»Rapture« – wie Koffee der größte Reggae-Star der Stunde wurde // Feature

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Positive Vibes, Rap-Flows und Usain Bolt sind dafür verantwortlich, dass eine Teenagerin aus Spanish Town, Jamaika, der größte Reggae-Star der Stunde ist. Gerade eben hat sie den Grammy-Award für das beste Reggae-Album gewonnen – als erste weibliche Künstlerin überhaupt in dieser Kategorie! Und nicht nur das: Koffee ist gleichzeitig die Speerspitze einer neuen Bewegung, die sich der Conscious-Lyrics des Roots Reggae erinnert, dabei aber zeitgenössisch klingt.

Koffees größter Hit heißt »Toast« und ist genau das – eine musikalische Tischrede voller Dankbarkeit und Optimismus, und damit für jeden Selector der perfekte Closer. Auf YouTube zählt er über 50 Millionen Aufrufe. Er läuft auf BBC Radio 1Xtra und auf Hot 97. All die Aufmerksamkeit um ihre Person lässt Koffee verhältnismäßig kalt: »Ich finde es besser, etwas zu tun, weil es erstrebenswert ist, als etwas zu tun, um einen Buzz zu erzeugen«, sagt sie. Trotzdem ist dieses Grundrauschen eben das, was sie umgibt – und es begann dort, wo die Viralerfolge von heute bekanntlich am schnellsten wachsen: im Internet. 2017 veröffentlichte sie ein zweiminütiges YouTube-Video, in dem sie Gitarre spielte und einen Song namens »Legend« sang, gewidmet ihrem Landsmann Usain Bolt. »Als er in Peking gelaufen ist, bei seiner ersten Olympiateilnahme, war die ganze Nation sehr stolz«, erklärt sie. »Ich glaube, jeder Jamaikaner kann sich erinnern, wo er damals war und wie er sich gefühlt hat. Mein Song hat an dieses Gefühl erinnert, daran, dass wir stolz auf unsere Kultur sein können.« Der Sprinter teilte das Video auf seinen Social-Media-Kanälen – fortan brummte es.

Zwei Jahre später reist Koffee um die Welt und spielt Shows mit einer Bühnenpräsenz, als wäre sie einige Köpfe größer und einige Jahre länger im Geschäft. Nach der Show trifft man im Hotel wieder eine 19-Jährige, die müde ist von ihrer ersten Tour, das kalte Wetter in Europa nicht gewohnt und die kein Essen findet, das in ihre pescetarische Diät passt. »Ich bin nicht unbedingt eine Social-Media-Person, aber ich kann anerkennen, dass diese Plattformen in unserer Zeit hilfreich sind, eine Karriere voranzutreiben oder eine Botschaft zu verbreiten«, sagt sie über ihren viralen Hit. Noch hilfreicher findet sie aber Musikalität. Koffee ist überzeugt, dass ihre Musik auch Menschen erreicht, die kein Patois verstehen: »Wenn ich Dennis Brown höre, kann ich den Schmerz in seiner Stimme spüren. Man kann spüren, was er sagt, nicht nur aufgrund der Texte, sondern auch aufgrund der Musik selbst. Musik ist eine universelle Sprache, deshalb ist sie so wichtig und kraftvoll.«

»es geht darum, die jamaikanische Kultur nach außen zu tragen« (Koffee)

Koffees Musik ist vielseitig. Die Wurzeln liegen im Reggae, und damit sind nicht nur Offbeats, sondern auch ein Mindset gemeint: »Es geht um eine positive Message, es geht darum, die jamaikanische Kultur nach außen zu tragen, in der Reggae begonnen hat. Es geht darum, die Menschen zu ermutigen und zu erheben. Es geht um viele Dinge.« Als Jamaikanerin war Koffee von Reggae immer umgeben – auf der Straße, zu Hause und in der Schule. Als Kind sang sie im Kirchenchor, mit zwölf Jahren brachte sie sich das Gitarrespielen bei. Fast ebenso allgegenwärtig waren aber die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in ihrer Heimat. »Jamaika ist ein kleines Land, deshalb ist es schwer, diese Dinge nicht wahrzunehmen. Ich gehe damit um, indem ich es in meinen Texten verarbeite«, erklärt sie. Jamaika hat seit vielen Jahren ein schleichendes Wirtschaftswachstum und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Auf »Raggamuffin« beschreibt Koffee die Situation in einem melodischen Rap-Part, der nach eigenen Angaben von US-Rapper Smino inspiriert ist: »Hear seh di guns dem pile out here/Hear nuttin much mek yuh smile out here/Hear seh di youths dem wild out here/Money caan run fi a mile out here« (dt. »Ich habe gehört, dass die Waffen sich hier häufen/Dass es nicht viel Grund zum Lächeln gibt/Dass die Jugend wild ist/Dass sie für Geld alles tun«).

Texte, die entweder sozialkritisch sind oder an Einigkeit und Optimismus appellieren, hat Koffee nicht nur mit dem Roots-Reggae der Siebziger gemeinsam, sondern auch mit einigen Zeitgenossen. Protoje und Chronixx sind die Namen, die man am häufigsten hört, wenn sie nach ihren Einflüssen gefragt wird. Die beiden Reggaesänger gründeten um 2014 zusammen mit Kabaka Pyramid, Raging Fyah und Jah9 ein Kollektiv namens »Reggae Revival«. Bei Auftritten in der Surfschule und Jugendherberge Jamnesia in Bulls Bay formten sie ihren Stil, der von einer starken Rückbesinnung auf Rastafari-Werte geprägt war, sich aber auch von HipHop und elektronischer Musik beeinflussen ließ und von sexistischen oder homophoben Tendenzen älterer Reggae-Künstler eindeutig distanzierte. Koffee hat mit ihren beiden Idolen schon auf der Bühne gestanden. »Dass eben die Menschen, die mich dazu inspiriert haben, überhaupt Teil der Reggae-Bewegung sein zu wollen, meine Musik wertschätzen, ist ein im positiven Sinne überwältigendes Gefühl, das ich gar nicht so richtig beschreiben kann«, sagt sie.

»Koffee come in like a rapture« – wie ein Freudentaumel, heißt es in ihrem persönlichen Lieblingstrack. Dieselbe Formulierung benutzt Manager Pierre, als er beschreibt, wie Koffee ihre Beats auswählt. Auch sie bezieht Einflüsse aus modernem HipHop, das merkt man nicht nur den Rap-Flows auf »Raggamuffin«, sondern auch den Drums und der Bassline auf »Rapture« deutlich an. »Der Song funktioniert auf einer Dancehall-Party, auf einer HipHop-Party, auf jeder Party«, sagt Pierre. Das ist einer der Gründe dafür, dass Koffee aktuell so viele Menschen anspricht, selbst solche, die mit der jamaikanischen Kultur wenig vertraut sind. »Auch daran erkennt man, dass die Musik der Sprache übergeordnet ist«, sagt sie. »Wenn man verschiedene Flows und Patterns aus aller Welt verbindet, kann man viele verschiedene Menschen ansprechen. Jemand, der kein Patois versteht, aber HipHop mag, kann meine Delivery fühlen. Dann wird er beginnen, sich dafür zu interessieren, was ich wohl sage.« Neben Smino kann man in Koffees privater Playlist auch Rap-Artists wie Migos oder 21 Savage finden. »Ich kann von vielen Arten von Musik inspiriert sein«, erklärt sie. »Ich muss ihr nur diesen positiven Spin geben, der auf meiner Kultur basiert. So wird sie Reggae-fiziert.«

Foto: Nickii Kane

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