ich bin doch alt!

Ach, komm schon.
Snoop: Du hast Recht. Zeitlos ist das richtige Wort. Manchmal fühle ich mich tatsächlich alt, aber im Herzen werde ich immer ein Kind bleiben. Mein Körper mag nicht mehr der jüngste sein, aber mein Herz und mein Geist sind noch frisch. Ich habe früher ja viel Sport gemacht. Schon damals, aber auch später als Rapper, wollte ich immer an der Spitze stehen. Einer meiner Söhne spielt Football und ist in seinem Alter der zweitbeste Wide Receiver in Kalifornien. Trotzdem sage ich ihm immer wieder, dass er sich damit nicht zufrieden geben soll. Ich liebe es, der Beste zu sein und deswegen arbeite ich auch mit Dam – weil er in seinem Bereich der King ist.

Wie bleibt man jung und schafft es trotzdem, ein guter Ehemann und Vater zu sein?
Snoop: Das ist ein schwieriger Balanceakt. Man möchte jung bleiben, aber auch seinen Kindern mit Rat und Tat zur Seite stehen – also muss man erwachsen wirken. Meist versuche ich meinen Kindern eher ein Freund zu sein. Schließlich teilt man mit einem Vater, vor dem man zu viel Respekt hat, nicht seine Ängste, mit einem Freund hingegen schon. Glücklicherweise habe ich gelernt, wie man unterschiedliche Charaktere im richtigen Moment zum Vorschein kommen lässt.

Stecken diese unterschiedlichen Figuren alle ganz natürlich in dir?
Snoop: Ja, ich bin ungefähr acht verschiedene Typen zur selben Zeit. Der Kerl, mit dem du gerade zu tun hast, ist der nette Snoop, aber ich habe auch eine hässliche Seite. Der böse Snoop ist richtig böse, redet schlecht über dich, zerreißt dein kleines Notizbuch und kickt dich dann hochkant aus dem Raum (lacht). Aber wir haben dich den ganzen Tag warten lassen und ich mag dich.

Wann musstest du das letzte Mal den bösen Snoop rauslassen?
Snoop: Ich habe irgendwann mal Journalisten ewig lang zappeln lassen, und einer von denen hatte die Nerven, sich darüber zu beschweren. Also sagte ich ihm: »Fick dich und dein Scheiß-Interview.« Weißt du, wenn du ein Star bist, dann machst du solche Sachen halt mal.

Snoop, warum hast du an diesem Zeitpunkt deiner Karriere einen Dam-Funk gebraucht?
Snoop: Ich brauchte Stabilität. Ich brauchte einen Produzenten, der mit einem Typen wie mir klarkommt und eine Platte für mich von Kopf bis Fuß produzieren kann. Jemanden, der nicht davon in Schockstarre versetzt wird, mit mir im Studio zu sein.

Und Dam, wie hast du es geschafft, Snoop unter Kontrolle zu halten?
Dam-Funk: Unter Kontrolle hatte ich ihn nicht, nein. Snoop weiß selbst sehr genau, was er will. Ich habe durch die Arbeit an »7 Days Of Funk« viel über Teamwork gelernt. Ich glaube, wir haben einfach genau zur richtigen Zeit zusammengefunden. Häufig kann man sich seine eigenen Sachen nachher kaum anhören, aber »7 Days Of Funk« macht mir jedes Mal aufs Neue gute Laune. Snoop Dogg ist an diesem Punkt für mich ohne Übertreibung der Elvis der schwarzen Musik. Er ist eine Ikone, und es war großartig, mit ihm eine Platte machen zu können und in ihm zudem noch einen Freund zu finden.

Snoop, wenn du Elvis bist, wer ist dann der Typ neben dir?
Snoop: Dam-Funk ist der wiedergeborene Roger Troutman. Troutman klang nicht so wie George Clinton oder sonst wer, er hatte einen ganz eigenen Sound. Er hatte die Talkbox, die Melodien, die Claps und Arrangements, die mehr waren als nur Funk. Für mich ist die Produktion dieses Albums vergleichbar mit dem Punkt, an dem Roger Troutman Shirley Murdock ins Spiel brachte. Auch ich bin ein Element, das es im Funk so vorher nicht gab. Und wir werden hier auch nicht aufhören. Wir werden so weitermachen wie George und Bootsy (Collins, Anm. d. Verf.). Jeder, der Funk macht, wird zu uns kommen!

