»Solange man mehr Geld verdient als man ausgibt, hat man alles richtig gemacht.« // RJD2 im Interview

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Jahrelang war RJ Krohn so etwas wie die Zuflucht für all jene, die eine gesunde Golden Era-Sozialisation ­erfahren hatten: »The Horror« oder »Let The Good Times Roll« wurden bei Tanzabenden im Kellerclub gespielt, seine detailverliebten, samplebasierten Produktionen machten ihn nicht nur zum Vorbild für Wohnzimmerfrickler, sondern verschafften ihm auch Aufträge aus der Film- und Werbe­industrie. Nebenbei kooperierte er mit Copywrite, Cage, DOOM oder Aceyalone und es schien, als schaffe der Mann aus Ohio scheinbar mühelos den Spagat zwischen Rucksack-Dogmatismus und kommerziellem Erfolg. Doch dann kam 2007 der Labelwechsel von Def Jux zu XL ­Recordings und mit seinem dritten Album »Third Hand« der Sündenfall. Die neuen, selbst eingespielten Produktionen und RJs nur bedingt hörenswerter ­Gesang ließen dieses Pop-Album bei Fans und Kritikern gleichermaßen durchfallen. 2009 gründete RJ dann sein eigenes Label, dieser Tage erscheint sein viertes Album »The Colossus«. Das wurde als künstlerische Retrospektive angekündigt – und vielleicht gelingt Rjd2 ja wirklich die Flucht zurück in die eigene Vergangenheit.

Stimmt es, dass du schon mit 13 deine ­ersten eigenen Songs geschrieben und auch ­eingesungen hast?
Eigentlich habe ich schon früher angefangen. Mit 13 habe ich schon meine erste Band gegründet und Unterricht in einer Musikschule genommen. Auf der High School habe ich mich dann intensiver mit ­Musiktheorie und Komposition beschäftigt. Ich lernte Gitarre, Bass und Keyboard, vor allem habe ich aber ein ganz gutes Verständnis dafür ­entwickelt, wie Musik funktioniert. Das war eine gute Basis, auf der ich später als HipHop-DJ und Produzent aufbauen konnte.

Seit letztem Jahr bist du dein eigener Labelboss. Bist du ein Kontrollfreak oder ging es schlicht darum, mehr Geld zu verdienen?
Eigentlich sind es beide Punkte. Natürlich spielt die finanzielle Seite eine gewisse Rolle, für mich ist es einfach wichtig, dass ich meine eigenen Platten veröffentlichen kann, wann und wie ich will und dass ich an meiner Arbeit bestmöglich verdiene. Außerdem hat mich der Gedanke, dass ich nicht die Rechte an meinen eigenen Songs besitze, immer mehr gestört. Ich habe die Platte selbst gemacht, ich habe mein Geld reingesteckt, warum soll ich sie jetzt einem Label verkaufen und nicht auch noch diesen Schritt alleine gehen? Heute ist es wichtig, dass man vernünftig plant und sich der Marktlage anpasst. Man muss kreativ sein. Ich weiß, dass ich von meinem neuen Album vielleicht ein Zehntel so viel verkaufen werde wie von meinen früheren Veröffentlichungen. Das ist okay. Man verdient ja immer noch. Man muss nur andere Entscheidungen treffen, die Werbekampagne muss ganz anders ausgelegt sein. Anstatt für ein Video viele tausend Dollar auszugeben, muss man gute Videos für weniger Geld drehen. Solange man mehr Geld verdient als man ausgibt, hat man alles richtig gemacht. Das mit dem Kontrollfreak ist aber genauso wahr. Mir kam es einfach klüger vor, alle Entscheidungen selbst zu treffen und niemanden zu fragen. Ich habe die Kampagnen von sieben Alben geplant und umgesetzt – ich weiß also, was zu tun ist.

Du baust sogar deine eigenen Geräte. ­Verstehst du das als erweiterten Teil deines kreativen Prozesses, weil du damit deinen Sound ganz direkt beeinflussen kannst?
Das eine führt zwar zum anderen, aber am Ende ist meine Arbeit an den Geräten rein technischer Natur. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass gerade Arbeiten, die nicht direkt kreativ sind, enorm inspirierend sein können. Das befreit den Kopf und beschäftigt die Hände, was nie verkehrt ist. Tatsächlich arbeite ich immer an meinen Geräten, wenn ich gerade keine Musik machen kann, weil ich leer bin. Es ist also eher ein Ausgleich, der sich positiv auf meine künstlerische Arbeit auswirkt. Was beide Tätigkeiten verbindet, ist meine Liebe zu Details. Wenn ich an einer Platine arbeite, muss ich alles Mögliche beachten, da können kleine Details entscheidend sein. Beim Produzieren sind mir Details auch sehr wichtig.

Aber kann einem diese Detailverliebtheit nicht auch zum Verhängnis werden, weil man ­einfach kein Ende findet?
Das kommt vor, ich habe das Problem bis heute. Aber bei mir hat sich das mit der wachsenden Erfahrung als Produzent gebessert. Je mehr man aufnimmt, umso besser kann man abschätzen, wann etwas rund ist. In der Regel arbeite ich parallel an verschiedenen Produktionen. Ich beginne mit einer Skizze, arbeite daran etwa 20 Minuten, dann lege ich sie zur Seite und fange etwas Neues an. Wenn ich in Stimmung bin, hole ich die erste Skizze wieder raus und arbeite sie aus oder verwerfe sie. In der Regel dauert es an die drei Wochen, bis ein Beat endgültig fertig ist.

