Real Talk #3

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Staiger
 
Generation Bushido?
 
Als vor einigen Tagen ein Video auftauchte, auf dem man sehen konnte, wie zwei Mädchen ein weiteres brutal zusammenschlagen, zeigte sich die deutsche Gesellschaft – wieder mal – schockiert. Besonders erhellend ist in solchen Fällen unser aller Lieblingsportal Facebook, auf dem man unge­schminkt zu lesen bekommt, was die Volksseele denkt, wenn sie so richtig kocht. »Abschieben – und die ganze Sippe gleich mit«, »Wegsperren, die Dreckskinder« oder: »Vater hängt bestimmt im Café rum und die Mutter ist damit beschäftigt zu lästern.« Es wimmelte vor ausländerfeindlichen Klischees und guten Erziehungsratschlägen, wobei die Fraktion, die gerne mal wieder Hand anlegen würde – aber von verfickten Gutmenschen daran gehindert wird – eindeutig in der Überzahl war. Dabei dürfte es sich bei den Eltern der Prügelmädchen wahrscheinlich nicht unbedingt um antiautoritäre Alt-68er handeln, aber mal so richtig draufhauen tut halt einfach gut und Abschieben ist eine angemessene Lösung – wird man doch noch sagen dürfen. Die Unterschicht pöbelt gegen die Unterschicht und das Bürgertum schaut verschreckt, aber auch fasziniert zu. Ist ja auch interessant, wenn sich da die Prollweiber gegenseitig auf die Fresse hauen und schon am nächsten Tag tauchte, wie durch Zufall, das nächste Schlägervideo auf.
 
Die Schuldigen waren dann bald ausgemacht und unter den Schlagworten »Gewalt, Hass und Sex« verkündete die BILD, dass die verrohten Jugendlichen hauptsächlich von Rappern in die Irre geführt werden. Die »Generation Bushido« wurde ausgerufen und wieder einmal ist Rap für den Untergang des Abendlandes verantwortlich. Nun kann man nicht behaupten, dass Rap mit seiner Vorliebe für materielle Güter, sowie seinem offensichtlichen Sexismus, seiner Homophobie und allem was dazu­gehört, wesentlich zur spirituellen Weiterentwicklung der Menschheit beigetragen hätte. Vielmehr ist unsere geliebte Kultur, was das betrifft, ein exakter Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse. HipHop ist in dieser Beziehung nicht besser oder schlechter als die kapitalis­tische Grundordnung, in der wir uns bewegen, in der es ausschließlich um Konkurrenz geht. Solidarität, Liebe und Toleranz haben in dieser Welt ebenso keinen Platz wie im HipHop-Kosmos und werden gleichermaßen verlacht wie verachtet. Den einzigen Vorwurf, den wir uns als HipHopper wirklich gefallen lassen müssen, ist der, dass wir nicht genug dagegen sind. Gegen die Vereinzelung und gegen diesen Materialismus, in dem nur der was ist, der auch was hat. Früher, da gab es einmal die Chance, dass es bei Rapmusik um mehr gehen könnte, als darum, Luxusgüter anzuhäufen. Es ging um Dinge wie Peace, Love und Unity. Auch wenn ich selbst oft genug dagegen war und wir statt Peace gerne Revolte einsetzen können – ein wenig mehr habe auch ich mir erwartet. Mehr Rebellion, mehr Liebe, mehr Spaß und vor allem mehr Solidarität. Wir gegen die. Doch das ist alles vergessen, heute, wo es zwar in jedem »Statement« um Dinge wie »Loyalität« geht, aber keiner mehr weiß, was eigentlich damit gemeint ist. Es ist wie so oft: Da, wo viel Loyalität drauf steht, ist am wenigsten drin.
 
Wir sind alle mittendrin und so ist es nur logisch, dass auch die Rapper mitmachen wollen. Sie wollen rein in diese Gesellschaft und ihren Teil vom Kuchen abhaben, ebenso wie die Prügelweiber in die Gesellschaft rein wollen. Genau wie der Chef der Deutschen Bank, will jeder etwas darstellen in seiner Welt. Alle wollen Respekt und Anerkennung und genau wie man als Geschäftsmann auf gewisse Weise skrupellos muss, darf man im Block nicht zimperlich sein, wenn einen die anderen fürchten sollen. Die Trennung innerhalb dieser Gesellschaft verläuft neben der Höhe des Bankguthabens auch anhand der Einstellung zur körperlichen Gewalt. Denn während weite Teile der Allgemeinheit keine Probleme damit haben, Soldaten ins Ausland zu entsenden, die dort, unter welchem Vorwand auch immer, Menschen töten, Flüchtlinge an der EU-Außengrenze zurück ins sichere Verderben zu schicken oder Millionen von Menschen in die Arbeits- und somit Existenzlosigkeit zu entlassen, hat man durchaus Schwierigkeiten damit, wenn es zu Hand­greiflichkeiten kommt. »Scheißkind«, »parasitäre Lebensform, die nicht richtig erzogen wurde« und »Untermensch« spricht dann auch das Bildungsbürgertum in Gestalt von Juliens Blog, der medial selbst nach allem tritt, was er unlebenswert findet. Denn während Julian, Wilhelm und Greta schon von klein auf eingetrichtert bekommen, dass man sich nicht haut und man im Notfall einen Anwalt einschalten kann, der sowieso effektiver ist, werden Murat, Kevin, Gülsen und Jaqueline dazu ermahnt, sich auf keinen Fall etwas gefallen zu lassen und wenn’s sein muss zurückzuschlagen. Während die einen angeleitet werden, irgendwann die Schalthebel der Macht und somit die unsichtbare Gewalt zu übernehmen, werden die anderen darauf vorbe­reitet, sich gegenseitig kaltzu­machen. Die Kunst besteht nur darin, sich gegen diese Leute abzusichern, nicht dass sie irgendwann mal im eigenen Vorgarten stehen.
 
Wenn wir wirklich etwas dagegen tun wollen, dass sich Szenen, wie in dem besagten Video, wiederholen, dann sollten wir so langsam damit anfangen, uns so zu erziehen, dass wir eingreifen, wenn es passiert. Wir können nicht verhindern, dass manche Menschen scheiße sind. Aber wir können sie daran hindern, beschissene Sachen zu machen. Ansonsten endet das Ganze so, wie die Methode zur Rattenbekämpfung, die der Legende nach, früher auf Schiffen angewendet wurde: Man fängt drei Ratten und sperrt sie ohne Futter zusammen in einen Käfig. Irgendwann fangen die Tiere an, sich zu bekämpfen, zu töten und aufzufressen. Diejenige Ratte, die überlebt, lässt man frei, woraufhin sie alle anderen Ratten auf dem Schiff tötet. Man kann Menschen auch in den Wahnsinn treiben.
 
Diese Kolumne ist erschienen in JUICE #157 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
JUICE157
 

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