Dam, ihr seid zwar im selben Alter. Trotzdem hast du Snoops Musik sicherlich in deiner Jugend viel gehört. Jetzt sitzt der hier neben dir und vergleicht dich mit Roger Troutman.
Dam-Funk: Ich weiß, ich kann den Vergleich aber auch irgendwie nachvollziehen. Meine Musik unterscheidet sich stark von der anderer Funk-Künstler. Und so war Troutman auch. Am Wichtigsten war es aber zu merken, dass wir beide dieselbe Musik lieben. Bevor wir zum Ende kommen: Ich habe vor kurzem eine Dokumentation über David Bowie gesehen. Es stört mich, dass viele Journalisten es albern finden, dass Snoop ständig neue Charaktere erfindet. David Bowie nannte sich mal Ziggy Stardust und dann wiederum The Thin White Dude. Und vor dem fallen sie auf ihre verdammten Knie. Dabei sind Snoop und Bowie sich gar nicht unähnlich. Snoop findet sich genauso in unterschiedlichsten Genres zurecht und kreiert gerne neue Charaktere. Snoop kann seinen Reggae-Film fahren, auch mit Willie Nelson oder Katy Perry arbeiten. Um nochmal auf Elvis zurückzukommen: Ich habe einen Gangster-Kumpel, der hat mir mal eine Dokumentation über ihn vorgespielt, um mir zu zeigen, dass der Typ der coolste Motherfucker überhaupt war. Mittlerweile habe ich das kapiert. All diese Kritiker sollten mal checken, dass man ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen sollte. Die Schreiber projizieren immer all diese Intelligenz auf Leute, die sich mit so einem mystischen Vibe umgeben. Ich sage aber: Die klügsten Köpfe verstecken sich nicht hinter Verkleidungen, die sehen so aus wie wir. Manche Leute wollen das nicht glauben, aber Snoop weiß, wovon er redet.

Das mit David Bowie hat mich überzeugt. Das ergibt Sinn.
Dam-Funk: Ich habe das übrigens angesprochen, weil David Bowie und Roger Troutman ihre Kräfte ja auf eine ähnliche Weise gebündelt haben. Troutman hat Bowie damals mit »China Girl« und »Let’s Dance« auf ein neues Level gebracht. Ich hoffe, dass die Leute unser Verhältnis in Zukunft auch so verstehen werden.

Snoop, was glaubst du: Warum bist du kein Kritikerliebling wie David Bowie?
Snoop: Weil wir Nigger sind.
Dam-Funk: Viele glauben immer noch, dass wir nicht genauso klug sein können wie ein David Bowie..
Snoop: Aber wenn du mit einem Rapper einen IQ-Test machen würdest, dann wäre das Ergebnis häufig höher, als bei diesen ganzen Professoren. Einige MCs sind echte Gelehrte – T.I. zum Beispiel. Leider bekommen Typen wie er dafür nie die Akzeptanz, die sie verdient haben, weil sie kriminelle Vorgeschichten haben oder so. Aber scheiße, offensichtlich musst du mal im Knast gewesen sein, wenn du ein richtiger Rapper sein willst (kichert leise vor sich hin). Man gibt uns Rappern einfach nicht genug Credit dafür, dass wir die Welt dazu gebracht haben, etwas über HipHop lernen zu wollen. Du hast durch HipHop Englisch gelernt und ich bin mir sicher, dass es Millionen von anderen Leuten auch so geht. Wir haben einen positiven Einfluss auf die Jugend. Wir bringen sie nicht dazu, Menschen zu töten, wir motivieren sie dazu, Journalisten und Politiker zu werden; Menschen werden zu wollen, die nach Wegen suchen, diese Welt besser zu machen. Du hast früher sicher viel Eminem gehört, oder?

Natürlich.
Snoop: Eminem mag über eklige Dinge geredet haben, und trotzdem hat dich seine Musik positiv beeinflusst. Er gab dir Persönlichkeit und legte damit den Grundstein dafür, dass du ein guter Journalist und ein großartiger Typ werden konntest. Es ist also eine hevorragende Sache, »That we do, does what it does.« Los Gemeinde, sprecht es mit mir: »What we do, does what it does!« Noch mal, jetzt alle (vorsichtig stimmt der Rest des Raumes mit ein): »What we do, does what it does!« Und damit ist dieses Interview beendet (alle lachen).

Foto: Eric Coleman

Dieses Interview ist in JUICE #156 erschienen (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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