Real Talk #2

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Staiger

 
Dass ich für Cro eine heimliche Schwäche habe und ihn tatsächlich für einen der besten aktuellen Rapper halte, habe ich öffentlich ja schon mehrfach angedeutet – auch wenn ich es noch nie mit dieser Offenheit getan habe. Aber es stimmt nun mal. Ich finde Cro super und verfolge nach anfänglichem Widerwillen seine erfolgreiche Karriere mit zunehmender Faszination. Zwar eher aus der Ferne, wie ein gutmeinender Onkel, aber ich verfolge sie. Das Bewundernswerte an Cro ist in meinen Augen die absolute Lockerheit, mit der seiner Arbeit nachgeht. Kann sein, dass ich da einer ausgeklügelten Marketing­­­strategie auf den Leim gehe und im Hintergrund eine Million Produkt­designer und Imageberater am Werk sind, die jeden von Cros Schritten an stylischen MacBooks vor dampfenden Latte-Macciato-Bechern durch­geplant haben; aber wenn man sich zum Beispiel mit seinem DJ unterhält, dann bestätigt sich dieser erste Eindruck. Mit Psaiko.Dino habe ich vor kurzem ein Interview geführt. Dabei stieß ich auf eine Attitude, die mich an früher erinnerte. An früher, als selbstverständlich alles noch besser war; damals, als es los ging mit der deutschen HipHop-Szene, und wir das Ganze noch zum Spaß gemacht haben; damals, als uns Kohle, Marketing und Verkaufszahlen noch vollkommen scheißegal waren. Früher halt.
 
Doch im Ernst: Während viele andere deutsche HipHop-­Künstler heutzutage darauf herumreiten, welche Chart­platzierung sie erreicht haben, legt der zur Zeit erfolgreichste Rapper im Game (zumindest vordergründig) keinen Wert auf derlei oberflächliche Kennzahlen. Cro hat mehr als einmal betont, dass ihm Geld egal sei, was jemanden, der sich seinen Lebensunterhalt erkämpfen muss, laut aufheulen lässt. Verärgert über so viel jugendlichen Leichtsinn möchte man ihn umgehend anbrüllen: »Du hast gut reden, Junge. Du musst ja auch keine mehrköpfige Familie ernähren und kannst aufs Geld scheißen. Hast ja auch genug, du Heuchler. Werde du mal erwachsen!« Doch im Grunde meines Herzens muss und möchte ich ihm trotzdem recht geben.
 
Psaiko.Dino genauso. »Irgendwas wird sich schon ergeben«, erklärte mir der schüchterne, nicht mehr ganz so junge Mann im Interview, der es bedauert, dass er nicht mehr als Grafik-Designer arbeiten kann, weil er bei dem ganzen Tour-Stress die Abgabetermine nicht mehr garantieren könnte. Ein deutscher Top-Musiker, der seiner Erwerbsarbeit nachtrauert? Dabei hat er gerade das wahrscheinlich interessanteste Produzenten-Album der letzten Jahre produziert, auf dem so ziemlich alles gefeaturet wird, was in der deutschen HipHop-Szene Rang und Namen hat. Er könnte durchaus damit angeben, doch stattdessen kaut er lieber an seinen Nägeln und macht halt; macht Musik und guckt halt, was dabei herauskommt.
 
Es ist diese Einstellung, die oftmals verloren geht, wenn Musiker ins Game steppen und aus ihrem Hobby einen Beruf machen. ­Plötzlich kommen Zwänge ins Spiel und man denkt nur noch an Marketing-Kampagnen, PR-Aktionen und ob es sich verkauft. Man denkt an allen möglichen Quatsch, nur nicht mehr daran, dass man eigentlich mit seinen Kumpels Musik ­machen möchte. Der Zwang, seine Tätigkeit auf Biegen und Brechen zu verwerten, setzt unter Druck. Der Künstler wird zur Ich-AG, mit der er seine Haut zu Markte trägt, weil er gar nichts anderes anzubieten hat als seine Persönlichkeit und Leidenschaft. Ob dadurch schlechtere oder bessere Musik entsteht, sei einmal dahingestellt. Bemerkenswert aber ist, dass es in diesem Fall noch nicht einmal die böse Plattenindustrie ist, die den Künstler in diese Verwertungs­logik zwingt. Nein, es sind die Künstler selbst, die sich nach dem Markt sehnen, weil sie ihn brauchen, als Rückversicherung und Selbstbestätigung. Dass eine Plattenfirma Platten verkaufen will, liegt in der Natur der Sache. Firmen sind in diesem System dafür da, aus Geld mehr Geld zu machen. Was zwischen »Geld« und »mehr Geld« kommt, ist eigentlich egal. Ob das nun ein Flugzeug, eine Tretmine oder eben Musik ist, kann den Shareholdern der großen Konzerne am Ende gleichgültig sein. Umso wichtiger aber ist es, dass es den Produzenten, und im Zweifelsfall auch uns Konsumenten, nicht egal ist, was dazwischen passiert oder aus welcher Geisteshaltung etwas gemacht wird.
 
Die Musikbranche ist einer der ersten Märkte, auf dem sich langsam aber sicher die Gewiss­heit durchsetzt, dass hier Güter produziert werden, die zwar alle brauchen, aber keiner mehr bezahlen will. Seit Jahren werden Abwehrschlachten gegen diesen Trend geschlagen, doch die Tendenz ist eindeutig: Der Musikmarkt schrumpft – obwohl mehr Musik gehört wird. Doch wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest, dass es anderen Märkten genauso geht: Pflege, Bildung, Kindererziehung. Überall steigt der Bedarf, doch die Bereitschaft, Geld dafür auszugeben, sinkt. Verzweifelte Selbständige liefern sich selbst­zerstörerische Bieterschlachten darum, wer es denn nun billiger machen kann. Das wird sich fortsetzen und so lange so ­bleiben, bis wir feststellen, dass wir auf der einen Seite massenhaft Produkte haben, die wir nicht mehr verkaufen können, weil wir auf der anderen Seite Menschen haben, die diese Produkte nicht mehr kaufen können, weil sie nicht mehr genug Geld ­verdienen, während sich in den Kellerräumen der Banken und Konzerne das virtuelle Geld stapelt. Dann werden wir auf die Idee kommen, dass wir das alles auch irgendwie anders verteilen könnten und Musik eben nicht dafür gemacht wird, dass sie verkauft, sondern weil sie gebraucht wird. So wie alles andere, was Menschen so machen und herstellen. Das wird aber wahrscheinlich noch dauern. Bin bis dahin schiebe ich noch mal das »Berlin Nr. 1 Vol. 2«-Tape in meinen Kassettenrecorder und genieße die unbeschwerte Freshness von damals; damals, als wir noch Musik gemacht haben. Musik jenseits aller Verwertungslogik.
 
Diese Kolumne ist erschienen in JUICE #156 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
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