Und wann weißt du, ob du auf den Beat singen wirst, ob er als Instrumental funktioniert oder ein MC passen würde?
Gute Frage. Im Entwicklungsprozess zeigt der Beat irgendwann sein Gesicht. Dann weiß ich, was aus ihm werden wird. Wenn die Beats bizarr, extrem schnell oder langsam sind, werden daraus meistens Instrumentals.

Wie gehst du vor, wenn du eine Produktion ­gepickt hast, um darauf zu singen?
Die Lyrics und die Musik haben in der Regel nichts miteinander zu tun. Sie entstehen separat. Ich schreibe meine Texte einfach auf, ganz ohne Musik. In der Regel sind das halbfertige Sätze, die sich reimen, aber noch nicht völlig strukturiert sind. Wenn ich einen Beat gefunden habe, der zur Rhythmik und Stimmung des Textes passt, arbeite ich den Text aus und passe ihn dem Beat an. Oft ist es aber auch andersherum, dann sind die Silben in den einzelnen Sätzen entscheidend, welchen Beat ich aussuche. Die Sätze umzustellen und die Silben zu reduzieren, das ist für mich am schwierigsten.

In der Regel hattest du vor deinen Platten meistens schon eine Idee, wo du mit dem ­jeweiligen Album hin willst. Wie war es dieses Mal?
Es gab zwei Ideen: Zum einen wollte ich genau das Gegenteil machen wie bei “Third Hand”. Ich wollte möglichst viele Menschen um mich herum sammeln und mit ihnen Musik machen. Bei »Third Hand« habe ich ja komplett alleine gearbeitet, das hat seine guten Seiten, weil man auf niemanden warten muss und alles nach Plan verläuft. Auf der anderen Seite wollte ich unbedingt meine verschiedenen Herangehensweisen ans Musikmachen darstellen. Ich kann komplett samplebasierte Musik machen, mit Instrumenten arbeiten, selbst singen oder andere Performer hinzuziehen. Somit ist »The Colossus« so etwas wie eine Retrospektive auf meine bisherige Karriere. Diese Platte ist für mich das Beste, was ich jemals gemacht habe. Es war unglaublich, die Songs zu produzieren und zu schreiben, dann Phonte oder Kenna eine Demoversion zu schicken und den ­fertigen Song zurück zu bekommen. Das hat mich wirklich glücklich gemacht.

Als ich »The Colossus« zum ersten Mal gehört habe, dachte ich mir, dass diese Platte eigentlich der perfekte Übergang von deinen beiden ersten Platten zu »Third Hand« gewesen wäre.
Da muss ich dir absolut Recht geben. Um ehrlich zu sein, habe ich schon oft darüber nachgedacht, dass es klüger gewesen wäre, »Third Hand« zum gleichen Zeitpunkt zu veröffentlichen, aber unter anderem Namen. Ich bereue nicht, diese Platte gemacht zu haben. Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, auch wenn sie die Leute verwirrt hat und mir nicht nur Lob eingebracht hat. Trotzdem stünde ich ohne diese LP heute nicht da, wo ich bin. Doch wegen der negativen Reaktionen habe ich bei “The Colossus” etwas anderes probiert. Man weiß im Nachhinein immer alles besser. Man macht eine Platte und hat dann eigentlich keine Wahl – man muss sie rausbringen.

Mit The Catalyst, Illogic und NP hast du drei eher unbekannte MCs auf dem Album ­gefeaturet, warum hast du keine namhafteren Gäste ­angefragt?
Ich kenne Illogic seit Jahren, Mitte der Neunziger waren wir gemeinsam in einer Gruppe. The Catalyst kenne ich auch noch aus Ohio und er brachte dann NP ins Spiel. Ich wollte drei Parts, die aufeinander Bezug nehmen und perfekt zusammenpassen. Ich habe auch mit bekannteren MCs gesprochen, und wir haben auch ein paar Sachen ausprobiert, aber es hat nicht so funktioniert, wie ich mir das gewünscht habe. Es gab einfach keine drei MCs, die bereit waren, zusammen zu schreiben und dann auch noch gemeinsam aufzunehmen.

Das klingt, als ob du mittlerweile eine klare Vorstelluung davon hast, wie Vokalisten auf deinen Produktionen agieren sollen.
Das stimmt. Ich mag die Idee, eng mit einem ­Künstler zusammen zu arbeiten und sich gemeinsam ­Gedanken zu machen, was in dem Instrumental steckt. Wenn Ludacris käme und einen Beat wollte, würde ich ihm natürlich niemals reinreden – er ist ein Genie. Gerade bei bekannteren MCs ist es aber Standard, dass die Manager mit Beats zugemüllt werden. Mir fehlt dafür die Zeit und ich bin auch nicht sonderlich motiviert, diesen Weg zu gehen. Daher ist es für mich ein notwendiges ­Alleinstellungsmerkmal, dass ich einen Schritt ­weiter gehe und eben nicht nur einen Beat liefere, ­sondern auch thematische oder musikalische Ideen ­beisteuere – denn darin bin ich wirklich gut.

Da liegt es ja auf der Hand, einen ­jungen Künstler zu signen und genau das ­auszuprobieren.
Diese Idee hatte ich auch schon. Ganz ehrlich, mit The Catalyst könnte ich mir genau so etwas ­vorstellen. Ich würde mit ihm gerne ein Album ­machen und es selbst veröffentlichen.

Text: Julian Gupta

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